Foto: Jörg Landsberg
Foto: Jörg Landsberg

Gelungener Bartók-Abend in Hagen
„Herzog Blaubarts Burg“ (Oper) und „Der wunderbare Mandarin“ (Ballett)
Premiere am 15.1.2022
Zuerst: das Orchester! Was die Hagener Philharmoniker unter Leitung ihres Chefs Joseph Trafton zustande brachte, war mehr als hervorragend! Bartóks auch heute noch revolutionär wirkende Musik  zu beiden Stücken kam in aller Komplexität aus dem Orchestergraben, ihre jeweilige Charakteristik war sehr deutlich herausgearbeitet. Den noch dem Impressionismus verhafteten Klängen der „Blaubart“-Oper (1911 komponiert) standen die häufigen krassen und schrillen Dissonanzen des „Mandarins“ (1917) gegenüber. Die kündigten sich allerdings auch schon im „Blaubart“ an, vor allem anhand des „Blutmotivs“, einer kleinen Sekund-Dissonanz, die im Geschehen auf der Bühne in allen Episoden bildmächtig ihren Niederschlag fand. Bartóks Musik, vor allem die im „Mandarin“, ist keine seichte Musik zum Frühstück, sondern anstrengend, fordernd und sinnhaft, erfüllt voll Adornos Ausspruch, dass Kunst nicht die Welt, wie sie ist, bestätigen soll, sondern die Aufgabe hat, „Chaos in die Ordnung zu bringen.“ Und mit einem solchen Orchester als Partner lässt sich gut singen und tanzen!
Der Abend des Hagener Theaters bestand aus zwei Teilen. In der gut einstündigen Oper „Herzog Blaubarts Burg“ wurde auf der Bühne gesungen, in der Ballettpantomime „Der wunderbare Mandarin“ konnte das Hagener Ballett seine Qualität zeigen. Und wie!
Zu loben ist auch die Art und Weise, wie das Hagener Theater seine Zuschauer mitnimmt. Selten ist schon, dass der Intendant selbst das Publikum begrüßt und sich bedankt, dass es das Theater in den schweren Coronazeiten nicht im Stich lässt. Und dann informieren fundierte Einführungen durch die Dramaturginnen, Theaterzeitungen und vor allem das Programmheft intensiv und genau über die Intentionen von Regisseur und Choreograph. Das kommt dem Publikum sehr entgegen und lässt Elemente, die man vielleicht nicht sofort verstanden hat, nicht länger in rätselhaftem Dunkel.
Der Abend beginnt mit der Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Der als Frauenmörder verdächtige Blaubart betritt mit seiner neuen Frau Judith seine Burg. Der Plot stammt aus einem Märchen von Charles Perrault, wurde vielfältig literarisch variiert, auch schon von Jacques Offenbach parodiert. Er beruht auf einem Grundmotiv, dass auch heute noch leider immer wieder vorkommt: Starke und intelligente Frauen suchen sich die übelsten Machos aus und unterwerfen sich ihnen vollständig. Bei Bartók auch: Judith hat ihre Familie und sogar ihren Verlobten im Streit verlassen, um Blaubart zu folgen. Der Regie führende Intendant Francis Hüser zieht diese Schraube aber noch mehr als eine Drehung an. Bei ihm sitzt der überführte mehrfache Frauenmörder im orangen Sträflingsanzug im Hochsicherheitstrakt. Eine Psychologin soll im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Gutachten über ihn anfertigen und verliebt sich in ihn. Hybristophilie nennt man das, kommt auch immer wieder mal vor. Judith dringt so in seine Seele, in sein Inneres ein - so ist die Burg zu interpretieren. Aus den im Original zu öffnenden verbotenen Türen werden in dieser Inszenierung sieben Episoden. Von den ersten beiden – Folter- und Waffenkammer -, in denen Blaubart seine Gefährlichkeit zeigt, lässt sich die Psychologin in ihrer Verliebtheit aber nicht beeindrucken, entdeckt dann in den beiden nächsten – Schatzkammer und geheimer Garten – offensichtlich positive Aspekte. Höhepunkt ist die fünfte Episode – Blaubart zeigt Judith seine Ländereien, im Hagener Video die Welt (u.a. Stonehenge), was sie weiterhin bestätigt, wobei sie das in jeder Episode fließende Blut (hier erklingt jedes Mal im Orchester das Blutmotiv) ignoriert. Dem entsprechend haben sich auch die Zellengitter gehoben und die Bühne ist frei. Was sich als Wunsch und Projektion in Judiths Kopf abspielt, wird im Video gezeigt, als Liebesszene. Danach, in der Tränensee-Episode und als es um Blaubarts frühere abgelegte Frauen geht, scheint sich die Psychologin zu besinnen, die Liebesszene im Video zerbirst und die Gitter senken sich wieder.
