Der junge Lord

Werner Henze
Komische Oper in zwei Akten
Uraufführung am 7. April 1965 an der Deutschen Oper Berlin


Neuinszenierung im Opernhaus Dortmund am 17. Mai 2009

Inszenierung: Christine Milietz


Im Kulturhauptstadtjahr 2010 haben sich 40 Partner der Metropole Ruhr zusammengeschlossen und bringen das Gesamtwerk von Werner Henze auf die Bühne. Dortmund eröffnete am Freitag (15. Januar) mit der komischen Oper „der junge Lord" den Henze Zyklus.


Henze, der bekannteste Komponist unserer Zeit, begann 1963 in Berlin mit den Arbeiten zu der Oper, „der junge Lord." Zwei Jahr später wurde das Werk mit großem Erfolg an der deutschen Oper in Berlin uraufgeführt. Ingeborg Bachmann hatte das Libretto geschrieben. Mit der bekannten Lyrikerin verband Henze eine enge menschliche und künstlerische Beziehung. Die Parabel „Der Affe als Mensch" aus der Märchensammlung „Der Scheik von Alexandria und seine Sklavin," von Wilhelm Hauff bildete die Vorlage für die Buffo Oper. Bachmann baute eine Liebesgeschichte mit ein. Luise, das reichste Mädchen der Stadt, verliebt sich in den Studenten Wilhelm.


In der Oper ist die Affinität zu anderen Komponisten unüberhörbar. An Mozart und Rossini, Verdis „Falstaff" und Lortzings „Zar und Zimmermann" fühlt man sich erinnert. In zahlreichen Szenen glaubt man auch Strawinsky zu hören.


Der junge Lord ist eine bösartige Satire. Die Bewohner einer Kleinstadt werden zu Versuchskaninchen für den reichen, englischen Gelehrten Sir Edgar. Er stellt mit den braven Bürgern von Gotha-Hülsdorf ein Experiment an, ohne dass sie merken, was mit ihnen geschieht. Sir Edgar beobachtet die Menschen aus der Distanz heraus, sieht ihre Schwächen, bemerkt ihre Oberflächlichkeit, ihr Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung, ihren Hunger nach Liebe, ihr inbrünstiges Sehnen nach einer Welt, die anders ist, als die Ihrige. Eine konkrete Vorstellung, wie diese aussehen könnte, haben sie aber nicht. Ihre Neugierde auf Sir Edgar ist riesengroß. Umso schlimmer ist ihre Enttäuschung, als er sich von ihnen distanziert. Sie fühlen sich brüskiert und ihre Eitelkeit ist verletzt. Sir Edgar ist Wissenschaftler und Rationalist. Nicht nur die Bürger werden Opfer seines Experimentes, auch sein angeblicher Neffe, Lord Baratt, muss dran glauben. Wie das Experiment enden wird, ist dem Gelehrten schon vorab klar.. Von den Schreien des dressierten Neffen schrecken die Bewohner auf. Die bemitleidenswerte Kreatur, so stellt es sich am Ende heraus, ist kein Mensch, sondern eine Affe. Das ist die Pointe.


Die Inszenierung von Christine Milietz ist spannend und abwechslungsreich. Sie versteht es mit großartigen Bildern sowohl romantische Stimmungen, als auch Action auf die Bühne zu bringen. Den Auftakt bildet das Stadtbild von Gotha-Hülsdorf. Es skizziert die Kleinstadt in warmen Farben und lässt noch nicht erahnen, welches Drama sich hier bald abspielen wird. Sanft herabfallende Schneeflocken symbolisieren den Beginn einer romantischen Beziehung zwischen Luise und Wilhelm. Die Regisseurin arbeitet mit moderner Lasertechnik und fokussiert damit den Blick der Zuschauer auf ungewöhnliche Ereignisse. Der Laserstrahl zeichnet eine Stretchlimousine auf die Wand. Sir Edgars imposantes Fahrzeug charakterisiert den Gelehrten als sehr wohlhabend. Und seine exotisch anmutende Dienerschaft verstärkt noch den Eindruck des Extravaganten. Witzig die Idee mit dem Bananenröckchen, das Köchin Begonia trägt. Ihr Aussehen und ihre Gestik erinnern an Josefine Baker. Auf der Bühne ist ständig Bewegung. Manchmal tummeln sich dort so viele Menschen, dass man leicht den Überblick verlieren könnte. Doch die Regisseurin versteht es glänzend jeder Figur eine Individualität zu geben. Wie Milietz die Honoratioren der Stadt vorführen lässt, ist in höchstem Maß amüsant. Da stolzieren die Stadtväter über die Bühne und versuchen die Manieren des jungen Lord zu kopieren. Die Damen tragen phantasievolle Hutkreationen und trippeln mit kleinen lächerlich anmutenden Schritten auf und ab. Gerade so als flanierten sie über den schönsten Boulevard der Welt.
Ein Paradebeispiel für das Groteske in der Oper gibt die unglückliche Luise ab. Milietz steckt sie in ein Tortenkleid. Bewegungsunfähig muss sie über die Bühne geschoben werden. In Konventionen erstarrt, scheint ihr ein selbstbestimmtes Leben nicht möglich zu sein. Kontrastierend dazu Wilhelm, der von seiner Lebensgestaltung eine andere Vorstellung zu haben scheint und als sichtbares Zeichen von Lebendigkeit das Fahrrad mit sich trägt. Die Inszenierung endet mit einer starken Schlussszene, Der wilde Tanz von Lord Barrat, hervorragend choreographiert von Justo Moret Ruiz, endet in einer bitteren Erkenntnis.


Henze wäre nicht Henze, besäße sein Werk nicht größte Aktualität. Als die Oper geschrieben wurde, suchte das Nachkriegsdeutschland noch verzweifelt nach einer neuen Identität, heute sind es die Auswirkungen der Globalisierung, die weltweit zu großen Veränderungen und Problemen geführt hat .Der moderne Mensch steckt in einem Dilemma. Bedroht von Arbeitslosigkeit und Existenzängsten, verliert er zunehmend seine Individualität und damit den Zugang zu seinem eigentlichen Selbst. Verlangt wird Anpassung, für Kreativität bleibt wenig Platz. Den Eindruck fremdbestimmt zu sein, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein, sich zum Affen gemacht zu haben, um eines Vorteils willen, oder weil man nur auf eine bestimmte Art und Weise, Dinge erreichen konnte, dieses Gefühl kennen mittlerweile viele Menschen. Henze hat all diese Probleme gesehen. Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, reinschauen müssen wir selber.


Der junge Lord ist im Stile einer traditionellen Opera Buffa komponiert. Das Klangbild passt sich der Dramatik an, wobei es immer wieder zu atonaler Verfremdung kommt. Die Sänger präsentieren sich auf höchstem Niveau, überzeugen mit Klangschönheit und Textverständlichkeit. Großes Lob ist dem Opern-Kinderchor und Opernchor, sowie den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Jac von Steen zu zollen.


Viel Begeisterung und langanhaltender Beifall vor leider nicht ganz ausverkauftem Haus.

(HA-KRU)