Sehens- und hörenswert!

 

Paul Abrahams „Blume von Hawaii“ im theaterhagen

 

 Fast hätte man sich gewünscht, dass eine gute Fee Corona weggezaubert und das Haus bis auf den letzten Platz mit Publikum gefüllt hätte. Die Inszenierung hätte das verdient gehabt. Leider fordert die Wirklichkeit andere Maßnahmen. Die Verhältnisse, die sind nicht so.

 

Die Corona-Maßnahmen waren beachtlich. Um zu seinem Platz zu gelangen, mussten unterschiedliche Eingänge benutzt werden, durch die man nach der Vorstellung das Theater auch wieder verlassen musste. Das bedingte großen Personalaufwand, auch noch im Haus selbst, alle erledigten ihre Aufgaben bestimmt, aber sehr freundlich. Auch im Parkett war Maskenpflicht, jede zweite Reihe blieb frei, und zwischen den Sitzen gab es jede Menge Abstand. Wegen der so sehr verringerten Zuschauerzahl blieb der Beifall doch etwas schütter, das wurde am Schluss aber durch dessen Länge ausgeglichen. Abstand auch auf der Bühne. Das war geschickt gemacht, fast hätte man es nicht bemerkt. Nur die freundliche Aufforderung „Komm her, du darfst mich küssen“ wurde ignoriert, jedenfalls auf der Bühne. Der Dirigent trug Maske, das Orchester, auf 16 Personen reduziert, musizierte unter Spuckschutz, der Chor bestand aus nur je vier Damen und Herren, die Bläser saßen hinter Glasscheiben, und zum Schlussbeifall erschienen alle Teilnehmer mit Maske. Coronamäßig also alles o.k., die Musiker im Graben machten schon vor Beginn neugierig, indem sie Fetzen aus den folgenden Musiknummern zum Besten gaben, gewollt durcheinander.

 

Die chaotisch und konstruiert wirkende Handlung wurde ernst genommen, konnte im Verlauf der Aufführung sehr gut nachvollzogen werden, bekam aber einen interessanten und intelligenten Rahmen, der die nur vordergründige Fröhlichkeit des Geschehens aufbrach. Dies war wohl das Werk des Regisseurs Johannes Pölzgutter, unterstützt von Rasa Akelaityte (Bühne) und Susana Mendoza (Kostüme). Die Story funktioniert, ist aber unter der heiteren Oberfläche tragischer, als man denkt.

 

Dass nicht alles fröhlich endet, zeigt sich schon im ersten Bild. In einer heruntergekommenen Bar erinnert sich ein Mann, nachdem ihm ein Song und ein Tanz lustlos vorgetragen wurden, an die zurückliegenden Ereignisse in Hawaii, die ihn so runtergezogen haben. In Rückblende beginnt dann die eigentliche Geschichte.

Ausgangssituation: Die USA haben Hawaii annektiert und besetzt, die Hawaiianer setzen dem aber Widerstand entgegen. Der soll durch eine arrangierte Heirat der Tochter des amerikanischen Gouverneurs, Betty, mit dem Prinzen von Hawaii, Lilo-Taro, gebrochen werden. Nach dem Willen der von Kanako Hilo angeführten Widerständler soll der aber die in Paris lebende Prinzessin Laya heiraten, die unter dem Namen der französischen Sängerin Suzanne Provence, der Laya zum Verwechseln ähnlich sieht, gerade auf einem amerikanischen Schiff nach Hawaii gebracht wurde. Unterwegs haben aber sie und dessen Kapitän, Stone, sich ineinander verliebt. Das ist der Mann, der sich im ersten Bild so fürchterlich betrunken hat.

Man kann sich jetzt denken, dass so ziemlich alles danebengeht, was schiefgehen kann. Laya steht zwischen zwei Männern und zwischen Liebe und nationaler Pflicht, Betty, dem Prinzen durchaus zugeneigt, hat noch einen anderen Verehrer, die Widerständler lassen nicht locker und zwischen Layas Begleiter, dem Sänger Jim Boy, und der Hawaiierin Raka kommt es zu einem bemerkenswerten Clash der Kulturen.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich gemacht, dass der Gegensatz zwischen zivilisierten Amerikanern und wilden Hawaiianern nur ein scheinbarer ist. Die Einheimischen entpuppen sich als hochgebildet und mit anderen Kulturen wohlvertraut, Raka trägt unter ihrem Baströckchen sogar einen schicken Bikini in den amerikanischen Farben; die Amerikaner wirken dagegen vor allem arrogant und steif.

