Federleicht mit Abstand

Brillante neue „Zauberflöte“ im Wuppertaler Opernhaus
Premiere am 13.9.2020

 

 Endlich: die langersehnte Saisoneröffnung der Wuppertaler Oper nach dem Corona-Abbruch der letzten Spielzeit. Wie würde man das lösen? In Salzburg hatte es Abstand und Begrenzung der Zuschauerzahlen gegeben, dagegen durchaus Körperkontakt auf der Bühne und deshalb viele Tests. Um es vorweg zu sagen: in Wuppertal gab es eine schlüssige, kreative Lösung, Bestandteil einer erfolgreichen Arbeit des gesamten Regieteams, die das Publikum sehr erfreute, so dass der Schlussbeifall fast die Lautstärke eines vollen Hauses erreichte. Auch zwischendurch wurde immer wieder geklatscht, das belohnte aber nicht nur die tollen Leistungen der SängerInnen, sondern auch etliche Regieeinfälle.

 

Was Corona angeht: auf der Bühne noch perfekter als im Parkett. Dort hatte man zwar zur Seite hin genügend Platz bis zur/m Nebenfrau/-mann, bis zum Menschen eine Reihe davor war das aber manchmal zweifelhaft. Auf der Bühne dagegen wurden die Abstände konsequent eingehalten, Corona-geschuldet wirkte es aber überhaupt nicht, sondern kreativ und lebendig, auch durch den Einsatz der Drehbühne und die umfangreichen Videofilme. Auch die Chöre waren sinnvoll eingesetzt, bei vollem Chor vom Band, mehrfach von den seitlichen Balkonen, beim „Chor der Priester“ sogar auf der Bühne, Im Kreis singend konnten die Mitglieder des Männerchors untereinander genügend Abstand halten.

 

Zu Beginn des zweiten Aktes ein Highlight: Da Schminken z.Zt. wohl schwierig ist, taten das im Videofilm die als ägyptische Priester gewandeten Männer schon zu Hause, putzten sich schon im Kostüm die Zähne oder frühstückten, enterten dann Fahrrad, Roller oder Auto, kamen dann alle gemeinsam als ägyptische Priester im Jahr 2020 von der Schwebebahnhaltestelle Adlerbrücke im Wuppertaler Regen zum Opernhaus. Dass eine Priestersgattin ihrem Mann, bevor dieser zu seiner eminent wichtigen Tätigkeit aufbricht, beim Abschiedskuss in der Wohnung noch schnell ein volle Mülltüte in die Hand drückt, ist dabei ein wunderbares Beispiel für die Herangehensweise des Regieteams, das viele Charakteristika der Personen ironisiert, karikiert, überspitzt.

Und dann waren da noch zwei systemrelevante Putzfrauen, die schon eine halbe Stunde vor Beginn und immer wieder zwischendurch Sarastros Palast unablässig reinigten. Und deshalb bekommt am Ende zwar zuerst Tamino vom abgedankten Sarastro den Schlüssel für sein Reich, gibt ihn dann aber weiter an eine der beiden. Schöne Schlusspointe!

 

Coronabedingungen ließen also kreative Ideen sprießen. In der Inszenierung gab es zwei wichtige Leitlinien: alles Weihevoll-Pathetische war der Aufführung radikal ausgetrieben, und das Ganze spielte in Wuppertal. Wer beim Lesen des Programmheftes noch zweifelte, ob Prinz Tamino, aus fernen Zeiten kommend, am Grifflenberg landet und die Schwebebahn für eine bösartige Schlange hält, wurde schnell eines Besseren belehrt und konnte die vergnüglich erzählte Geschichte genießen. Zuviel verraten sollte man nicht, aber einiges kann man schon mal andeuten, um die Vorfreude auf die Aufführung zu erhöhen:

Die Burg Sarastros, in der Pamina gefangen gehalten wird, ist das Wuppertaler Opernhaus, und während der Ouvertüre werden die drei Damen und die Königin der Nacht vor die Tür gesetzt. Im Kostüm irren sie durch die Barmer Innenstadt, haben einen denkwürdigen Auftritt im BIZ, finden sich dann, doch in moderner Kleidung, als Angestellte eines Imbisswagens wieder. Der Imbiss heißt „Queen Burger“, die Nummer des Autos W – KV 620 (die Köchelverzeichnis-Nummer der „Zauberflöte“), und hinter dem Auto wird explosives Material zur Erstürmung des Opernhauses gelagert.

 

Sarastros Reich ist kein heller Ort der Aufklärung, obwohl deren Thesen durchaus gesungen werden, sondern eher ein Hort der Reaktion. Regisseur Bernd Mottl verstärkt hier besonders die von Anfang an bestehende Widersprüchlichkeit der Oper, die keine schöne glatte Geschichte erzählt, sondern oft geradezu im Zickzack verläuft. Den dunklen Eingeweide-Gängen des Opernhauses stehen ägyptische Säle mit grandiosen Säulen gegenüber, die sich dann aber als Papp-Kulisse entpuppen. In dieser Umgebung braucht man sich dann auch nicht weiter um die reaktionären und frauenfeindlichen Sprüche zu kümmern, die Sarastro absondert. Die kommen einem fatalerweise sogar ganz aktuell vor, wenn man an bestimmte regierende Politiker denkt. Die 77 Sohlenstreiche, die Sarastros Sklave(!) Monostatos als willkürliche Strafe erhält, weil er seine Aufgabe, Eindringliche zu entdecken, erfüllt hat, hört man deutlich, auch seine Schmerzensschreie, und danach kann er auch nicht mehr richtig laufen.

