Essen
Aalto Theater
 
Der „Troubadour“ (Giuseppe Verdi)


Musikalische Leitung  Giacomo Sagripanti
Inszenierung                Christian Fenouillat
Kostüme                       Christophe Forey
Dramaturgie                Christian Schröder

 

Mitreißend und klanggewaltig: die Musik in Verdis Troubadour“. Die Oper ist derzeit im Essener Aalto Theater zu erleben. Musikalisch eine Glanzleistung, szenisch mit Schwächen.

 

Der Troubadour gehört trotz des düsteren Sujets zu den beliebtesten und meist gespielten Opern. Das liegt an den schwelgerischen Melodien und der fast überirdisch schönen Musik. Das Publikum feierte Verdi nach der Uraufführung 1853 mit nicht enden wollenden Ovationen. Überall in Roms Straßen erscholl der Ruf: „Viva Verdi, der größte Komponist, den es je in Italien gab“.

 

Nordspanien im 15. Jahrhundert. Politische Wirren um die Thronfolge erschüttern das Land. In nächtlicher Runde berichtet Hauptmann Ferrando der Wachmannschaft über schaurige Ereignisse, die sich vor 15 Jahren im Hause des Grafen Luna zugetragen haben. Der alte Graf hatte zwei Söhne, von denen einer von einer Zigeunerin verflucht wird. Daraufhin wird sie der Hexerei beschuldigt und landet auf dem Scheiterhaufen. Azucena, ihre Tochter muss den grausamen Tod der Mutter mit ansehen. Sie schwört Rache, raubt das Grafenkind und wirft es in die Flammen. In ihrer Verirrung schleudert sie jedoch ihren eigenen Sohn ins Feuer. Manrico (der Troubadour) wächst als ihr Sohn im Zigeunerlager auf. Nur Azucena kennt das Geheimnis seiner Herkunft. Der alte Graf ist überzeugt, dass sein jüngerer Sohn noch lebt, und sucht verzweifelt nach ihm. Die ungleichen Brüder verlieben sich Jahre später in dieselbe Frau, in die adelige Leonora. In unterschiedlich politischen Lagern kämpfend stehen sich die Rivalen eines Tages hasserfüllt gegenüber.

 

Den Troubadour zu inszenieren gilt als schwierig. Die Handlung ist verworren. Ein durchlaufender Handlungsstrang findet sich nicht, stattdessen eine kaleidoskopische Bilderfolge. Durch Erzählungen werden historischer Rahmen und Zeitsprünge in der Handlung deutlich. Als Vorlage diente Verdi das Bühnenstück des Spaniers Antonio Garcia Gutiérrez. Die Umformung in ein geeignetes Libretto übernahm zunächst der Neapolitaner Cammarano, der aber noch vor der Uraufführung verstarb. Sein Mitarbeiter Leone Emanuele Badare vollendete das Textbuch. Wegen der dramaturgischen Schwächen des Librettos gibt es bis heute viel Kritik.

Verdi nahm nicht nur Einfluss auf das Opernbuch, er machte auch Entwürfe für Kostüme (Agostino Cavalca) und Bühnenbild. Noch kurz vor der Uraufführung bestand er auf Verbesserungen und klagte auch danach über das Bühnenbild.

 

In Essen wagte sich das Regieduo Patrice Caurier und Moshe Leiser an die Inszenierung. Was hätte Verdi wohl zu den schlichten Kostümen und dem nüchternen Bühnenbild gesagt? Vermutlich: zu nüchtern und fantasielos. Auf der Einheitsbühne von Christian Fenouillat spielt sich die komplexe Handlung ab. Der karge weiß-graue Raum mit Neonlampen erinnert an eine große Lagerhalle. Sie wird zum Kriegsschauplatz, Kloster, Krankenzimmer und Gefängnis. Bei Szenenwechsel wird das Mobiliar einfach umgeräumt. Bei Verdi sind es Zigeuner, die als Außenseiter stigmatisiert werden, bei Caurier/Leiser dagegen Migranten und Flüchtlinge, Menschen anderer Kulturkreise. Sie werden Opfer von Misshandlungen, Diskriminierungen und Erschießungen durch Soldaten. An einer Gummipuppe wird eine Vergewaltigung demonstriert. Soldaten richten ihre Gewehre in Richtung des Zuschauerraums, Stacheldrahtzäune markieren Grenzen, eine Bombe explodiert, Soldaten stürmen mit Maschinengewehren auf die Bühne, genau zu dem Zeitpunkt als Manrico zur berühmten Stretta ansetzt. An der Veranschaulichung von Brutalität und Grausamkeit spart die Regie nicht.  Krieg ist eben Krieg, der Tod allgegenwärtig, will sie zweifellos sagen.

 

Nicht umsonst findet sich im Programmheft gleich zu Beginn Verdis Aussage, mit der er sich nach der Uraufführung gegen die Kritik an seinem Werk zur Wehr setzte.

 »Sie sagen, diese Oper sei zu traurig, und es gebe darin zu viele Tote, aber ist nicht alles Tod im Leben?«

Kindermord, Brudermord, Selbstmord, Rache, Hass und große Liebe, die Inszenierung  lässt nichts aus. Konflikte, die üblicherweise starke Emotionen auslösen. Doch davon ist wenig zu spüren. Die Protagonisten bewegen sich nicht viel, es fehlt eine ausgefeilte Charakterisierung. Zwar versucht die Regie im Sinne des Komponisten mit einer breiten Palette von schnell aufeinanderfolgenden Bildern, Stimmungen zu produzieren, doch die Tableaus sind oft zu klischeehaft. So fragt man sich beispielsweise, warum Leonora so verliebt ist in den Troubador. Viele Fragen tun sich auf. Die Handlung zieht vorüber, doch vergeblich hofft man auf eine Antwort. Das Geschehen berührt nur selten. Was die Inszenierung nicht schafft, das gelingt umso mehr der Musik.

Nur Carmen Topicu in der Schlüsselrolle der nach Rache dürstenden Zigeunerin »Azucena« vermag es zu fesseln und die innere Zerrissenheit einer Außenseiterin zu offenbaren. Mit glühendem Mezzosopran gestaltet sie ergreifend die anspruchsvolle Partie.

 

Die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Giacomo Sagripanti präsentieren sich in Hochform. Die geniale Verdi Partitur dringt machtvoll und mit hinreißendem Schwung aus dem Graben. Klangschön der Aalto Chor (Jens Bingert), der pure Gänsehaut spüren lässt.

 

Gaston Rivero (Tenor) in der stimmlich meist beachtesten Rolle des "Troubadours", verbindet musikalische Durchschlagskraft mit lyrischer Geschmeidigkeit. Hinreißend: Aurelia Florian als Leonora. Sie fasziniert mit beweglichem Sopran und Souveränität in den Koloraturen. Nikoloz Lagvilavas  stimmgewaltiger Bariton gibt der Figur des skrupellosen Grafen Luna eine raumgreifende Präsenz.

Auch die kleinen Partien erfüllen mit Baurzhan Anderzhanov, (Ferrando) Albrecht Kludszuweit (Manricos Vertrauter) und Liliana de Sousa (Ines) alle Erwartungen.

 

Fazit

Eine musikalische Meisterleistung! Unbedingt hingehen!

 

(Ursula Harms-Krupp)