Gelsenkirchen
Musiktheater-im-Revier
 
„Mathis der Maler“
Oper in sieben Bildern von Paul Hindemith
 Inszenierung: Michael Schulz
Musikalische Leitung: Rasmus Baumann
Premiere: 28. Oktober 2017

 
Kunst als Sinnfrage

Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ gehört zu den Werken, die nicht häufig im Repertoire der Musikhäuser zu finden sind. In NRW war das Künstlerdrama zuletzt 1980 an der Deutschen Oper am Rhein zu sehen. Intendant Michael Schulz inszenierte das opulente Werk für das Musiktheater in Gelsenkirchen neu. Szenisch und musikalisch erforderte die Inszenierung höchste Konzentration, nicht nur vom Ensemble des MiR, auch das Publikum war gefordert.
 
Historisch ist die Oper in der Zeit der Bauernkriege angesiedelt und steht in engem Zusammenhang mit Luther und dem Zeitalter der Reformation. Das Sujet behandelt ein zentrales Thema, ist zeitlos und aktuell wie vor 500 Jahren. Es ist die Frage nach dem Sinn des Künstlerdaseins.


Anpassen oder Verweigern
Die Oper spiegelt Hindemiths persönlichen Konflikt mit der politischen Situation der 1930er Jahre in Deutschland. Hindemith begann 1933 mit der Komposition für das Werk. Während der Recherchen für einen Opernstoff (er verfasste auch das Libretto) war der Komponist auf den Maler Mathias Grünewald, den Schöpfer des Isenheimer Altars, gestoßen. Grünewald hatte sich sowohl mit den Ideen Luthers auseinandergesetzt als auch Sympathien für den Kampf der Bauern gegen Adel und Klerus gezeigt.
Hindemith arbeitete in Deutschland unter schwierigen Bedingungen, hatte unter Diffamierungen und Bedrohungen zu leiden und sah in seinem Leben eine Parallele zum Leben Grünewalds. Propagandaminister Goebbels verunglimpfte den Komponisten als "atonalen Geräuschemacher." Selbst die Fürsprache des Dirigenten Wilhelm Furtwänglers half nichts. Nach dem Aufführungsverbot seiner Werke in Deutschland ging er ins Exil.1938 erfolgte die Uraufführung von "Mathis der Maler" in Zürich.
 
Abgeschieden in einem Kloster steht Mathis in den Diensten des Kardinals Albrechts von Brandenburg und malt Auftragswerke. Der Geistliche ist ihm wohlgesonnen und schätzt sein Talent. Als Bauernführer Schwalb mit seiner Tochter Regina auftaucht, um sich vor den Soldaten in Sicherheit zu bringen, verhilft er ihnen zur Flucht. Die Auseinandersetzungen zwischen Aufständigen und  Katholiken spitzen sich derweil dramatisch zu. Als Rom per Dekret die Bücherverbrennung der Protestanten verlangt, fällt Mathis eine existentielle Entscheidung. Er wendet sich ab von der Malerei, zieht in den Krieg und kämpft gegen Unrecht und Leid. Mehr denn je sieht er sich mit der Frage der persönlichen Verantwortung und seiner Rolle als Künstler in der Gesellschaft konfrontiert.
Von roher Gewalt und Brutalität abgeschreckt und desillusioniert, kehrt er heim und sucht den Weg zurück zur Kunst. Mathis hat erkannt, nur als freie Persönlichkeit kann er der Gesellschaft dienen.
 

Die Zeitlosigkeit des Werkes
Michael Schulz inszeniert die Oper zeitlos als Parabel. Graue verschiebbare Bühnenelemente deuten eine Klosterarchitektur an (Bühne: Heike Scheele) und verorten neue Räume für die sieben Bilder des Werkes. Die Kostüme (Renee Listerdahl) sind von zeitloser Eleganz und kontrastieren damit stark gegen die verlumpte Kleidung der Rebellen. Dass aktuelle Konflikte immer ein Thema sind, zeigt die Produktion gleich zu Beginn, wenn Transparente mit  „Wir sind ein Volk" oder eine Tortenschlacht, (nach Eat Art Künstler Daniel Spörri) in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung von Katholiken und Protestanten gezeigt werden.
Der Sinn der Tortenschlacht erschließt sich allerdings nicht so leicht, ein Programmheft oder ein wenig Kunstverständnis erleichtern das Verständnis
 
Die Inszenierung beginnt mit einer Videoprojektion. In stimmungsvolles Licht getaucht - Harmonie assoziierend - malt Mathis "Ursula", seine Muse. Sie liebt den Maler und hofft auf eine Verbindung mit ihm. Die Idylle: zeigt sich, täuscht und deutlich wird, Mathis befindet sich in einer extremen Schaffenskrise.


Die präzise ausgefeilte Personenregie von Michael Schulz verleiht den hochinteressanten Figuren Hindemiths einen individuellen Charakter. "Yamina Maamar" gestaltet die Partie der "Ursula", die Mathis liebt, aber auch eine Affinität zum Kardinal hat, mit viel Dramatik und  Empathie. Ihre warmherzige Ausstrahlung und der leicht dunkel gefärbte Sopran faszinieren. Stimmgewaltig und sympathisch präsentiert sich "Martin Hombrich" als Kardinal und Kunstliebhaber "Albrecht von Brandenburg. "Tobias Haaks" fesselt als leidenschaftlicher Bauernführer "Hans Schwalb“.
Mit mädchenhaft unschuldiger Ausstrahlung und betörender Stimme beeindruckt "Bele Kumberger" als Schwalbs Tochter Regina. Eine der stärksten Szenen in der Inszenierung ist die Erschießung Schwalbs, die unfreiwillig von Regina herbeigeführt wird. Mathis versucht mit einem Bild des Engelskonzertes auf dem Isenheimer Altar das schwer traumatisierte Mädchen zu beruhigen. Eine berührende Szene, die im Odenwald spielt und mit den Visionen Mathis endet. Begleitet von drei Engeln treten bildgewaltig allegorische Figuren auf, die ihn bedrängen und auf Konflikte und Widersprüche in seinem Leben verweisen.

Das Klischee eines extravaganten oder auch "rastlosen Künstlers", wie es beispielsweise "Yves Klein" nachgesagt wird, dessen Performances in der Inszenierung zur Anwendung kommt, erfüllt Schulz Mathis (Urban Malmberg) nicht. Er ist stimmlich zu monochrom und darstellerisch zu introvertiert und leidenschaftslos.


Alle anderen Rollen an diesem spannenden Opernabend sind hervorragend besetzt.
 
Für das Orchester stellt die Musik mit Alten Volksliedern, Streitgesängen und dem gregorianischen Choral immer eine besondere Herausforderung dar. Generalmusikdirektor Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen spielen die großartige, unter die Haut gehende Komposition explosiv und hinreißend dramatisch, lassen aber auch die lyrischen Töne bewegend innig erklingen. Chor-und Extrachor des MIR unter der Leitung von Alexander Eberle sind bestens aufgestellt.
 
Das Publikum spendete sehr viel Beifall. Auch laute Bravo Rufe erklangen.
 
Fazit: ein herausragender Abend! Unbedingt hingehen.


 (HA-K)