Bochum

 

Das weite Land (Arthur Schnitzler)
Im Schauspielhaus Bochum

Regie: Dieter Giesing


Premiere, Samstag, 4. April 2009


Mit dieser „Tragikomödie“, wie Schnitzler sein Stück selbst bezeichnet, erlangt er internationalen Ruhm. Es wird 1911 gleichzeitig an neun bedeutenden deutschsprachigen Bühnen uraufgeführt. In seinem gesamten Werk richtet er sein Augenmerk immer wieder auf den Widerspruch zwischen Verstand und Gefühl, so auch hier. Die Auswirkungen des gesellschaftlichen Zustands auf das Individuum werden mit psychologischer Genauigkeit betrachtet. Wir erleben in „Das weite Land“ eine Gesellschaft, die sehr weitgehend nach außen hin den noch gültigen Konventionen folgt, aber keinerlei Wertvorstellungen damit verbindet. Ehebruch ist gängige Praxis, wird anscheinend allseits toleriert. Die individuellen Vorstellungen darüber, wer sich in welcher Situation aber wie zu verhalten hat, gehen weit auseinander. So unterstellt der Protagonist – Fabrikant Hofreiter, autoritärer Macher und Machtmensch – seiner Frau Genia, sie habe Schuld am Selbstmord des Künstlers Korsakow, weil sie ihn nicht als Geliebten nahm, sondern ihm treu blieb. Der Gedanke scheint unerträglich für ihn, er selbst nimmt sich jedes Recht, Frauen zu nehmen und fallen zu lassen, wie es ihm beliebt. So nimmt er auch sofort die Gelegenheit wahr, seinen Freund Dr. Mauer in die Berge zu begleiten, schließlich trifft man dort auch auf die blutjunge Erna, die seit Kindesbeinen für ihn schwärmt, sich aber ansonsten einen modernen Touch gibt. Dr. Mauer macht sich Hoffnungen auf Erna, aber Hofreiter nutzt rücksichtslos die Gelegenheit, sich Erna zu nähern. In einem Gespräch zwischen dem Hoteldirektor Aigner und Hofreiter über die emotionalen Erfahrungen des Ehebruchs, die im Falle Aigner zur sofortigen Trennung von der geliebten Frau und dem Sohn führten, wird deutlich, wie fremd ihm solche seelischen Befindlichkeiten sind (Burkhard Klaußner als Hofreiter mit großartiger Mimik). Die Seele ist für Aigner ein „weites Land“, für Hofreiter aber haben Menschen zu funktionieren – nach seinen Vorstellungen. Dass aber auch er Emotionen unterliegt, erweist sich im Gespräch mit dem Bankier Natter (Nomen est omen) und seiner verzweifelten Reaktion nach dem Duell-Mord an dem jungen Liebhaber seiner Frau, als er erkennt, dass er zwar die äußeren Verhältnisse manipulieren kann, nicht aber die inneren.
Wir sehen in Bochum eine Inszenierung, die sich weitgehend an der Originalfassung orientiert. Das Ensemble vermag durchgängig, die Charaktere des Wiener Großbürgertums um 1910 glaubhaft darzustellen. Besonders hervorgehoben werden müssen die beiden Hauptdarsteller Burkhard Klaußner als Hofreiter und Catrin Striebeck als seine Frau Genia, denn sie verstehen es emotionale Entwicklungen glaubhaft zu verkörpern. Marc Boysen als empfindsamer und zurückhaltender Dr. Mauer und Johann von Bülow als unterwürfiger, bauernschlauer Bankier Natter überzeugen mit ihrer Darstellung. Das Bühnenbild ist modern und schlicht, dabei auch zweckmäßig, denn  es bildet stets den geeigneten Rahmen für die Handlung. Die Aufführung ist, was sie sein soll: tragisch und komisch.
Insgesamt für Theaterfreaks eine Empfehlung!

(Gisela Baumann-Wagner)