Durch diese Interpretation wird das eher statische Geschehen intensiviert und lebendig gestaltet. Dieser Interpretation und dem Orchester fügen sich die beiden Solisten hervorragend ein, beide haben auch das Stimmvolumen, um sich gegen die oft lauten Orchesterklänge ohne große Anstrengung durchzusetzen. Dorottya Láng als Gast singt die Judith in beeindruckender Weise, und den Blaubart kann das Hagener Theater sogar aus seinem eigenen Ensemble besetzen: Dong-Won Seo besitzt eine derart sonore und raumfüllende Stimme, dass man nur staunen kann. Großer Beifall!
Die unglaublich intensive und expressive Pantomime „Der wunderbare Mandarin“ dauert nur eine gute halbe Stunde, hat es aber in sich. Leichte Verständnisschwierigkeiten stellen sich ein, wenn man dem ursprünglichen Libretto folgen will, das Not und Elend nach dem ersten Weltkrieg als Grundlage hat. Drei Strolche (=Zuhälter) zwingen ein junges Mädchen, sich zu prostituieren und Männer anzulocken, um sie auszurauben. Zwei Kunden werden sofort herausgeworfen, weil sie mittellos sind. Der dritte Kunde, ein exotischer Mandarin, erzeugt beidem Mädchen zuerst Panik, bevor es doch zu einer Annäherung zwischen den beiden kommt. Die Zuhälter versuchen dreimal vergeblich, den Mandarin zu ermorden. Er stirbt erst, als sich das Mädchen ihm zärtlich zuwendet.
Dies hat der renommierte Choreograph Kevin O´Day verändert, und er legt Wert darauf, dass die Choreographie zusammen mit dem Ensemble entwickelt und in die Gegenwart geführt wurde. Statt der nur sieben Personen des ursprünglichen Librettos tritt das gesamte Hagener Ballettensemble auf, eingeteilt in drei Gruppen: Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Schlepper*innen, wobei die Geschlechter innerhalb aller drei Gruppen unterschiedlich sind. Der Mandarin tritt als Person gar nicht auf, sondern ist hier die „Mandarin-Bar“, die ein wenig an ein Bordell erinnert. An diesem Ort (die Drehbühne wechselt häufig zwischen verschiedenen Räumen) spielen sich die Handlungsbögen ab, die aus dem ursprünglichen Libretto übernommen sind. So werden die Tötungsversuche mit Matten und Kissen auch choreographisch dargestellt, ebenso wie das mitunter eher gewaltsame Miteinander-Umgehen der Menschen. Das Programmheft und die Interviews mit O´Day helfen hier ungemein. Aber auch wenn man die Handlung nicht oder nur in groben Zügen verstand, beeindruckte die Rasanz und Intensität aller Tänzerinnen und Tänzer. Auch die tänzerische Darstellung der Handlungsbögen zwischen Spannung und Lösung gelang hervorragend, die temporeichen Massenszenen waren grandios choreographiert. Und alle Details der Musik waren präzise und sensibel in allen Szenen in Bewegung umgesetzt. Ein besonderer Effekt: Kurz vor dem Ende, eine Fermate der Musik ausfüllend, verwandelte sich das Tanzensemble in ein Percussionsorchester und benutzte die Bühne als Drumset.
Das Publikum war restlos begeistert und feierte Ballettensemble und Choreographen lange, schloss schließlich auch Sänger, Dirigent, Orchester und Regieteam der Oper mit in seinen Beifall ein.
Ein spannender, äußerst anregender Abend mit Oper und Ballett!
Fritz Gerwinn, 17.1.2022
Weitere Vorstellungen: 22.1., 30.1., 3.3., 30.3.2022