Dogville

Oper in 18 Bildern
Von Gordon Kampe
Libretto nach dem gleichnamigen Film von Lars von Trier
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Premiere/Uraufführung im Aalto-Theater Essen: Samstag, 11. März 23
besucht: 26.03.2023


Musikalische Leitung: Tomáš Netopil
Inszenierung: David Hermann
Bühne, Licht und Video: Jo Schramm
Kostüme: Tabea Braun
Dramaturgie: Patricia Knebel, Christian Schröder


Gut zwei Jahre wartete das Publikum des Aalto-Theaters gespannt auf die Uraufführung von „Dogville“. Die Pandemie erforderte es. Nun war es endlich so weit. Begeisterung und Jubel für Gordon Kampes Oper in Essen.

In Dogville geht es um den Leidensweg einer jungen Frau, die vor Gangstern flieht und in einem abgelegenen Dorf zunächst Unterschlupf findet. Das Libretto basiert auf dem gleichnamigen Film Lars von Triers. Die Inszenierung stammt von David Hermann.

Der bekannte Filmemacher erregte mit seinem Film von 2003 viel Aufsehen und erhielt zahlreiche Preise. Hein Mulders, ehemaliger Intendant des Aalto-Theaters, hatte die Idee den Stoff als Vorlage für eine Oper zu nehmen. Gordon Kampe komponierte sie und gemeinsam mit Regisseur David Hermann und Dramaturg Christian Schröder kürzten sie die Geschichte von drei Stunden auf gut 100 Minuten. Ins Zentrum der Handlung stellten sie Grace. Der allwissende Erzähler fiel weg. In allen 18 Szenen ist Grace präsent und das Publikum sieht die Oper mit ihren Augen.

Dogville ist ein fiktiver Ort in den Bergen. Tom Edison lädt wiederholt die Dorfbewohner zu Versammlungen ein und belehrt sie über Verbesserungen des Zusammenlebens. Die Einladungen stoßen nicht bei allen auf Gegenliebe, eher sind sie den Bewohner*innen lästig. Während eines Dorfrundgangs taucht plötzlich Grace auf, die auf der Flucht vor Gangstern ist. Tom holt sich die Genehmigung der Dorfgemeinschaft, damit sie bleiben kann. Vereinbart wird eine zweiwöchige Probezeit, in der sich Grace verpflichtet zu helfen, wo es notwendig ist. Doch niemand benötigt ihre Hilfe. Schließlich übernimmt sie niedrige Arbeiten, für die sich sonst keiner findet, um bleiben zu dürfen. Die Stimmung kippt, als ein Polizist erscheint und ein Fahndungsfoto aufhängt. Von Grace wird verlangt, noch mehr zu arbeiten, sie wird erniedrigt und vergewaltigt. Nach ihrer misslungenen Flucht legt die Dorfgemeinschaft sie an die Kette. Tom wird gedrängt, sich für Grace oder die Gemeinschaft zu entscheiden. Er gesteht ihr seine Liebe, doch sie geht nicht darauf ein. Daraufhin ruft er den Gangsterboss. Mit einer spektakulären Racheszene endet die Oper.

In der Inszenierung fällt sofort das  großartige Bühnenbild von Jo Schramm auf. Auf einem 57 Meter langen Bühnenwagen, der sich nur in eine Richtung, von links nach rechts bewegt und bergauf fährt, sind unterschiedliche Räume installiert, in denen Grace sich aufhält. Je höher es geht, umso kritischer und dramatischer wird die Situation für sie. Zeitgleich läuft die zentrale Handlung weiter, zu sehen sind Dorfbewohner*innen bei der Gestaltung ihres Alltags.

Die Inszenierung demonstriert Graces Leidensweg als Passionsweg: beginnend mit der Ankunft in Dogville und der Begegnung mit Tom bis zum bitteren Ende: der Vernichtung und Niederbrennung des Dorfes und ihrer Bewohner*innen.

Grace, fulminant verkörpert von "Lawinia Dames", dominiert die Handlung und gestaltet ihre Rolle mit beeindruckender Ausdruckskraft und leuchtendem Sopran. Sie ist in jeder Szene zu erleben. Zu Beginn eher scheu und zurückhaltend charakterisiert, erfährt sie eine Wandlung und wird zunehmend selbstbewusster. Auch die Dorfbewohner mögen sie - so scheint es. Doch das ändert sich, als erneut ein Polizist im Ort auftaucht, die Anwesenheit von Grace wird nun als Gefahr angesehen.

