Hagen
Gebrochene Utopie
Beethovens Fidelio in Hagen
Premiere am 18. April,
besuchte Aufführung am 2.5.2015
Schon die ersten Takte der Ouverture machen deutlich, wie Florian Ludwig seine Hagener Musiker vorbereitet hat: Da hört man keinen sinfonischen Breitwandwohlklang, sondern pointiert vorwärts treibende Musik, markant, bläserbetont, oft schrill, den revolutionären Ansichten Beethovens entsprechend. Das Orchester scheint davon so angetan, dass es die Sänger manchmal lustvoll übertönt, und im Finale schlägt der Dirigent ein so rasantes Tempo an, dass der sonst sichere Chor nur mit Mühe mitkommt. Dass er hier aber insgesamt den richtigen Ton getroffen hat, zeigte der Beifall für ihn und sein Orchester am Schluss.
Das hätte mit dem Verlauf des Stückes parallel gehen können: Frau (Leonore) schmuggelt sich, als Mann (Fidelio) verkleidet, in das Gefängnis ein, in dem ihr Mann (Florestan) sitzt. Sie rettet ihn und vernichtet den bösartigen reaktionären Gouverneur (Pizarro), der ihn ungerechtfertigt dorthin gebracht hat. Revolutionäre Tat und Gattenliebe verbinden sich. Beethovens Utopie: So könnte die Welt besser werden, und etwas davon soll der Zuschauer auch mit sich nach Hause nehmen und weitertragen.
Diese Hoffnung wird in der interessanten und nachdenklich machenden Hagener Inszenierung in Frage gestellt. Resignation ist dabei nicht gemeint, aber deutlich wird, dass Verbesserung der Welt nicht so einfach geht.
Für diese Desillusionierung sorgt einmal die neue Textfassung von Jenny Erpenbeck, 2007 geschrieben und zum ersten Mal in Deutschland in Szene gesetzt (was wieder einmal zeigt, dass das theaterhagen keineswegs auf gefällige Unterhaltung setzt, sondern ein ambitioniertes und tiefgehendes Programm bietet). Das Regieteam um Gregor Horres setzt dies in Verbindung mit der Musik sorgfältig um, verstärkt es aber noch mit zusätzlichen deutlichen Akzenten.
Erpenbeck führt eine neue Person ein: die alt geworden Leonore, die nach der Ouverture erscheint und ständig auf der Bühne präsent ist. Gleich zu Beginn behauptet sie, die Befreiung ihres Gatten sei ein „Makel“ gewesen, warum, erfahren wir nicht genau, sie beschränkt sich auf Andeutungen. Offensichtlich scheint ihre Befreiungstat die Liebe nicht beflügelt zu haben, was sich auch schon in der Wiedererkennungsszene zeigt, als die beiden ganz oft weit voneinander entfernt agieren. Dieses Phänomen, dass Liebe, Wunsch nach persönlichem Glück und Revolution nicht zusammenpassen und äußerst störanfällig sind, hat Erpenbeck in ihrem Roman „Aller Tage Abend“ am Beispiel einer anderen Frau ausführlicher und differenzierter ausgeführt. Diese Befreiung war aber trotzdem das beherrschende Ereignis in Leonores Lebens. Das wird einerseits gezeigt durch ihr mehrfaches Eingreifen in die jeweilige Situation, obwohl sie von den anderen Personen nicht wahrgenommen wird, zum anderen dadurch, dass sie öfters komplette Dialogtexte der anderen Personen übernimmt – offensichtlich hat sie noch jedes Wort, jede Einzelheit glasklar im Gedächtnis. Einmal zerreißt sie ein Plakat, das „Freiheit“ mit „Meer“ gleichsetzt – etwas tiefer muss man wohl schon graben. Und am Schluss ist es die alte Leonore, die Pizarro ersticht, was diesen aber gar nicht beeindruckt.
Die Regie stellt diesen Pizarro als mafiösen Bürokraten dar. Die vielen Akten herumtragenden Buchhalter sollen den Eindruck erwecken, dass alles bis ins Kleinste geregelt ist, und unter diesem Deckmantel kann er, von Leibwächtern mit schwarzen Hüten und Sonnenbrillen umgeben, tun und lassen, was er will.
