Essen

 

„A Clockword Orange“

Inszenierung: Hermann Schmidt-Rahmer

 

Premiere: Schauspiel Essen, 7. April 2013

 

Grenzenlose Gewalt

Gewalt in der Familie, in der Schule, auf der Straße, Gewalt gegen Ausländer und Andersdenkende. Kaum ein Tag ohne Hiobsbotschaften. Wie geht die Gesellschaft damit um?

 

Der Klassiker

 

Anthony Burgess veröffentlichte 1962 seinen Roman „A Clockword Orange“ und wurde damit auf der Stelle berühmt. Darin geht es um Gewalt, Brutalität, Exzesse und um Gehirnwäsche. Eine Bande aggressiver Jugendlicher treibt ihr Unwesen und stürzt sich voller Hass und blinder Zerstörungswut auf wehrlose Opfer. Von ihren grausamen Gewaltorgien sind sie durch keinerlei Maßnahmen abzubringen.

 

Hermann Schmidt-Rahmer inszeniert „A Clockword Orange für das Schauspiel Essen. Die Inszenierung folgt der Struktur des Romans. Allerdings sind die Texte auf die heutige Zeit bezogen und stellen gesellschaftliche Probleme in aller Schärfe dar.

 

In sieben Szenen werden dem Publikum die Bannbreite menschlicher Gewaltfähigkeit vor Augen geführt und Erklärungsversuche abgegeben.

 

Glückshormon

 

Doch zunächst tritt ein „Wissenschaftler“ vor das Publikum. Der Nationalökonom Paul Zak (Daniel Christensen) preist in einer Performance die Bedeutung des Schwangerschaftshormon Oxcytocin. Auch als Moralmolekül deklariert, fördert es die Empathie und soll glücklich machen.

Die Drehbühne (Thilo Reuther) zeigt ein gutbürgerliches Haus. Es schellt. Unter dem Vorwand „bitte ein Glas Wasser, meinem Bruder ist schlecht", dringt die Gang ins Haus ein. Täter und Opfer stehen sich gegenüber. Der Horror beginnt.

 

Die sieben Schauspieler wechseln brillant ständig die Rollen; spielen Menschen mit Migrationshintergrund, mit ADHS, Missbrauchserfahrung, religiöse Fanatiker, vernachlässigte Wohlstandskinder, etc.

Auch das Publikum wird mit in die Handlung einbezogen. Wie ist den Tätern beizukommen? Wie reagiert die Gesellschaft? Müsste sie nicht endlich einschreiten, den Exzessen ein Ende bereiten, eine Grenze ziehen?, fragt Alex (Daniel Christensen) lautstark in Richtung Zuschauerraum.

 

Zeitbezug

Rahmer setzt den Romanstoff nicht eins zu eins um, sondern arbeitet ihn an Zeitfragen ab. Seine Protagonisten stehen unter ständiger Beobachtung, werden analysiert, müssen sich Experimenten unterziehen.

So fragt Bettina Schmidt wiederholt: “Ist dieses Kind noch normal?“ "Es beginnt also mit Drogen"? Das Marschmallow Experiment testet Kinder und legt die Frühindikatoren für Gewalt fest. Und "live" ist das Publikum dabei, wenn Gehirnchirurgen die "Deep Brain Stimulation" durchführen, um Alexander zu einem besseren Menschen zu machen.

 

Die Regie hat dazu ein großes Gehirn auf der Bühne platziert. Mit allerhand Lämpchen ausgestattet, werden die jeweilig betroffenen Gehirnfelder beleuchtet und während der "OP" angezeigt. Alexander wird auf einen Operationsstuhl festgeschnallt. Eine Elektrosonde kommt zum Einsatz. Das Geräusch des surrenden Bohrers ist zu hören, als er sich in Alexanders Schädel bohrt. Der neurobiologische Eingriff beinflusst Denken, Fühlen und Verhalten, behaupten die Wissenschaftler.

Das Experiment ist geglückt, die Programmierung erfolgreich, die Wissenschaftler sind zufrieden.

Die Manipulation des Gehirns, eine wünschenswerte Zukunftsvision? Nicht für Burgess. Er lehnt Gehirnwäsche kategorisch ab. Rahmer allerdings weiß um die Möglichkeiten der Neurobiologie, die ständig voranschreitet und schon heute zum Wohle von Patienten Veränderungen an der Gehirnstruktur vornehmen kann. Der freie Wille existiert für diese Wissenschaftler nicht.

 

Ein tolles Ensemble erhält nach zwei Stunden Spielzeit ohne Pause begeisterten Applaus.

HA-KRU)