Hagen

Die Csárdásfürstin

Operette von Emmerich Kálmán
Premiere am 12.11.2016

besuchte Vorstellung am 18.11.2016

Chor, Ballett, in der Mitte hinten: Kenneth Mattice (Edwin),  Maria Klier (Stasi), Werner Hahn  (F ürst Leopold Maria), Marilyn Bennett (Fürstin Anhilte) Foto: Klaus Lefebvre
Chor, Ballett, in der Mitte hinten: Kenneth Mattice (Edwin), Maria Klier (Stasi), Werner Hahn (F ürst Leopold Maria), Marilyn Bennett (Fürstin Anhilte) Foto: Klaus Lefebvre

 

Dem Hagener Theater stehen schwere Zeiten bevor, keiner weiß, was in der nächsten Saison passieren soll. Die Hagener Stadtväter beharren darauf, dass das Theater mit ohnehin knappem Etat in der nächsten Saison mit anderthalb Millionen weniger auskommen muss.

 

Der jetzige Intendant geht nach dieser Saison in den Ruhestand. Der Generalmusikdirektor hat gekündigt, ebenso die Leiter des Balletts und des Kinder- und Jugendtheaters. Zwar ist mit Joseph Trafton ein neuer musikalischer Leiter gefunden, die mühsam gefundene designierte Intendantin Dominique Caron aber hatte zwei Tage vor der zweiten Aufführung der „Csardasfürstin“ das Handtuch geworfen. Dunkle Wolken über Hagen.

 

In der Aufführung merkte man nichts davon. Voller Einsatz aller Kräfte, riesiges Engagement bei jedem Beteiligten. Tanz auf dem Vulkan, volle Fahrt bis zum Ende der Straße? Das Hagener Theater zeigt, was es kann, macht deutlich, dass es nicht an ihm und seinen Mitgliedern liegt, wenn die Lichter gedimmt oder gar gelöscht werden.

 

Schon beim Vorspiel war zu merken, dass das Hagener Orchester unter Steffen Müller-Gabriel gut geprobt hatte und engagiert bei der Sache war.  Die virtuosen Solisten an Piccolo- und Querflöten sowie die Soloklarinette, die fast jazzig phrasierte, gefiel besonders gut. Die vielen Tempowechsel wurden vom Orchester locker bewältigt, im ersten Teil schien es an einigen Stellen lautstärkemäßig fast übermotiviert zu sein, so dass es die Solisten manchmal überdeckte. In der zweiten Halbzeit ging es deutlich differenzierter auf die Gesangsstimmen ein.

 

Die Hagener hatten auch alles aufgeboten, was sie hatten: Chor (Wolfgang Müller-Salow), Ballett (Alfonso Palencia), Statisterie. Auf der Bühne war jederzeit jede Menge los, alle Massenszenen waren gekonnt inszeniert, Gesang, Tanz, Darstellung griffen stets ineinander und beflügelten sich gegenseitig. Sogar vier Orchestermusiker erschienen auf der Bühne. Auch die Bühnenbilder und Kostüme (Bernhard Niechotz) waren gut überlegt, verdeutlichen die Handlung geschickt und ließen die finanzielle Misere nicht zu offensichtlich werden.

 

In gewohnter Qualität, in Gesang und Darstellung, zeigte sich auch das Hagener Solistenensemble. Allen voran Veronika Haller in der Hauptrolle mit leuchtenden Spitzentönen. Die Mittellage schien mir aber vor allem im ersten Teil an einigen Stellen zu leise zu sein. Bariton Kenneth Mattice als Edwin überraschte mit anstrengungslos gesungenen Tönen aus dem Tenorregister. Aufgewertet wurden die Rollen der beiden Grafen Boni und Feri Bacsi. Richard van Gemert als Boni sang nicht nur gut, sondern spielte auch hinreißend, hatte seine Höhepunkte beim „Bitte nicht schütteln!“. Rainer Zaun war der Feri Bacsi mit ungarischem Akzent, löste viele Lacher aus, wurde am Schluss aber sogar zur tragischen Figur. Er hatte nie geheiratet, weil er seine große Liebe nicht vergessen kann, Chansonsängerin Kupfer-Hilda (Marylin Bennett), die ihm vom Fürsten von und zu Lippert-Weylersheim (Werner Hahn) weggeschnappt worden war und inzwischen dem Adel angehört. Besonderen Schwung in die zweite Hälfte brachte Maria Klier mit glockenhellem Sopran als Edwins quirlige Cousine und Verlobte Stasi.