Jedenfalls: am Ende des 2. Aktes sind alle todunglücklich, Lilo-Taro will ins Wasser gehen, wird aber von seinem Liebesrivalen Stone gerettet, der danach aber im Alkohol versinkt.

 

Aufgabe eines 3. Aktes wäre es jetzt, alles wieder gut zu machen, die Paare, egal wie sie zueinander passen, zusammenzuführen, auch wenn es etwas robust dabei zugeht. Hauptsache Friede und Freude.

Das passiert diesmal aber nicht. Statt des 3. Aktes folgt ein Epilog, schließt sich der Rahmen, wir befinden uns wieder in dem heruntergekommenen Etablissement mit dem betrunkenen Stone. Raka, die Amerika liebende Hawaiianerin, tritt als Conferencière auf, erklärt, dass das, was folgt, in der Operette so sein muss, und führt in einer Art Verfremdungseffekt die Paare zusammen. Das ist eine gelungene komödiantisch dargestellte Reflexion über die Funktion der Operette. Vier Paare werden zusammengeführt. Die Sängerin Suzanne Provence tritt leibhaftig auf, Laya ebenso, beide Frauen bekommen jeweils ihren Mann, werden aber von einer einzigen Sängerin dargestellt. Wie die Hagener das auf die Bühne bringen, wird hier nicht verraten. Einer der Männer ist der plötzlich vor Freude wieder nüchterne Stone.

 

Niemand sollte jetzt fürchten, dass aus einer fröhlichen Operette eine ernste Oper geworden wäre. Auch wenn die Tragik in der Komik gezeigt wird, bleibt es eine schmissige, typische Paul-Abraham-Operette, die man begeistert beklatscht und den großen Erfolg vollkommen nachvollziehen kann, den Abraham vor seiner erzwungenen Emigration hatte. Die unwiderstehliche Mischung: Große, streichergesättigte Liebesduette, die an Lehár erinnern, durchsetzt mit ausgeweiteten Revueelementen, die auch den Stepptanz mit einbeziehen, und Jazz, dessen Harmonik das Ganze durchtränkt. Die gesprochenen Partien gehen punktgenau in die Musikstücke über, die Regie sorgt für Freude und Spaß, u.a. durch komödiantische Einlagen, aber auch für Tiefgang, etwa wenn der politische Hintergrund keineswegs ausgeblendet wird oder Hawaii-Klischees benutzt, aber auch gebrochen werden. Dies wird auch durch das sparsame Bühnenbild verdeutlicht, Podeste mit je einer Palme. Und alle Texte waren durch den Einsatz von Mikroports wunderbar verständlich.

 

Das alles wäre nichts ohne die Musik. Die Abrahamschen Hits (immer wieder die Titelmelodie „Blume von Hawaii“) waren hervorragend gesungen und gespielt. Dafür sorgte das verkleinerte Orchester unter Rodrigo Tomillo mit sanften Streichern in den Liebesduetten und knalligen Bläsern in den Jazz- und Revuepartien. Und eine Hawaii-Gitarre durfte auch nicht fehlen.

Voll dabei auch die bewährten Solistinnen und Solisten des Theaters: Angela Davis in der Doppelrolle als Laya und Suzanne mit besonders schönen Spitzentönen, Penny Sofroniadou als quirlige Raka, Insu Hwang als Widerstandskämpfer Kanako Hilo, Richard van Gemert als Prinz Lilo-Taro und schließlich Kenneth Mattice als Captain Stone. Dazu kamen Gäste und Chormitglieder. Genannt seien hier Alexander von Hugo, der nicht nur singen, sondern auch super stepptanzen kann, als John Buffy, scharf auf Betty, die Gouverneurstochter, und Alina Grzeschick als diese mit mehreren fulminanten Auftritten.

 

Fazit: eine typische Hagener Produktion, volles Engagement und tolle Leistung. Schade, dass das Haus nicht voll werden darf!

 

Fritz Gerwinn

26.10.2020

 

 

 

Weitere Aufführungen: 21.11., 31.12. (2x)2020;

9.1., 20.1., 30.1., 18.2., 30.5., 6.6., 13.6., 23.6., 4.7.2021 (unterschiedliche Anfangszeiten!)