Düsseldorf

 

Tannhäuser

 

Premiere am 04.05.2013

besuchte Vorstellung am 9.5.2013

 

Leider ist es nur möglich die konzertante Aufführung zu rezensieren. Die Inszenierung von Regisseur Burkhard C. Kosminski wurde aufgrund der anhaltenden Proteste nach der Premiere von der Leitung der deutschen Oper am Rhein abgesetzt.

 

Florian Meyer, der Intendant der deutschen Oper am Rhein, betrat vor der Vorstellung sichtlich mitgenommen die Bühne. Sein Hauptargument: die Gesundheit der Opernbesucher stehe über der künstlerischen Freiheit. Sie sei ein sehr hohes Gut für ihn.

 

Danach begann die Aufführung: Drei Reihen roter Stühle für den Chor auf der Bühne, davor eine Spielfläche, Venus, Elisabeth, der Hirte im Abendkleid, die Herren im Frack. Konzertant hieß hier aber nicht: alle stehen stocksteif nebeneinander und singen, sondern die Darsteller agierten und machten die Handlung dadurch hinreichend klar. Es schien so, als würden sie zumindest die Personenregie des Regisseurs wenigstens andeutungsweise umsetzen. es wurde aber nicht ganz klar.

 

Es wäre interessant zu wissen, wie Solisten und Chor auf die Inszenierung und deren Absetzung reagiert haben. Das gäbe sicher ein differenziertes Bild, denn einerseits lobt der Regisseur im Programmheft alle Akteure ausdrücklich: „Alle beteiligten gingen mit einer wunderbaren Neugier und Offenheit an die Proben heran und hatten große Lust, für die Figuren eine eigene, neue Lesart zu finden und eine vielschichtige Psychologie zu entwickeln.“; andererseits hatte man aen Eindruck, dass die Sänger wie befreit agierten und (vor allem) sangen und sich dieses Gefühl der Befreitheit sich von Akt zu Akt steigerte, was die ohnehin ausgezeichnete musikalische Qualität noch einmal steigerte.

Alle Solisten sangen auf hohem Niveau, nur die fünf Hauptakteure sollen deshalb hier erwähnt werden: Daniel Frank als Tannhäuser zwischen den beiden Frauen Venus, Elena Zhidkova, und Elisabeth, Elisabet Strid; Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach, der Herausragenste aus der Gruppe der Minnesänger, und schließlich Thorsten Grümbel als Landgraf.

Ebensolches Niveau hatte der Chor; bei dieser Gelegenheit konnte man feststellen, dass Chor und Extrachor zusammen die stolze Personenzahl von 80 Sängerinnen und Sängern auf die Bühne bringen. Welches Opernhaus schafft das noch?

Das Orchester unter Axel Kober ließ von den ersten Tönen an mit der wunderbaren Waldhorngruppe aufhorchen. Schon in der Ouverture fiel die äußerst differenzierte Gestaltung der Lautstärkepalette auf, ebenso das deutliche Herausarbeiten der Gegensätze, Pilgermarsch gegen die abwärts führenden chromatischen Linien der Violinen. Und an einigen Stellen der Oper, wo man ohnehin schon den Eindruck einer großen Lautstärke hatte, steigerte sich das Orchester noch zu einem satten, wohlklingenden Fortissimo.

Andererseits gab es keine einzige Passage, wo ein Sänger zugedeckt wurde und hätte forcieren müssen. Besonders rasant das immer schneller werdende Fugato-Finale des 2. Aktes, in dem Elisabeth, alle Minnesänger, Männerchor und Orchester zusammengehalten werden müssen. Chapeau!

Soweit, so gut. Wer sich mit der musikalischen Gestaltung zufrieden gibt, erlebt einen wunderbaren Abend. Aber das ist leider nur die Hälfte für viele Opernfreunde.

