Kenneth Mattice, Angela Davis, Marilyn Bennett, Matthew Overmeyer, Kenneth Mattice, Sophia Leimbach, Johan de Bruin, Cristina Piccardi, Anja Frank-Engelhaupt, Andrea Kleinmann, Richard van Gemert, Tae-Hoon Jung, Foto Klaus Lefebrve

Federleichtes Operettenspektakel

Lehárs „Graf von Luxemburg“ im theaterhagen

 

Premiere am 26.10.2019

 

Zu Beginn sitzt René, der Graf von Luxemburg, missmutig auf einer Mondskulptur, bevor es wieder richtig losgeht: eine Karnevalsgesellschaft holt ihn wieder in sein altes Leben ab, in dem er sein Geld nur so verjubelt hat. Eine junge Frau im Skelett-Kostüm erinnert ihn, dass das Leben endlich ist und er es so, wie es kommt, genießen soll. Im Laufe des Stücks gerät er aber doch ins Überlegen und gegen Ende auch in (wahrscheinlich)ruhigeres Fahrwasser. Die Geschichte wird im Hagener Theater leichtfüßig und gut nachvollziehbar auf die Bühne gebracht. Auffallend viel jüngeres Publikum applaudierte am Schluss frenetisch.

 

Dabei ist die Handlung überkandidelt und turbulent genug. Besagtem Grafen von Luxemburg, der seine gesamten Finanzen verjubelt hat, wird ein Deal angeboten: er soll eine Menge Geld bekommen, wenn er eine Frau heiratet, die er aber nicht sehen darf, und sich drei Monate später vonihr scheiden lässt. Die Dame wird dadurch adelig, das muss sein, damit ihr Lover, der ältliche russischer Fürst Basil Basilowitsch, sie heiraten kann; eine bürgerliche Frau verstieße gegen seine Konventionen. Der Graf kann also seine Freiheit weiter genießen, lernt aber dann doch kurz vor der geplanten Scheidung, ohne es zu wissen, seine Frau kennen, die Sängerin Angèle Didier nach ihrem letzten Auftritt als Tosca, und verliebt sich prompt in sie. Nach vielen Verwicklungen wird am Ende auch tatsächlich geheiratet, weil Fürst Basil, der Angèle eigentlich ehelichen wollte, schon mit einer anderen Gräfin verlobt ist und der Heirat mit dieserFrau nicht entgehen kann. Dem Paar René – Angèle wird ein anderes Paar gegenübergestellt, der Maler Armand und die Garderobiere Juliette, beide der Bohème zugehörig, die unterschiedliche Ansichten über Ehe und Zusammenleben haben, sich am Ende aber doch finden. René, der Graf von Luxemburg, ist mit beiden befreundet, ihm sind als „adliger Demokrat“ seine Adelsprivilegien wurscht.

Das Geschehen kreist also letztlich um die Frage Bindung oder Freiheit. Zwar wird deutlich, dass vor allem die Einstellungen der Entstehungszeit (1909) auf die Bühne kommen, aber auch heute ist dieser Konflikt ja noch ein ewiges Thema. Verhandelt wird, damit zusammenhängend, aber auch, inwieweit man sich der herrschenden Moral beugen oder sie hinter sich lassen soll. Regisseur Roland Hüve lässt das Stück dann auch in seiner Zeit, inszeniert es mit hohem Tempo und viel Bewegung auf der Bühne, arbeitet mit ironischen Brechungen und dezenten Aktualisierungen. Oft geht die Szene in Revueeinlagen über; hierbei tanzen nicht nur die Profis des Hagener Balletts, sondern auch die Solisten und der Chor. Erik Rentmeister, der Choreograph, hatte das gesamte Ensemble hervorragend motiviert.

 

Und zu Beginn des 2. Aktes macht Hüve klar, wie die Musik die Szene steuert: Das Sich-Näherkommen von René und Angèle durch sich immer mehr verkürzende Einsatzabstände bis zum Unisono am Schluss wird auch auf der Bühne präzise nachvollzogen. Gut überlegt war auch, dass die Pause schon nach dem ersten, eher karnevalsmäßigen Akt stattfand. So wurde im zweiten Teil das Hin und Herr in Handlung und vor allem in den Gefühlen der Darsteller genau und nachvollziehbar deutlich gemacht. Siegfried E. Meyer unterstützte mit Kostümen und Bühnenbild die Aktionen.

 

Die Bühnenbilder waren einfach, aber praktikabel und originell, so z.B. das Bild mit dem schiefen Eifelturm im 1. Akt, das dann zur blickdichten Trennwand für die Trauung umfunktioniert wurde. Das Hagener Ensemble zeigt sich wieder von seiner besten Seite, sowohl was das Singen angeht als auch in den genau getimten und rhythmisierten Sprechteilen. Hierbei agiert das Bohème-Paar Armand und Juliette (Richardvan Gemert und Cristina Piccardi) besonders brillant, lässt aber auch sängerisch nichts zu wünschen übrig. Kenneth Mattice in der Hauptrolle überzeugt nicht nur durch seinen gut geführten Bariton, der auch tenorale Höhen erreicht, sondern auch durch fast akrobatischen körperlichen Einsatz. Angela Davis als Angèle gestaltete ihre Rolle mit größter Eindringlichkeit, brachte auch ihre abrupt wechselnden Gefühle überzeugend über die Rampe. Oliver Weidinger spielte den auch im höheren Alter noch unablässig balzenden Basil wunderbar schmierig, und Marylin Bennett bewältigte ihre Rolle als Gräfin Kokozowa, die plötzlich auftauchende Braut mit älteren Rechten, vital und unangestrengt.

 

Wie immer in Hagen zeigten sich auch Chorsolisten und Chor in hervorragender Form. Verlassen konnten sie sich dabei auf das Hagener Orchester in bester Spiellaune unter dem Dirigenten Rodrigo Tomillo. Die unterschiedlichen Stimmungen der Musik wurden klar unterschieden. So kommt der karnevalistisch bestimmte 1. Akt sehr schmissig über die Rampe, in anderen Teilen werden die eher gefühlsseligen Passagen sehr schön, aber ohne Kitsch ausgekostet. Im 2. Akt kann man sehr gut die ins Impressionische reichende Instrumentation verfolgen, und immer wieder wird deutlich, dass Lehár die Ausdrucksmittel auch der ernsten Musik sehr variabel einsetzt.

 

 

Fazit: Ein in jeder Hinsicht gelungener Abend. Unbedingt hingehen!

 

Fritz Gerwinn 28.10.19

 

Weitere Aufführungen: 31.10., 3.11., 8.11., 15.11., 23.11., 4.12., 14.12., 18.12., 31.12. (2x) 2019; 5.1., 15.1., 16.2. 2020