Essen

 

Zwischen Orgie und Sanatorium

La Traviata in Essen

 

Premiere am 5.5.2012

 

Kann man zu „La Traviata“ von Verdi noch etwas Neues sagen, bisher nicht entdeckte Schichten frei legen? Durchaus, wie diese Inszenierung zeigt.

Regisseur Josef Ernst Köpplinger lässt sie in den Jahren 1928/29 spielen, kurz vor der großen Depression, als Tanz auf dem Vulkan. Dies wird nicht nur anhand der Kostüme deutlich, sondern auch an der sehr freizügigen Umsetzung der „Partyszenen" (1. und 3. Bild), die in dieser Weise in der Entstehungszeit der Oper wohl nicht stattgefunden hätten.

 

Die Oper ist als Rückblende aus der Sicht Violettas inszeniert. Die Protagonistin liegt im Sanatorium und lässt die letzten Monate ihres Lebens Revue passieren lässt (aus dramaturgischen Gründen also keine Pause!)

 

In einem Alpensanatorium – draußen schneit es – stehen sechs Betten: ein Arzt und zwei Krankenschwestern mit Mundschutz behandeln hektisch, fast roboterhaft die Patienten. Violetta, im mittleren Bett vorne, erhält Besuch von ihrer Freundin. Der Arzt schüttelt mit dem Kopf, während er sich mit Violetta unterhält.

Plötzlicher Wechsel der Szenerie: die Gesellschaft stürzt herein. Arzt, Krankenschwester, ein krankes Kind verschwinden.

Sie wandeln sich zu Mitfeiernden von Violettas Fest.

 

Vielen Inszenierungen zeigen nicht sofort eindeutig, dass Violetta eine Hure ist. Bei Köpplinger gibt es keinen Zweifel. Eine Orgie in privaten Räumen mit Huren, Strichern, nacktem Fleisch und öffentlicher Liebe ist zu sehen. Damen in feinen Kleidern trinken Sekt aus der Flasche.

 

Nicht nur die Essener Statisterie ist hervorragend eingestellt, auch die Damen und Herren des Chores singen bravourös und präsentieren sich als überzeugend laszive Darsteller der Edelpuffparty. Inmitten der wunderbar eleganten Kleider und schicken Anzüge wirkt Violettas Hosenanzug (Kostüme: Alfed Mayerhofer), deplaziert. Sie legt ihn während der gesamten Handlung nicht ab.

 

 

Alfredo gesteht Violetta seine Liebe. Das Paar ist nicht alleine. Es wird beobachtet. Die Beobachter verschwinden erst, als sie merken, dass es um wahre Liebe geht, die in diesen Räumen keine Chance hat. Im letzten Teil von Violettas großer Arie verwandeln sich die Feiernden wieder in Patienten und steigen zurück in die Betten, die vorher intensiv genutzte Lustbetten waren.

Im 2. Bild bringt Vater Germont  seine Tochter im Brautkleid mit. Verschleiert und verschüchtert bleibt sie an der Tür stehen. Sie steht vollkommen unter der Knute ihres diktatorischen und selbstgerechten Vaters. Wolken ziehen auf der Leinwand hinter ihr vorbei. Diese betonen ihr engelhaftes Wesen. 

Im 3. Bild zeigt sich sehr deutlich das unselbständige, linkische Verhalten Alfredos. Beim Wiedersehen mit Violetta im letzten Bild knöpft er erst erst einmal umständlich den Mantel auf, bevor er die beiden letzten Meter zu ihr überwindet.

Violettas Wandlung – ihr weiches Herz sozusagen – wird dagegen vor allem im 2. Bild überzeugend dargestellt. Interessant sind die Ballettszenen in der Inszenierung (Choreographie Karl Alfred Schreiner). Die Stierkämpfer zeigen die Verbindung von Liebe und Tod, der Tod ist allgegenwärtig. Sie verwandeln sich in Stiere mit blutender Wunde auf der Brust. Auch der Einbruch der Karnevalsgesellschaft im letzten Bild als Todesvision ist bemerkenswert: die jetzt mit Totenschädeln auftretenden Stierkämpfer werden kontrastiert von einer Geigen spielenden Kinderschar, die Violetta brutal auslachen.

 

All dies findet in einem Einheitsbühnenbild statt ( Johannes Leyacker), das aber mit wenigen Mitteln entscheidend verändert werden kann. Mehrere Ebenen auf der Bühne, große Fenster, ein klassizistisches Portal, hinter dem passende Videoeinblendungen gezeigt werden, ein großes Bild von Alfredo während Violettas großer Arie im 1. Bild und die schon erwähnten Wolken.

 

Spannungsreich und energisch interpretiert Felipe Rojas Veloso Alfredos Arie „De miei bollenti spiriti“. Auch hervorzuheben die Extraklasse-Begleitung des Klarinettisten bei Violettas „A quel amor“!! Auffallend: die genau beachteten und das Geschehen auf der Bühne differenzierenden dynamischen Unterschiede, etwa bei Violettas „Amami Alfredo“ im 2. Bild, wo immer wieder nach den Unheil verkündenden Paukenwirbeln ins Piano zurückgegangen wurde. Und überhaupt: Viele Pianostellen, fast bis ins Pianissimo zurückgenommen, wo sonst oft Mezzoforte gespielt wird: z.B. bei Germonts „Pura siccome un angelo“ oder Violettas „Dite alla giovine“.

 

Alle Rollen waren fantastisch besetzt, nicht nur sängerisch, sondern auch darstellerisch. In Hochform die drei Protagonisten, Felipe Rojas Veloso als Alfredo, Aris Argiris als Vater Germont und besonders Liana Aleksanyan als Violetta.

 

Riesenbeifall für die Sänger.

 

(Fritz Gerwinn)

 

Die Vorstellungen am 12.,.15.,.20.5., 22.6.12 sind ausverkauft. Restkarten gibt es für den 17., 25., 28., 31.5., 3.6.12. Eine Wiederaufnahme in der nächsten Saison, ab 30.9.12 , ist vorgesehen.

 

www.aalto-theater.de