 

Dass die ganze Geschichte in Wuppertal spielt, ist unverkennbar. So spielen die beiden Szenen, in denen Pamina bzw. Papageno sich umbringen wollen, unter dem Schwebebahngerüst, die Knaben, die beide retten, fahren schon mal auf ihrer hinteren Sitzbank durch Vohwinkel, wenn auch in Rokokokostümen. Auch die derzeit häufigen Betriebsstörungen werden thematisiert und bewirken viele Lacher. Die Schwebebahn ersetzt auch die Schlange, vor der der aus ferner Zeit kommende Tamino im morgenländischen Kostüm panische Angst hat. Etliche Gebäude, z.B. die Bundesbahndirektion und das Engelshaus, kommen immer wieder vor, im in die Handlung eingreifenden Film.

 

Diese von Jörn Hartmann gedrehten Filme sind entscheidender Bestandteil des Regiekonzepts. Sie zeigen zum einen selbständige Geschichten, die aber zur Handlung gehören oder zu ihr hinführen. Requisiten werden vergrößert und verlebendigt, zum Beispiel das Bild Paminas. Dann können sie zwei Ebenen zeigen, indem reale Personen vor dem Film agieren. Das Geschehen auf der Bühne wird auch mal kommentiert, indem bei Papagenas und Papagenos Kinderwunsch-Duett sich Paare auf der Wuppertaler Hardt küssen, am Schluss dieser Sequenz sogar ein weibliches Paar engumschlungen eine Wiese runterrollt. Schließlich wird der Laterna-Magica-Effekt benutzt: so rennt Pamina im Film durch die labyrinthischen Gänge des Opernhauses, verschwindet durch eine Tür im Hintergrund – und ist plötzlich als reale Person auf der Bühne. Die ideenreichen Filme sind haarscharf mit dem gesamten Regiekonzept abgestimmt. Das Regieteam wird vervollständigt durch Friedrich Eggert, für Bühnenbild und Kostüme zuständig, der damit die Intentionen der Regie folgerichtig umsetzt, das Bühnenbild so einrichtet, dass es Coronabedingungen erfüllt, ohne dass man es merkt, auch viele passende Ideen zu den Kostümen aus unterschiedlichen Zeiten beisteuert.

 

Die Umsetzung ist heiter, fröhlich, federleicht. Zwei Beispiele für die Konterkarierung einer drohenden weihevoll-würdigen Stimmung: In er ersten Arie der Königin der Nacht gibt in einer Gesangspause das Imbissauto (KV 620) unangenehme, verdächtige Laute von sich, und in die feierliche Versammlung der Priester platzte ein Zuspätkommer. Überhaupt war die Handlung bis in die kleinsten Details äußerst lebendig angerichtet, in jeder Arie passierte etwas Überraschendes. Andererseits wurden die tieferen Gefühlsregungen der Personen herausgehoben, vor allem dann, wenn sie ihre Seelenqualen äußerten: das passierte dann allein, vor dem Vorhang.

 

Das alles hätte aber nicht funktioniert, wenn das Orchester und das Wuppertaler Opernensemble nicht so begeistert mitgemacht hätten. Das verkleinerte Orchester (der Graben war mit einem Spuckschutz abgedeckt) unter dem Dirigat von George Petrou begleite aufmerksam und sensibel, überzeugte auch in den Instrumentalteilen, obwohl einem besonders da der volle Orchesterklang fehlte. Coronabedingt gab es bei den Sängern keinen Gast, so dass das Wuppertaler Ensemble brillieren konnte. Schon in den vorher gedrehten Filmen zeigten alle hervorragende darstellerische Leistungen; dass setzte sich im Opernhaus fort, wo sie auch ihre sängerischen Qualitäten entfalten konnten. Sehr bewegend Ralina Ralinova als Pamina vor allem in ihrer Arie „Ach, ich fühl´s“, in der sie, nur zart vom Orchester begleitet, die Schönheit ihrer Stimme voll ausfahren konnte, gerade bei besonders leisen Passagen. Hier hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören. Prächtig und makellos auch Nina Koufochristou in den beiden Arien der Königin der Nacht. In der ersten Arie gelang es ihr sogar, die extreme Alkoholabhängigkeit dieser Figur auch stimmlich auszudrücken. Die drei Damen (Elena Puszta, Iris Marie Sojer, Joslyn Rechter) assistierten ihr dabei auch choreographisch, werteten ihre Rolle auch durch entsprechende sängerische Leistungen auf. Sangmin Jeon überzeugte mit schönen lyrischen Tönen als in die Gegenwart geworfener Tamino, Sebastian Campione mit schwarzem Bass als rückwärtsweisende Parolen ablassender Sarastro. Sehr beklatscht wurde Simon Stricker als Papageno, nicht nur gesanglich toll, sondern auch mit akrobatischen Einlagen aufwartend. Eine kleine Paraderolle gab es für den Monostatos von Mark Bowman-Hester, der noch beim Schlussbeifall an den willkürlichen 77 Sohlenstreiche Sarastros litt. Keinen Schwachpunkt gab es auch bei den kleineren Rollen, von Mitgliedern des Opernstudios gesungen und gespielt.

 

Tolle Aufführung, viel Beifall! Unbedingt Karten besorgen, denn wegen Corona gibt es nicht so viele!

 

Fritz Gerwinn, 15.9.2020

 

Weitere Aufführungen:

20.9., 26.9., 16.10., 24.10., 25.10., 6.12., 12.12.2020, 30.1.2021

(unterschiedliche Anfangszeiten!)