In den 70er Jahren hat der Vater des jetzigen Regisseurs, Kurt Horres, sich bleibende Anerkennung erworben, indem er in seiner Wuppertaler Inszenierung den Schluss von der Oper abkoppelte und den triumphalen Schlusschor in Abendkleid und Anzug wie ein Oratorium singen ließ. Sein Sohn setzt in Hagen andere Akzente: Zwar werden ein Dutzend Lampen heruntergelassen, als würde das Gefängnis sich in einen Festsaal verwandeln, doch dann erscheint der rettende Minister Don Fernando überraschenderweise in blütenweißem Anzug, umarmt seinen wieder erkannten Freund Florestan zwar, aber nur kurz und förmlich, und wischt sich danach aber sofort die Fusseln vom Anzug. Die Truppe, die er mitgebracht hat, macht nicht den Eindruck, dass es besser und gerechter zugehen wird. Es sind die Vertreter des Ancien Régime in Ballkleidern und steifen Perücken, also genau der Gesellschaftsschicht, die man mit der Französischen Revolution glaubte überwunden haben. Willkür und Ungerechtigkeit herrschen also weiter, man hat die Wahl zwischen Mafia und Reaktion. Kein Wunder, dass Don Pizarro sein Messer von Don Fernando zurückbekommt, immer noch von seinen Leibwächtern geschützt, und ihm dafür ins Sakko hilft. Die Schurken bleiben ungeschoren. Wohl deshalb zieht die alte Leonore Florestans Gefängnisumhang an und ersticht Pizarro, offenbar ihr Wunsch, wie es hätte sei sollen. So war es aber wohl nicht, denn Pizarro bleibt stehen und kann weiter frech ins Publikum grinsen.
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Den schönen Ballkostümen entgegengesetzt sind die Kostüme der im Gefängnis arbeitenden Personen, häßliche Arbeitsklamotten, Leonore mit einem unförmig machenden Overall. Auch im Bühnenbild – grau in grau – wurde das Alltagselend konsequent nachvollzogen Bühnen (verantwortlich für beides Jan Bammes). Das große Waldbild im „Sozialraum“ des Gefängnisses sollte wohl auch eine unerreichbare Utopie darstellen.
Nur zwei Gäste haben die Hagener für diese Produktion engagiert: Sabine Hogrefe als Leonore und Richard Furmann als Florestan, beide sehr sicher in Ausdruck und Stimmführung. Die anderen, auch sehr anspruchsvollen Rollen schaffen die Hagener mit dem kompetenten eigenen Ensemble. Besonders mit Beifall bedacht wurde der offensichtliche Hagener Publikumsliebling Rainer Zaun als Kerkermeister Rocco, aber ebenso gut spielten und sangen Kenneth Mattice als Don Fernando, Rolf A. Scheider als diabolischer Don Pizarro, Maria Klier als Marzelline und Kejia Xiong als Pförtner Jaquino, der vor Gewalt gegenüber Marzelline nicht zurückschreckt, wenn diese zu Fidelio wechseln will. Nicht zu vergessen Harriet Kracht in der Sprechrolle der alten Leonore, die die utopischen Momente der Oper immer wieder dämpfte.
Ein Problem zeigte sich aber doch: Trotz spürbar großer Bemühungen war der Text öfters nicht zu verstehen, wobei das den männlichen Sängern eher gelang. Das jetzt den Sängern anzulasten, deren Texte ich anderen Produktionen gut verstanden habe, wäre jetzt unfair. Offenbar ist Textverständlichkeit bei Beethoven wegen oft eher instrumental geführten Stimmen schwieriger zu erreichen. Lösung wäre hier, den Text auf einem Band über der Bühne mitlaufen zu lassen, wie es bei Richard Strauss, Wagner und fremdsprachigen Opern schon lange üblich ist. Das wäre ein gutes Entgegenkommen gegenüber dem Publikum, denn wenn ein Großteil der Aufmerksamkeit auf das Verstehen des Textes gerichtet ist, kann man weniger auf die Feinheiten der Musik und der Inszenierung achten. Und in dieser Hinsicht hat diese Inszenierung viel zu bieten.
Fritz Gerwinn, 6. Mai 2015
Weitere Aufführungen:
15., 20., 31. Mai, 13., 21., 24. Juni