Foto: Uwe Stratmann
Foto: Uwe Stratmann

West Side Story in Wuppertal

 

Premiere am 2.12.2015

 

Super!

 

Großer Jubel am Schluss, standing ovations. Wuppertal hat wieder einen Publikumsrenner, der uneingeschränkt zu empfehlen ist.

 

Zwei Hauptgründe: einmal ein langes und intensives Casting in Berlin. Das führte zu einer Besetzung, in der in jeder Rolle alles bis aufs letzte Detail stimmt. Zum zweiten haben die Verantwortlichen offenbar hervorragend zusammengearbeitet. Besonders spürbar wurde das an der engen Verzahnung von Regie (Katja Wolff) und Choreographie (Christopher Tölle), sehr überzeugend war auch die Verbindung zur Musik, die vom Dirigenten Christoph Wohlleben im Programmheft genannte „immanente Aggression“ kam nicht nur aus dem Orchestergraben über die Rampe, sondern verband sich in jedem Moment mit Handlung und Tanz auf der Bühne. Cary Gailer (Bühne), Heike Seidler (Kostüme) und vor allem Pia Virolainen (Lichtdesign) ergänzten dieses Team hervorragend.

 

Die Jets, die Bande der „bodenständigen“ Amerikaner, lümmeln schon lange vor Beginn auf der Bühne herum, rauchen, langweilen sich, dann hört man die Geräusche ständig vorbeifahrender Autos, bevor da hinein die Musik einsetzt. Nur wenig später erscheinen die Sharks, die Puertoricaner, die beiden Gruppen streiten miteinander, es wird schnell äußerst brutal. Ohne jedes Wort wird dies in Handlung und Tanz so überzeugend umgesetzt, dass sofort der Funke ins Publikum überspringt. Auffällig ist in dieser Szene der häufige Wechsel von Passagen mit sehr schnellen Bewegungen und solchen, in denen alle Personen wie plötzlich eingefroren stehenbleiben. Auch in den anderen Tanzszenen hat es der Choreograph geschafft, jedem Tanz seinen eigenen Charakter zu geben. So erhält z.B. die Nummer „Gee, officer Krupke“ (als einziger Song in intelligenter Übersetzung sogar auf Deutsch) seinen Reiz durch die darin verwendeten Bierkästen. Der Tanz verselbständigt sich aber niemals, sondern korrespondiert immer mit der Handlung.

 

Dazu hat sich Katja Wolff einiges einfallen lassen. Die beiden Banden werden relativ stark voneinander abgesetzt, die Jets sind eher prollig, die Sharks deutlich machohafter. Auch deren Frauen sind sehr sinnlich gezeichnet, Anita macht unmissverständlich deutlich, dass ihr Bernardo sich mehr auf seine lustvollen Pflichten ihr gegenüber konzentrieren soll als auf seine Rolle als Bandenführer.

 

Auch sonst spielt das Körperliche eine große Rolle, Tony und Maria berühren und küssen sich unaufhörlich, als wüssten sie schon, dass ihre Liebe keine Chance hat. Die Texte sind kurz, präzise und alltagstauglich. Betont wird die Rolle von Anybodys, einem Mädchen, das unbedingt Mitglied der Jets werden will. Und die weißen Polizisten sind entweder extrem ausländerfeindlich oder dumm. Die Wechsel zwischen humorvollen und ernsten Passagen sind genau austariert, das Publikum reagiert einmal mit Lachen, manchmal kann man allerdings auch die berühmte Stecknadel fallen hören.Zuletzt sind noch einige liebevoll entwickelte Gags zu nennen, etwa wenn Tony in der Balkonszene ungeschickt ausgleitet, oder wenn Anita, um Maria und Tony allein lassen zu können, plötzlich per Fernbedienung ein Garagentor öffnet und darin verschwindet.

 

Ein Highlight ist die erste Szene nach der Pause, wenn Maria sich vor Freude über ihre erste Liebe betrunken hat und mit fünf ebenfalls angesäuselten Freundinnen „I am pretty“ zum Besten gibt. Rasant!

 

Ein Beispiel für das Zusammenspiel mit der Musik: Wenn gegen Ende des 1. Aktes, nachdem sich Maria und Tony über die wahrscheinlichen Reaktionen ihrer Mütter angesichts der neuen Partnerschaft unterhalten haben, erklingt im Orchester zum ersten Mal das Motiv von „Somewhere“. Sofort reagieren hierauf Regie und Lichtdesign. Das Wuppertaler Orchester unter Christoph Wohlleben bewältigte die schwierige Partitur, in der die unterschiedlichsten Stile verarbeitet werden, mit Bravour, wohl auch angeregt durch die enge Verzahnung mit Regie und Choreographie.

 

Was das Lichtdesign angeht, hat sich Pia Virolainen an vielen Stellen Erhellendes überlegt. Am deutlichsten wird das in der Club-Szene, in der sich zuerst Blumen kaleidoskopartig über die Szene bewegen, dies aber bei der Begegnung von Tony und Maria abrupt aufhört, oder am Schluss, wenn sich mit einem Schlag plötzlich ganz viele erleuchtete Fenster zeigen. Auch die Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner ist unverkennbar, wenn in dessen flexiblen und Überraschungen bietenden Einheitsbühnenbild plötzlich ein Fenster erleuchtet wird oder der Rolladen zu Docs Laden hochgeht.

 

Berührend ist die „Somewhere“-Szene im 2. Akt. Während Maria und Tony sich im Hintergrund der Bühne lieben, betreten alle anderen Beteiligten die Bühne, um den Ort zu besingen, den sie sich alle wünschen. Utopie? Gibt es jemanden, der zum Ziel kommt? Das Ende ist jedenfalls ernüchternd. Kein Happy End, sondern Ratlosigkeit, Trauer, Hass.

 

Das umfangreiche Casting hat sich gelohnt, wie oben schon gesagt. Alle Personen auf der Bühne bestachen durch ihre Fähigkeit, nicht nur singen und spielen, sondern auch tanzen zu können. Auch dadurch begeisterte die Aufführung. Martina Lechner als Maria und Gero Wendorff als Tony meisterten ihre vor allem gesanglich schwierigen Partien hervorragend, wobei Martina Lechner im 2. Teil die Entwicklung Marias besonders eindrücklich spielte. Christopher Brose als Riff und Vladimir Korneev als Bernardo glänzten als Bandenführer, in der kleineren Rolle der Anybodys spielte sich Sabrina Reischl in den Vordergrund. Aber am beeindruckendsten war Sarah Bowden als Anita mit unglaublicher Bühnenpräsenz.

 

Im Dezember 2015 bis zum 6. Januar 2016 wird die West Side Story fast jeden Tag gespielt. Es lohnt sich! Man sollte sich schnell Karten besorgen!

 

Fritz Gerwinn, 3.12.2015

 

Weitere Aufführungen: 3., 4., 5., 6., 11., 12., 13., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 26.,