Denn die Frage, wie Musik und Inszenierung zueinander stehen, kann nicht beantwortet werden. Im günstigsten (und dann für den Besucher beglückensten) Fall beflügeln sich beide, in ungünstigeren Konstellationen läuft beides nebeneinander her oder gar gegeneinander. Und wenn, wie hier in Düsseldorf, offensichtlich derartig an den Stellschrauben gedreht wird, ist es auch ungeheuer spannend zu überprüfen, ob das Konzept das ganze Stück über hält oder nur aufgesetzt ist.

Ganz klar ist: Regisseur Burkhart C. Kosminski und Bühnenbildner Florian Etti haben ihr Konzept im Programmheft erklärt, wenn auch nicht auf die offensichtlich drastischen Gewaltszenen hingewiesen. Wäre es da nicht sinnvoll gewesen, vor Beginn der Oper auf diese Szenen hinzuweisen? Denn die Notwendigkeit des Ganges zum Notarzt kann am ehesten damit erklärt werden, dass der Schock derart groß war, weil etwas ganz Anderes erwartet wurde. Auch wenn man weiß, dass in vielen Filmen weit Schlimmeres geboten wird, hätte eine solche Maßnahme den so entstandenen hohen Emotionalisierungsgrad vielleicht verhindert oder wenigstens gedämpft und eine sachlichere Auseinandersetzung mit der Inszenierung möglich gemacht. In der Komischen Oper in Berlin weiß schließlich auch jeder, der die Inszenierung der „Entführung“ von Calixto Bieito besucht, dass hier Sex und Gewalt im Vordergrund stehen, aber so, dass dies tatsächlich plausibel aus dem Stück entwickelt wird. Diese Aufführung geht an die Nieren, läuft aber schon seit fast zehn Jahren und ist immer ausverkauft, so wie auch die Vorstellungen von Pina Bausch, in deren Anfangsjahren Zuschauer auch massenweise Türen knallend das Theater verließen.

Aus dem Studium des Programmheftes ergeben sich natürlich noch andere Möglichkeiten, die ahnen lassen, warum so ein Proteststurm über dem Regieteam niederging. Anders als die im Programmheft ausgedrückten Texte von gestandenen Dichtern, die nur das Böse, Schwarze, Vernichtende des Venusbergs betonen, werden Venus und der Venusberg von anderen Menschen nicht so gesehen, sondern eher dialektisch, janusköpfig oder gar in begrenztem Maße positiv, im Sinne einer Befreiung von einengenden Traditionen, auch wenn sie weit über das Ziel hinausschießt. Dass so etwas von Wagner intendiert ist, schien beim Hören der Musik l besonders deutlich zu werden: die Musik des Venusbergs ist keineswegs eindeutig negativ besetzt, also bleibt fraglich, ob diese einseitige Sichtweise, möglicherweise jenseits aller Dialektik, nachvollziehbar ist. Man denke dabei an den „Don Giovanni“, der ja sowohl Bösewicht als auch Lichtgestalt ist, und dessen Inszenierungen scheitern, wenn man nur eine Seite sieht.

Schließlich sind noch zwei Dinge aufgefallen, die Kosminski im Interview erwähnte. Einmal sagt er zu seiner Arbeit als Regisseur: „Man kann das, was die Musik vorgibt, nutzen – oder ihr bewusst etwas entgegensetzen, was wiederum zu einem schönen Kontrast führt.“ Das ist sicher richtig, aber vielleicht wurde so viel entgegengesetzt, dass Musik und Inszenierung nicht mehr auf einen Nenner kamen?

Weiter scheinen seine Ausführungen zu den Fermaten („langen Pausen“) doch etwas problematisch, denn er meint, an diesen Stellen die Musik unterbrechen zu können, um eigene Vorstellungen (oder die Visionen Tannhäusers) ohne Musik darstellen zu können. Kann es sein, dass er zu oft die Musik hat stillstehen lassen?

 

Noch einmal: Es ist schade, dass die Inszenierung abgesetzt wurde, andererseits ist die Entscheidung des Intendanten aber nachvollziehen. Wünschenswert wäre aber ein Weg, sich doch noch damit auseinandersetzen zu können. Vielleicht wird der noch gefunden.

 

Fritz Gerwinn

11.05.2013