KAMMEROPER ÜBER DIE ELBERFELDER BARRIKADENKÄMPFE

Premiere: 04. März 2012

"Aufstand"

 

Die Wuppertaler Bühnen haben ein ehrgeiziges Projekt erfolgreich gestemmt. „Aufstand“ heißt die Kammeroper, die die Elberfelder Barrikadenkämpfe von 1849 in den Blick nimmt.

 

Das Libretto stammt von Feridun Zaimoglu, die Musik dazu schrieb Enver Yalcin Özdiker – beide Autoren stammen aus der Türkei und leben seit geraumer Zeit in Deutschland.

 

Das Bühnenbild markiert die drei großen Szenen des Stücks: zuerst stehen auf der Bühne Einzeltische, die werden dann zu einer großen Tafel zusammengeschoben, über der ein Kronleuchter hängt; in der dritten großen Szene werden diese Tische dann zu einer Barrikade umgebaut. Jede Großszene besteht wiederum aus vielen Einzelszenen, in denen die Wünsche, Ansichten und Taten der handelnden Personen deutlich gemacht werden.

Der aus der Türkei stammende Autor Feridun Zaimoglu hat zusammen mit Günter Senkel ein Libretto geschrieben, das den Elberfelder Aufstand von 1849 zum Thema hat, aber nicht nur Geschichte beleuchtet, sondern das Aufeinandertreffen von Individualität und Politik in den Mittelpunkt stellt.

 

Beide Töchter des Elberfelder Tuchfabrikanten Gottfried Jansen (Olaf Haye) verlieben sich in den falschen Mann. Graziella, die ältere (Kristina Stanek), hat sich in den preußischen Major Robert von Arrenberg (Marek Reichert) verliebt, obwohl sie politisch demokratische Ideen vertritt; deshalb wird sie auch als rote Suffragette beschimpft, sie steht ihrem Vater so gegenüber wie eine Achtundsechzigerin vor 40 Jahren ihren Eltern. Sie übernimmt auch in der Liebe die Initiative, sehr zum Verdruß des verklemmten Oberst, der soviel Tatkraft von einer Frau nicht erwartet. Susanne, die zweite Tochter (Dorothea Brandt), ist dagegen zuerst konservativ und angepasst, hat sich aber in den revolutionären Arbeiter Anton (Christian Sturm) verliebt – Emotionen sind eben stärker als gesellschaftlicher Stand. Sie verlässt aber ihr Elternhaus, geht mit Anton. Die Entwicklungen der Barrikadentage sind für beide tödlich. Die beiden Männer sterben noch früher, der Oberst als erstes Opfer des Barrikadenkampfes (alle, auch Anton haben auf ihn geschossen), Anton fällt im weiteren Verlauf der Unruhen. Engels erscheint in diesem Zusammenhang als blutleerer Theoretiker. Gesellschaftliche Heuchlerei wird auch hier gezeigt, wenn am Schluss klar wird, dass das Dienstmädchen (Annika Boos) schon lange die geheime Geliebte des Vaters ist und das auch ganz selbstverständlich findet. Die sehr schlüssige und gut nachvollziehbare Inszenierung besorgte der Wuppertaler Schauspielintendant Christian von Treskow.

 

Die Musik dieser Kammeroper stammt von Enver Yalcin Özdiker, der wie Zaimoglu aus der Türkei kommt, aber seit 2004 in Deutschland lebt. Irgendwelche Anklänge an türkische Musik hört man aber überhaupt nicht, der Komponist bedient sich des gesamten Spektrums der avantgardistischen Musik. Zwar erscheint es zuerst so, als unterstütze die Musik den Gesang kaum; bei aufmerksamem Zuhören wird aber deutlich, dass sie den Gestus der Handlung wiedergibt und unterstützt. Auch wird nicht nur gesungen, sondern auch zur Musik gesprochen: dabei fällt schon auf, dass eher Gefühlsmäßiges angesprochen ist, wenn gesungen wird, und dadurch die Gefühle intensiviert werden, und gesprochen, wenn die Handlung weitergeht oder vorangetrieben wird. Es gibt Andeutungen eines Trauermarsches und eines aggressiven Geschwindmarsches, aber auch aperiodische Klangflächen (hier fallen besonders Akkordeon und Cembalo auf), denen wiederum stark rhythmisch geformten Passagen gegenüberstehen. An Wendepunkten schweigen die Musiker ganz und aus den Lautsprechern dringt bedrohlich wirkende elektronische Musik.

Es ist anstrengend, dieser Musik zu folgen, aber allemal lohnend. Hoch zu loben sind die Musiker des Wuppertaler Orchesters, die diese Musik unter Leitung von Tobias Deutschmann eingeprobt haben und dabei ihren Instrumenten alle möglichen neuen und ungewöhnlichen Klangfarben entlocken mussten. Während des Stückes sind sie den Blicken der Zuschauer fast ganz entzogen, weil sie von einem Rollo abgetrennt hinter der Spielfläche agieren. Danach dürfen sie verdientermaßen zusammen mit den Sängern den Applaus des begeisterten Publikums entgegen nehmen. Fast noch höher einzuschätzen ist die Leistung der Sänger, da von dieser so gearteten Musik kein Klavierauszug herzustellen ist und auch kein Instrument die Melodiestimme mitlaufend unterstützt. Wie der Dramaturg in seiner Einführung berichtete, lagen hier bei den Proben sehr große Schwierigkeiten, die aber offenbar mit viel kreativer Arbeit hervorragend gelöst wurden.

 

Also: Hingehen! Es gibt noch vier Aufführungen: Sa 28.4., So 13.5., So 20.5, Sa 26.5. Am 20.5. findet im Anschluss an die Aufführung eine Lesung des Autors Feridun Zaimoglu statt.

 

Ein besonderes Schmankerl: Am Sa, 12.5. findet eine Historische Stadtführung zum Thema Aufstand in Elberfeld statt (Treffpunkt um 14 Uhr vor der Laurentiuskirche). Da kann man die Orte besuchen, an denen das, was im Stück verarbeitet wird, tatsächlich passiert ist.

 

Fritz Gerwinn