Essen
Grillo Theater
Friedrich Schiller
"Don Carlos"
(Premiere 11. Dezember 2008)
„Geben Sie Gedankenfreiheit". Dieser Satz aus „Don Carlos" war 1781 als Schillers Drama entstand ganz ungewöhnlich. Denn noch hielten Adel und Klerus das Zepter der Macht fest in ihren Händen.
Doch das folgenreichste europäische Ereignis der Neuzeit stand schon vor der Tür. Die französische Revolution resultierte aus der Unfähigkeit des Ancien Régimes auf die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen im Land zu reagieren. Sie führte zu weitreichenden Veränderungen, von denen fast ganz Europa betroffen war.
Schiller schrieb „Don Carlos" im Spannungsfeld des Zeitalters von Absolutismus und der Periode von Sturm und Drang. Das Drama enthält viel Zündstoff und genauso viele Interpretationsmöglichkeiten. Dem Dichter geht es um die Selbstbestimmung des Menschen und um den uneingeschränkten Gebrauch der eigenen Vernunft. Marquis von Posa in "Don Carlos" ist eine Figur, die die Idee der Gedankenfreiheit in die Menschheit transportieren soll.
Wie geht nun Anselm Weber den komplexen Dramenstoff an? Der erfolgsgewohnte Regisseur des Grillo Theaters inszeniert „Don Carlos" in moderner Fassung mit Videoprojektionen. Er kreiert einen Überwachungsstaat, indem die Protagonisten in einem Netz von Intrigen, Verschwörungen und Misstrauen sich gegenseitig nicht trauen können. Wie dieser Staat funktioniert zeigen die Videoeinspielungen. Kameras spionieren das Leben der Menschen aus, folgen ihnen in Privaträume, zeigen leere Flure oder labyrinntartige Gänge.
Des Weiteren ist der Großinquisitor über alles was im Reich passiert unterrichtet. Jedes Individuum kann lückenlos beschattet werden.
Die Inszenierung zeigt die Konsequenzen der Überwachung. Die Falle schnappt am Ende zu. Es gibt kein Entrinnen, nicht für Carlos und nicht für den Marquis, der sich für seinen Freund geopfert hat.
Die perfekte Überwachung zeigt auf bedrückende Art und Weise, welche verheerenden Auswirkungen Intrigen, Bespitzelungen und Misstrauen im sozialen Gefüge der Menschen haben. Dort wo sie an der Tagesordnung sind, gibt es kein Vertrauen und nur selten wahre Freundschaft. Parallelen zur Stasi drängen sich auf, selbst enge Familienmitglieder wurden ausspioniert und der Willkür politischer Machthaber ausgeliefert. Auch in einer funktionierenden Demokratie wird der einzelne mehr und mehr zu einem gläsernen Mensch und hat mit Nachteilen zu rechnen, wenn seine Daten nicht der Norm entsprechen. In Don Carlos ist es der eigene Vater, der den Sohn ausspionieren läßt, der ihm die Geliebte ausspannt und und ihn ans Messer liefert, als er nach Flandern fliehen will. Das Ideendrama zeigt anhand dieser Problematik, aus welchen Motiven die handelnden Personen ihren Hass, verschmähte Liebe, Verzweiflung oder Freiheitsdrang ableiten oder in ihnen verstrickt sind. Auch ohne Vorkenntnisse des Werkes, kann die Inszenierung leicht nachvollzogen werden.
Mit Sicherheit liegt es auch an den hervorragenden Schauspielern,
dass die Aufführung so brilliant ist. Nicola Mastroberardino (Carlos) kann man sich nicht entziehen. Mit unglaublicher Bühnenpräsenz verkörpert er den jugendlichen, schlaksigen und unkonventionellen Regenten, bei dem man die üblicherweise vermuteten Attribute eines Monarchen vergeblich sucht.
Der Identifikation mit seinem Seelenzustand kann man sich nur schwer entziehen, so beeindruckend drückt sich sein emotionales Spiel in wütenden Artikulationen und wild gestikulierenden Gesten aus. Die innere Wandlung und der Verzicht auf das individuelle Glück, als sich "Carlos" in den Dienst des Freiheitsideals stellt, setzt Nicola Mastroberadino absolut authentisch um.
Barbara Hirt gibt der Elisabeth ein klares Profil. Es beinhaltet königliche Würde und Handeln aus Pflichtgefühl.
Roland Riebeling interpretiert überzeugend den Charakter des Marquis von Posa, der in der Gestalt des Idealisten auftritt und bereit ist einer übergeordneten Idee zuliebe, die eigene Wahrhaftigkeit zu opfern.
Andreas Grothgar versteht es vortrefflich der Gestalt Philipp des II. Kontur zu geben. Markante Wesenzüge des Herrschers, wie Angst, Eifersucht und Misstrauen macht er transparent.
Philipp beobachtet seine kleine Tochter per Videokamera während des Spielens. Ein interessanter Einfall der Regie, der mehr als Worte sagt und die Unnahbarkeit seines Wesens überaus deutlich macht.
Am Ende des Dramas kriecht der Herrscher winselnd über den Boden. Ob es Gewissenbisse sind, die ihn zu Boden werfen, bleibt offen..
So recht ins Bild passt diese Vermutung bei seinem Persönlichkeitsprofil allerdings nicht.
Begeisterung und lang anhaltender Applaus
(U. Harms.Krupp)