Hagen

 

Wagners „Tristan und Isolde“ im theaterhagen


Premiere am 7. April 2019

 

Rauschhafte Musik, innovative Regie

 

Der Vorhang geht auf, kein Schiff, auf dem Isolde mit Brangäne unter Deck sitzt, auf der Fahrt zu König Marke nach Cornwall. Stattdessen fünf zimmerartige Gebilde für die fünf Hauptpersonen, Tristan und Marke in der ersten Etage, Isolde und Brangäne im Parterre, Kurwenal in einem schmalen feuertreppenähnlichen Gebilde am rechten Rand. Und diese Räume werden die Personen während des gesamten Stücks, immerhin vier Stunden lang, nicht verlassen. In der Mitte befindet sich noch eine schmale, beleuchtete Kabine, in der ein Herr im Frack steht, mit dem Klavierauszug in der Hand, und das Lied des jungen Seemanns singt. Da hat sich das Regieteam offensichtlich einiges überlegt.

 

Wer Wagners Oper schon mehrfach gesehen hat, erinnert sich vielleicht eher an „Nicht-Regie“ oder Szenen, in denen zwei Personen in schönen Kostümen in schönem Bühnenbild standen und sich endlos ansangen, ohne dass sonst irgendetwas passierte. In der Hagener Inszenierung wurde schon durch die gewählte Bühnenbildlösung und deren Konsequenzen für die Regie die Szene deutlich belebt. Regisseur (Jochen Biganzoli) und Bühnenbildner (Wolf Gutjahr) sind davon ausgegangen – wie auch in der Literatur über diese Oper immer wieder dargestellt -, dass die Personen nie über ihre eigenen Grenzen hinauskommen und ständig aneinander vorbeireden, und haben das konsequent umgesetzt. Das von Wagner selbst so bezeichnete „tönerne Schweigen“ wird in dieser Weise verwirklicht. Die Inszenierung weist ständig darauf hin, dass wir es mit einem Kunstwerk zu tun haben, dass die im Liebestod kulminierende Todessehnsucht der beiden Hauptpersonen keinesfalls zur Identifikation führen soll, weil dies in der Realität nicht nachvollziehbar, sondern sogar gefährlich ist.

 

Die Idee, die handelnden Personen in unterschiedlichen Räumen die gesamte Zeit auf der Bühne zu lassen, ist zwar nicht neu, aber wurde meines Wissens noch nie so strikt durchgeführt: Die Personen kommen niemals aus ihrem Raum heraus. Wie eine Gefängniszelle wirkt vor allem Isoldes Raum, mit dunklen tafelähnlichen Wänden und Leuchtstäben an den Ecken. Sie, selber auch ganz schwarz gekleidet, schreibt auf die Wände unablässig Texte, malt darauf auch Umrisse von Mann und Frau mit charakteristischen Details. Der Raum Tristans, des Mannes, der die Nacht liebt, ist dagegen gleißend hell, mit zehn Neonröhren an der Decke. Er, im Outfit eines Künstlers (Kostüme Katharina Weissenborn), schreibt nicht an die weißen Wände, sondern malt darauf, mit roter Farbe und breitem Strich, so z.B. DU und ICH, das später rot überstrichen und damit ausgelöscht wird. Kurwenal, Tristans Vertrauter im Kampfanzug, lebt in einer dreistöckigen hohen Zelle, hat alle Wände mit dem Bild seines Helden Tristan tapeziert und macht damit bis zum Ende weiter. Isoldes Vertraute Brangäne ist als taffe Businessfrau charakterisiert, die dies aber nicht durchhalten kann und zur Flasche greift. Die Funktion der zuerst irritierenden Badewanne in ihrem Raum wird erst später klar. Marke bewohnt das altmodischste Zimmer, mit uralter Ornament-Tapete. Er kann wenig tun, schläft oft, packt im 1. Akt die noch nicht entsorgten Kleider seiner verstorbenen Frau in Umzugskisten. Dass er sich im 3. Akt erschießen will, zeigt, dass die Personen zwar in ihren Räumen festsitzen, aber doch auf die draußen stattfindenden Geschehnisse reagieren können. Und wohl weil der (natürlich rote) Liebes- bzw. Todestrank eine wichtige Rolle spielt, wurde jeder Person ein bestimmtes Getränk zugeordnet. Während Tristan sich mit Wasser begnügt, gönnt sich Isolde Whiskey, Brangäne betäubt sich mit billigem Schnaps, Marke bevorzugt Sekt aus dem Glas, Kurwenal trinkt Dosenbier.