Die Inszenierung verdeutlicht: Individuen finden sich schnell zu einem gefährlichen, verschworenen Kollektiv zusammen, damit sie  gegen Außenseiter vorgehen können, die nicht in ihr System passen.

Grace wird nach ihrem Fluchtversuch bestraft, von der Dorfgemeinschaft an die Kette gelegt und soll aus dem Dorf gejagt werden.

Mit einer Vielzahl von Klangfarben und Bildern gelingt es, die düstere Atmosphäre in Dogville, die durch Hektik und Nervosität geprägt ist, wieder zu geben. Die spezifische Musik transportiert die seelischen Gefühlszustände der Figuren, deren Abgründe sich in ihrem Verhalten spiegeln. Die Heiterkeit der Figuren ist gekünstelt und nur vorgespielt.

Die 14 Gesangspartien sind durch eine besondere Musik charakterisiert, die Unterscheidung einzelner Figuren, die sich in verschiedenen Räumen und Szenen bewegen, wird dadurch erleichtert. Kurze Intermezzi spiegeln auf der musikalisch-emotionalen Ebene die Situation der Protagonisten und lassen zukünftiges Unheil erahnen.

Die Partie Toms ist neben Grace die schwierigste. Tobias Greenhaigh überzeugt als Tom mit geschmeidigem Bariton und verkörpert glaubwürdig dessen zweifelhaften Charakter. Zwar ist Tom in seinem Verhalten nicht so festgefahren wie die anderen Figuren, doch die Chance sich dauerhaft zu verändern, nimmt er nicht wahr. Obwohl er in Grace verliebt ist, lässt er ihre Vergewaltigung durch alle Männer des Dorfes zu und wird schlussendlich zum Judas als sie seinen Liebeswunsch nicht erfüllt.

Olivia (Christina Clark) lacht oft ohne ersichtlichen Grund, doch wirkt ihr Lachen nicht echt, sondern gekünstelt. Beeindruckend schön sind ihre Koloraturen. Durch ständig wiederholende Worte und einen Ordnungstick fällt Ma Gingers (Almut Herbst) auf. Sie ist festgefahren. Der blinde Jack (Andrei Nicoara) gibt vor, nicht blind zu sein. Die bedrohliche Atmosphäre in seinem gespenstisch anmutenden Haus verstärken unheimliche Geräusche. Die lieblichen Töne, die mittels Harfe und Celesta aus Jasons Zimmer zu hören sind, stehen im krassen Gegensatz zu seinem Verhalten. Der psychisch auffallende Junge, erpresst Grace und verlangt, dass sie ihn kräftig auf den Po schlägt.

In der besuchten Vorstellung am 28.03.2023 fiel Heiko Trinsinger krankheitsbedingt aus. Regisseur David Herman erklärte sich bereit, die Rolle des Chucks auf der Bühne zu übernehmen, Simon Stricker von der Oper Wuppertal sang dazu von der Bühnenseite aus.

Beide erhielten viel Beifall.

Tomáš Netopil und den Essenern Philharmonikern gelang mit recht großer Orchesterbesetzung und zusätzlichen Schlagzeug-Instrumenten, klanglicher Vielfalt und Präzision, ein außergewöhnliches Musikereignis, in denen die wuchtigen und dramatischen Momente überwiegen und bis zuletzt für elektrisierende Spannung sorgen.

Begeisterung und Jubel für das gesamte Ensemble, für die Regie und das faszinierende Bühnenbild. Dogville wirft viele Fragen auf, deren Beantwortung kaum möglich erscheinen. Die Themen in der Inszenierung haben nichts an Aktualität verloren. Gerade deshalb ist die Oper so interessant.

Unbedingt hingehen!

 

Karten TicketCenter der TUP, II. Hagen 2 (Mo 10:00-16:00 Uhr; Di-Fr 10:00-17:00 Uhr; Sa 10:00-14:00 Uhr), Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10 (Di-Sa 13:00-18:00 Uhr), Tel. 0201 81 22-200  www. theater-essen.de.