 

Regisseur Holger Potocki hatte sich offensichtlich genau überlegt, was er einem Theater zumuten kann, das ums Überleben kämpft. Die „Csardasfürstin“, die um 1914 spielt, war von Emmerich Kálmán komponiert worden, als im 1. Weltkrieg schon gekämpft und gestorben wurde. Provokative und polarisierende Inszenierungen, wie die von Peter Konwitschny und Dietrich Hilsdorf, die das thematisieren und Operettenseligkeit mit der grausamen Wirklichkeit des 1. Weltkrieges konfrontieren, werden an kleinen Theatern leicht zum Flop. Pure Operette, die so tut, als sei die Zeit um 1914 stehen geblieben, geht aber auch nicht. Deshalb muss ein Weg gesucht werden, der die Geschichte dezent in die Gegenwart führt. Das kann nur gelingen, wenn man die Geschichte und die jeweilige Situation der Personen ernst nimmt, auch wenn diese viel Lustiges und Humoriges über die Rampe bringen. Deutlich wurde, dass der Regisseur nicht nur auf das Wert gelegt hat, was während der Musiknummern darstellerisch passiert, sondern die Sprechszenen besonders sorgfältig inszeniert hat. Merkbar wurde das dadurch, dass der Musikanteil im 1. Akt überwog, im 2. Akt aber schon geringer wurde. Im 3. Akt wurden nur noch die entscheidenden Wendepunkte musikalisch akzentuiert. Folge davon war auch, dass in den beiden Akten nach der Pause die Sache deutlich ernster wurde als im 1. Akt, in dem Fröhlichkeit deutlich dominierte.

 

Ausgenutzt wurde auch, dass der 3. Akt in einem Hotel spielt, in einem öffentlichen Raum also, während man in den beiden Akten vorher „unter sich“ blieb, zuerst im Varieté „unter Freunden“ und dann auf einem Ball unter Adligen. Das eröffnete die Möglichkeit zur Aktualisierung. Aufgeregte Soldaten laufen hin und her, ruhen sich kurz aus oder lesen Zeitung (sichtbare Schlagzeile „KRIEG?“). Dazu kommt eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich in der Hotellobby aufwärmen darf, später aber rausgeworfen wird. Dem von Boni ausgesprochenen Wunsch, dass in hundert Jahren alle gesellschaftlichen Schranken gefallen sein werden, wird ein kurzes Alptraum-Video entgegengesetzt, das einige aktuelle Populisten zeigt, die ja wieder auf Ausgrenzung zielen. Seit 1914 hat sich also nichts geändert.

 
Und schließlich wird der Rassismus des Fürsten von und zu Lippert-Weylersheim entlarvt. Der muss am Ende widerwillig seinem Sohn die Heirat mit der seiner Ansicht nach nicht zu seinem Stand passenden Chansonette erlauben, weil herauskommt, dass seine Frau vor ihrer Heirat auch eine, nämlich die „Kupfer-Hilde“, war. Vorher erklärt er aber (sinngemäß) auf offener Bühne: „Mein Sohn will also eine ungarische Chansonette heiraten. Es gibt Leute, die wollen so eine nicht als Nachbarin haben.“ Das Publikum verstand sofort und reagierte mit Gelächter auf diese Gauland-Variante dem Fußballer Boateng gegenüber.

 

Also wieder eine Hagener Inszenierung, in der es viel zu lachen gab, aber auch Nachdenklichkeit erzeugt wurde. Sie passt in die Reihe der erfolgreichen Inszenierungen der letzten und dieser Saison. Das Publikum hat dies erkannt und wollte alle Beteiligten gar nicht mehr von der Bühne lassen.

 

Unbedingt hingehen, wer weiß, ob man so etwas in der nächsten Saison noch sehen kann!

 

Fritz Gerwinn, 21.11.2016

 

Weitere Aufführungen:
30.11., 8.12., 14.12., 20.12., 30.12.2016
14.1., 28.1., 4.2., 19.2., 26.3., 2.4.2017