Wuppertal

 

Wolfgang Amadeus Mozart

Don Giovanni

 

(2. Aufführung am 14.11.14, Premiere am 8.11.14)

 

Beim Eintreten ein ungewohntes Bild: Das Orchester stimmt auf der Hinterbühne, davor eine Art Zirkusarena, keine Kulissen. Wie soll das gehen: Fast konzertant, Standtheater? Das Programmheft klärt auf: Thomas Schulte-Michels, sowohl für Regie als auch für die Bühne verantwortlich, erklärt dort, er sei kein Bühnenbildner, sondern mache Bühnenräume, und der lebendige Mensch sei das Bühnenereignis. Also kein Don Giovanni im Wald, in der Chefetage eines Konzerns oder in der Kirche, wichtig ist nur die Art, wie die Akteure dies auf die Bühne bringen. Deshalb gibt es auch keine spektakulären Theatereffekte: das Duell ist ein Unfall, von Don Giovannis Schloss sieht man nichts, und auch auf das Höllenfeuer am Schluss wartet man vergebens. Trotzdem Riesenbeifall am Schluss, weil die Inszenierung in sich stimmig, ideenreich und bis in die Details ausgearbeitet ist.

 

So wird der gesamte Raum der Bühne benutzt. Hinter dem Orchester fährt ein Podest u.a. für den Komtur hoch und runter, einige Auftritte erfolgen mitten durchs das Orchester, Don Ottavio bittet die Orchestermitglieder um Hilfe für seine ohnmächtige Verlobte, den Friedhof symbolisieren blaue Kreuze im Orchester. Ganz viel passiert aber direkt an der Rampe, und zwar ganz vorne, und wenn sich das Geschehen nur einen halben Meter vor den ersten Zuschauern abspielt, muss man mit guten Sängerdarstellern gut gearbeitet haben.

 

Und das war ganz offensichtlich der Fall. Den sieben Akteuren, vielen Wuppertaler Opernfreunden noch nicht bekannt, weil sie zum großen Teil bisher eher an mittleren und kleineren Häusern gesungen haben, konnte man nicht nur mit Genuss zuhören, sondern auch zusehen. Gesang und Körpersprache, besonders die Mimik, passten perfekt zusammen. Um die Publikumsgunst buhlten die beiden Hauptdarsteller, Josef Wagner als Don Giovanni mit satter und beweglicher Stimme und Hye-Soo Sonn als Leporello, der die komödiantischen Seiten auch musikalisch wunderbar darstellte. Ohne Tadel auch die Sängerinnen: Tatiana Larina als Donna Anna, die bisher nicht gekannte charakterliche Facetten zeigte, etwa wenn sie mit Grablichtern in den Händen tanzt; Marianne Fiset als Donna Elvira, die auf der einen Seite furienhaft schrill sang und agierte, andererseits dem die lyrischen Passagen gekonnt entgegen setzte. Ralitsa Ralinova brachte die Zerlina als selbstbewusste junge Frau über die Rampe; sehr schön, wie sie den ohnehin schon kräftig verprügelten Masetto während ihrer zweiten Arie nach allen Regeln der Kunst zusammenfaltet. Auch dieser, von Damien Pass gesungen, und Ramaz Chikviladze als Komtur ließen keine Wünsche offen. Besonders gefallen hat mit Emilio Pons vor allem wegen seiner äußerst differenziert eingesetzten dynamischen Schattierungen als Don Ottavio (nach der Meinung des Regisseurs ein Marathon-Mann).

 

Das alles gelang auch deshalb, weil das Wuppertaler Orchester wieder seine hervorragende Qualität zeigte, unter dem sensiblen und sängerfreundlichen Dirigat von Andreas Kowalewitz, der auch die Rezitative am Cembalo spielte.

 

Zu den guten Ideen des Regieteams zählt auch die Kostümierung (Renate Schmitzer): eine Mischung von Zirkuskleidung und Typisierungen der Commedia dell`Arte mit leichter Ironisierung. Alle haben rote Punkte auf den Wangen; die Chormitglieder tragen die gleichen Kostüme wie Zerlins und Masetto. Der Chor hat übrigens nur einen Auftritt im ersten Akt, der ist aber bravourös: Bei Don Giovannis Fest schweben zuerst Luftballons hinter dem Orchester, bevor die Polonaise die Vorderbühne erreicht. Dass dann drei verschiedene Tänze gleichzeitig ablaufen, wird nicht verdeutlicht, die Tänze und Versuche der Bauern, höfische Tänze nachzumachen, stiften aber so viel Verwirrung, dass Zerlina tatsächlich aus dem Blick gerät.

 

Einige Details der Inszenierung: Die alte Frage „Was geschah wirklich in Donna Annas Zimmer?“ wird zumindest angedeutet, denn diese trägt bei ihrem ersten Auftritt unter ihrem Morgenmantel nur zarte Unterwäsche. Leporellos Register ist diesmal ein Koffer mit vielen Bildern, mehrfach hin- und hergeworfen; die Waffen der Bauern sind lächerlich unbrauchbar; wer links vorne sitzt, bekommt von Leporello einen angebissenen Fasanenschenkel angeboten; die Hitparade des Entstehungsjahrs mit dem Selbstzitat aus dem „Figaro“ wird breit und vergnüglich ausgespielt. Besonders gelungen ist aber Don Giovannis Ständchen: die Zofe Elviras ist das Publikum, und Don Giovanni verteilt Rosen an die Damen. In der von mir besuchten Aufführung versuchte er zum Vergnügen des Publikums dreimal, einer Schönen auf dem Balkon eine Rose zuzuwerfen. Dreimal vergeblich, aber ein gutes Training für die nächste Aufführung.

 

Überhaupt werden die komödiantischen Elemente betont, und Schulte-Michels lässt die schurkischen Elemente, die Don Giovanni auch eigen sind, hinter die verführerischen und charmanten Elemente zurücktreten, stellt das „Urbild des Sinnen-Libertins“ in den Vordergrund. Deshalb wird er am Schluss lächelnd und Wein trinkend wieder aus dem Untergrund hochgefahren. Alle anderen, vor allem die Damen, scheint das zu freuen, und so widersprechen sie lachend dem moralinsauren Text „Also stirbt, wer Böses tut“, den sie singen müssen.

 

Rätselhaft, warum in der zweiten Aufführung trotz positiver Kritiken in der Lokalpresse das Opernhaus halb leer blieb. Ob viele Wuppertaler dem neuen Opernintendanten noch seinen Ensemble-Kahlschlag verübeln. Oder war es einfach ungeschickt, den „Don Giovanni“ dreimal an drei aufeinander folgenden Tagen anzusetzen? Schade jedenfalls, denn diese Inszenierung ist als Einstieg für junge Leute bestens geeignet, weil sie kurzweilig und vergnüglich ist und nicht überfordert. Das zeigte mit der heftige Beifall einer Schulklasse in der ersten Reihe. Einige davon werden bestimmt wieder ins Opernhaus kommen, ziemlich sicher die beiden Schülerinnen, denen Don Giovanni bei seinem Ständchen eine Rose schenkte.

 

Fritz Gerwinn, 15.11.2014

 

 

Musikalische Leitung: Andreas Kowalewitz

Inszenierung und Bühne: Thomas Schulte-Michels

Kostüme: Renate Schmitzer

Chor: Jens Bingert

 

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