ELEKTRA

Mezzosopranistin Doris Soffel (Foto: Boris Streubel).
Mezzosopranistin Doris Soffel (Foto: Boris Streubel).

ELEKTRA

Tragödie in einem Aufzug von Richard Strauss
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musikalische Leitung Georg Fritzsch, Tomáš Netopil
Inszenierung David Bösch

Bühnenbild Patrick Bannwart, Maria Wolgast
Kostüme Meentje Nielsen
Licht-Design Michael Bauer
Dramaturgische Betreuung Markus Tatzig
Choreinstudierung Patrick Jaskolka

Premiere am 19. März 2016
gesehen am 23.03.2016

Das Grauen lauert überall


Das Grauen ist omnipräsent. Blutbeschmierte Wände, Elektras blutbesudeltes Kleid, Kinderspielzeug, ein gekritzelter Satz: „Mama, where ist Papa“? Etwas Entsetzliches ist geschehen. David Böschs Gruselthriller präsentiert Protagonisten, die kein normales Leben mehr führen können.

Mord, abgrundtiefer Hass und Rache, darum geht es in der Geschichte der »Elektra«.
David Bösch inszenierte die antike Tragödie bereits 2014 als Kooperation mit der Opera Vlaanderen. Im Aalto-Theater hatte »Elektra« jetzt Premiere. Bösch begann seine Karriere als Theaterregisseur am Schauspiel Essen. Dort inszenierte er u.a. mit großem Erfolg: „Antigone“, “Woyzeck“ und „Liliom“.

Nach der Rückkehr aus Troja wird Agamemnon, der König von Mykene, von seiner Gattin Klytämnestra und ihrem Liebhaber Aegisth mit einem Beil erschlagen. Der Vorgeschichte zur Bluttat schenkte Librettist Hugo von Hofmannsthal wenig Bedeutung. Agamemnon hatte während seines jahrelangen Feldzuges in Troja, Iphigenie, die gemeinsame Tochter der Göttin des Windes geopfert. Für den genialen Dichter steht  "Elektra" im Zentrum der Handlung. Die  psychologische Seite des antiken Stoffes interessiert ihn. Wie viele seiner Zeitgenossen hatte er sich mit Freuds Psychoanalyse auseinandergesetzt.

Elektra hatte den Mord an ihrem Vater mit angesehen. Seitdem lebt sie nur noch für ihre Rache. Um Orest, ihren jüngeren Bruder vor dem Mörderpaar zu schützen, bringt sie ihn in Sicherheit. Sein Leben ist in großer Gefahr, denn so wollen es die Götter, Orests Pflicht ist es, den Tod des Vaters zu rächen. Apoll höchstpersönlich befiehlt den Tod der Mutter. Damit liegt ein Fluch auf dem Haus der Atriden.
Fortan sind die Schwestern Elektra und Chrysothemis den Beschimpfungen und Repressalien ihrer Mutter ausgesetzt. Wie Gefangene leben sie im Vorhof des Palastes.

Bösch legt den Fokus der Inszenierung auf das frühkindliche Trauma. Kinder-Mobiliar Holzschaukelpferd und Spielzeug platziert auf der Bühne lassen auf eine bessere Zeit der Geschwister schließen. Orests Schock ist riesengroß, als er als Rächer unter falschem Namen zurückkehrt und die Objekte seiner Kindheit wiedererkennt.

Elektra lebt in ihrer eigenen Welt mit Grablichtern und Wahnvorstellungen. In den Händen hält sie das Foto des geliebten Vaters, dessen Verlust sie niemals überwunden hat. In ihrer Schwester Chrysothemis, glaubt sie eine Komplizin für ihre Rachepläne gefunden zu haben. Doch diese macht ihr Vorhaltungen und warnt sie vor der Mutter, die sie in den Kerker stecken will. Chrysothemis, charakterlich wesentlich zurückhaltender als Elektra, sucht nach Orientierung, Halt und einer Perspektive für die Zukunft. Sie ist beseelt vom  Wunsch das Traumata des Vatermordes zu vergessen. Ein Hochzeitsschleier symbolisiert ihr Verlangen.