 

Immer wieder wird mit Verfremdungen gearbeitet. In der hell erleuchteten Kabine in der Mitte singt nicht nur der junge Seemann sein Lied, in dieser erscheint auch Melot, im Frack, aber mit Schwert, das er in den Boden stößt, wenn er Tristan die tödliche Wunde zufügt. Das bleibt dann stecken, ein Notenständer wird aufgestellt, damit die Englischhornspielerin Almut Jungmann aus dem Orchester ihr Solo auf der Bühne spielen kann. Interessante Verbindungen zur ursprünglichen Handlung werden aber doch immer wieder hergestellt, z.B. wenn der Hirt im 3.Akt das Schiff Isoldes meldet, aber vergessen hat, sein Frackoberteil anzuziehen und das beim Rennen in die Kabine nachholt.
Die Unmöglichkeit der „Nacht der Liebe“ im 2. Akt jenseits von Kunst und Traum wird deutlich gemacht, indem es nicht erst bei der Entdeckung der Liebenden „auf frischer Tat“ plötzlich hell wird, sondern nach und nach deutlich früher. Währenddessen gibt sich Brangäne heftig die Kante, in Unterwäsche und aufgelöster Frisur, aber mit Sonnenbrille, während ein junger Mann in der Mittelkabine Seiten aus dem Wagner-Klavierauszug reißt, sie an sein Herz drückt und dabei masturbiert, immerhin zwei Möglichkeiten, den Wagnerschen Klangrausch in der Realität noch zu steigern. Rechts daneben hebt Kurwenal den rechten Arm. Hinweis auf Kurwenals naive Nibelungentreue zu Tristan oder auf die Wagner-Rezeption im 3. Reich, oder einfach unnötig?
Im 3. Akt ist Tristan, eigentlich schwer verletzt, quicklebendig, singt Teile seines Parts mit einem plötzlich vorhandenen Mikrofon einschließlich Ständer wie Freddie Mercury auf einem Rockfestival.
Bis auf Isolde in ihrem schwarzen Raum sterben in der letzten Szene alle. Die Rückwände der Räume werden dann jeweils hochgezogen oder weggeklappt, die Zuschauer blicken dann auf eine weiße Wand in gleißender Helle. Auch Marke stirbt, so dass Wagners letzte szenische Anweisung „Marke segnet die Leichen“ unausgeführt bleiben muss. Während Isoldes Schlussgesang stehen aber alle wieder auf, nur Isolde verschwindet während ihrer letzten Worte „versinken – unbewusst - höchste Lust“ in vollkommener Schwärze. Eine tolle Idee der Regie!

 

Weil die Ideen des Regieteams so frisch und neu waren, brauchte ihre Beschreibung schon mehr Platz, ihre Durchführung wäre aber ohne den Klangrausch, den das Orchester produzieren muss, gar nicht möglich gewesen. Hier lieferte das Philharmonische Orchester Hagen unter Josef Trafton eine Glanzleistung ab. Aufhorchen ließ schon der Anfang: der erste Ton kam wie aus dem Nichts, wurde dann ausdrucksvoll crescendiert, sodass der „Tristan-Akkord“ dann in ganzer Stärke präsentiert wurde. Ähnlich genau war bei den anderen eher lyrischen Stellen gearbeitet worden, im 1. Akt überwog aber ein vorwärtstreibender jugendlicher Schwung, der das Hören zu einem Vergnügen machte. Anfang des 2. Aktes erinnerten die ersten Töne der Holzbläser an Naturlaute, ehe die „Nacht der Liebe“ stimmungsvoll, virtuos und mit sattem Klang dargestellt wurde. Im 3. Akt konnte man etliche Stellen äußerster Dramatik mit voll ausgefahrener Lautstärke genießen; die ebenfalls voll aussingenden Sänger wurden aber nie übertönt. Und weil der Text in „Tristan und Isolde“ weniger wichtig ist als die Musik, war es gelegentlich sogar möglich, sinnvoll und lustvoll, dem Wagnerschen Klangrausch mit geschlossenen Augen zu folgen.

 

Höchstes Lob verdienen auch die Solisten. Die Hagener hatten vier Gäste verpflichtet, die alle überzeugten. Ohne jegliche Ermüdungserscheinungen bewältigten die Darsteller der beiden Hauptpersonen ihre umfangreichen und schwierigen Partien. Zoltán Nyári als Tristan gestaltete seine Rolle mit kraftvoller, metallischer Tonfärbung, überzeugte auch in den lyrischen Passagen. Magdalena Anna Hofmann als Isolde zeichnete sich durch farbenreiche und empfindsame Gestaltung aus. Beide verfügten aber auch über die für die beiden Rollen notwendigen robusten Stimmbänder, um auch in den zahlreichen Fortissimostellen gegenüber dem vollen Orchester bestehen zu können. Überzeugend war auch Khatuna Mikaberidze als Brangäne. Ihre runde und voluminöse Altstimme war vor allem bei den Warnrufen Brangänes im 2. Akt zu bewundern. Wieland Satter als Kurwenal charakterisierte seine Rolle auch durch seine markante Stimme: im 1. Akt grob und brutal, wenn er Isolde beleidigt, später deutlich lyrischer und facettenreicher. Die Mitglieder des Hagener Ensembles brauchten sich gegenüber den Gästen nicht zu verstecken. Vor allem Dong-Won Seo als Marke glänzte mit mächtigem Bass und ausdrucksstarker Phrasierung. Daniel Jenz,Richard van Gemert und Egidijus Urbonas überzeugten in den kleineren Rollen. Und der Männerchor im 1. Akt klang so, als hätte er doppelt so viele Sänger.

Fast ein Wunder, dass ein vergleichbar kleineres Theater mit Sparzwang eine so großartige Aufführung zustande bringt. Es gibt leider auch nur insgesamt fünf Aufführungen. Für eine davon sollte man sich schnell Karten besorgen.

 

Fritz Gerwinn, 8.4.2019

 

Weitere Aufführungen: 14.4., 21.4., 26.5., 10.6.2019, jeweils 15 (!)