Weitaus exzessiver verhält sich Elektra, die mit unbändigem Hass den Tod der Mutter und ihres Liebhabers fordert. Die selbstzerstörerische Liebe zu ihrem Vater wird zum Motor der Handlung. In ihren Rachephantasieorgien malt sie sich den Tod der Mutter und ihres Geliebten aus. Bösch ist für seine exzellente Personenführung bekannt. In der Fokussierung auf die Titelfigur macht er die psychologischen Verstrickungen transparent. Elektras Lebensziel heißt ausschließlich Rache, ein anders verfolgt sie nicht. Dramaturgisch ist ihr Tod, am Ende des blutigen Finales, von Beginn der Oper an festgelegt. Das Beil, mit dem ihr Vater erschlagen wurde, versteckt sie, um es für Orests Rache an der Mutter und an Aegisth zu benutzen.

Die Konflikte

In den Begegnungen zwischen Elektra und Chrysotemis, Elektra und Klytämnestra und Elektra und Orest werden die wichtigsten Konflikte der Oper verhandelt. Elektras Streit mit der Mutter kulminiert in ihrer Morddrohung gegen sie. Als Klytämestra ihre Tochter um Rat fragt, wie sie sich von ihren Schuldgefühlen befreien könne, stürzen plötzlich verschnürte Pakete voller Tierkadaver herab. An Klytämnestras  Körper sind Schläuche befestigt, ganz so, als müsse sie sich mit dem Opferblut der Tiere Lebenselixier zuführen.

»Schlachtopfer bewirken nichts, nur der Tod bringt Erlösung«, orakelt Elektra gegenüber der Mutter. Das irre Lachen Klythämestras, als sie vom Tod Orests hört, durchdringt gespenstisch den Raum.

Orest kann seinem Schicksal nicht entgehen. Elektra drängt ihn die Rache, auf die sie so ungeduldig gewartet hatte, endlich zu vollziehen. Orests schleppender Gang, sein Zögern, demonstriert das Entsetzen über die Blutrache, die von ihm verlangt wird.

Die geniale Musik Richard Strauss fesselt von Beginn an und verleiht den seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten eine empathische Sprache. Das Eintauchen in eine düstere Welt, in der es keine Freude gibt, nur noch Hass und Tod wühlt auf und kann fast körperlich nachempfunden werden. Die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Tomáš Netopil verstehen es grandios, die Dramatik und Komplexität der Strauss-Partitur wiederzugeben.
 
Großartig auch das Sängerensemble, insbesondere »Rebecca Teems« begeistert in der Rolle der „Titelfigur«. Die hochdramatischen Anforderungen der Partie bewältigt sie mühelos bis in die Spitzentöne. Fast zwei Stunden agiert die Sopranistin ununterbrochen auf der Bühne. Authentisch vermag sie es den zerrütteten Seelenzustand Elektras zum Ausdruck zu bringen. Die international gefragte Mezzosopranistin »Doris Soffel« fasziniert als stimmgewaltige, überspannte Klytämnestra mit enormer Ausstrahlung.

Bösch würzt die Rolle der »Königin“ mit einer kräftigen Prise Fantastik. Die rothaarige, extravagant ausstaffierte Herrscherin erinnert eher an eine Zauberin oder Hexe als an eine Regentin. Katrin Kapplusch beeindruckt als Chrysothemis mit schlankem Sopran. Ihre Rolle lässt auch Raum für leisere Töne.

»Almas Svilpas« Orest offenbart die ganze Tragik dieser mythologischen Figur. Bösch verleiht ihm ein eher unauffälliges Profil, keinesfalls als Held in der Inszenierung charakterisiert, ist er Werkzeug für Elektras Rachepläne und Erfüllungsgehilfe für Apolls Fluch über das Haus der Atriden. Svilpas stellt das beeindruckend dar.
Die großartigen Leistungen des Ensembles werden mit viel Beifall honoriert!
(U-HK)
Nächste Aufführungen: 3./7./16.April, 22 u. 29. Mai. Karten (27 - 55 €) unter 0201 - 81 22 200 oder www.aalto-musiktheater.de