Foto: Andrew Finden (Daniello), Foto: Klaus Lefebvre
Foto: Andrew Finden (Daniello), Foto: Klaus Lefebvre

„Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek im theaterhagen

Premiere am 16.01.2016

 Spannende Oper, intelligente Regie, interessante Musik

 

Beim Lesen der Handlung von „Jonny spielt auf“ – der Komponist Ernst Krenek hat nicht nur die Musik, sondern auch den Text geschrieben - entsteht leicht der Eindruck: Was für eine verworrene, reißerische Geschichte mit vielen unerwarteten Wendungen! Eine Geige und vier Hauptpersonen! Wie kann man das nachvollziehbar auf die Bühne bringen?

 

Es ist nicht notwendig, die Handlung hier anzudeuten oder gar nachzuerzählen, denn die Umsetzung auf der Hagener Bühne gibt die beste Antwort. Keine Frage: Alles ist gut gelungen, dank der kreativen und sorgfältigen Arbeit des Regisseurs Roman Hovenbitzer, der schon mehrfach in Hagen eine Oper auf die Bühne gebracht hat. Er verlebendigt die faktenreiche Handlung, macht sie ohne Probleme nachvollziehbar, gibt dem Publikum aber auch etwas zum Nachdenken. Und was die Inszenierung richtig gut macht: er hat mit allen anderen Verantwortlichen hervorragend zusammengearbeitet.

Ensemble, Chor, Tänzerinnen, Foto: Klaus Lefebvre
Ensemble, Chor, Tänzerinnen, Foto: Klaus Lefebvre

Zwei sonst eher weniger beachtete Mittel sind hier ganz wichtig: Vor jeder Szene gibt es einen Zwischenvorhang, auf dem Hinweise zu Ort und Zeit der nachfolgenden Szene gegeben werden. Das trägt erheblich zum Verständnis bei, ist aber auch Teil der Lichtregie (Ulrich Schneider), die auch innerhalb der einzelnen Szenen immer wieder verdeutlichend in Erscheinung tritt. Ebenso wichtig sind die Übertitel (sonst in Hagen bei deutschsprachigen Opern nicht verwendet), die sehr helfen, besonders bei Duetten, Terzetten und wenn musikalisch Übereinandergeschichtetes erklingt. Die Anteile der Aufmerksamkeit, die sonst notwendig sind, um erstmal den Text zu verstehen, können also für anderes verwendet werden.

 

Auf dieser Grundlage kann sich dann die genaue Personenführung des Regisseurs entfalten. Nicht nur die Charaktere der handelnden Personen werden deutlich gemacht, sondern auch deren Mit- und Gegeneinander im Verlauf der Geschichte. So der Komponist Max, der sich ständig selbst im Weg steht und heftige Macken entwickelt hat, sich dann aber zum Schluss hin öffnet; die Sängerin Anita, die gern mit ihm zusammenbleiben will, an seinem Charakter aber fast verzweifelt; das zwischen schnippisch und naiv changierende Dienstmädchen Yvonne. Besonders gut wird der titelgebende Jazzgeiger Jonny (beim ersten Auftritt spielt er noch Saxophon und ist fast immer umgeben von drei Tänzerinnen) in seiner rücksichtslosen Brutalität getroffen. Der Regisseur bezieht in seine sorgfältige Arbeit aber auch alle anderen ein, Statisten und den sehr guten Hagener Chor: in Erinnerung ist mir z. B. das folgenreiche Niesen einer Chordame beim Auszug aus dem Pariser Hotel.

 

Unterstützt wird dies durch Licht, Videos (Achim Köster), ansprechende Choreographie (Alfonso Palencia), genau passende Kostüme und das Bühnenbild (beides Jan Bammes). Hier wurde exzellent zusammengearbeitet, um die Charaktere zu beleuchten und die Handlung zu fokussieren. So besteht z.B. die Rückwand von Maxens Zimmer, der die einsame Natur in Form des Gletschers für sein Schaffen braucht und liebt, aus großen Felsblöcken, die nur von Stahlträgern zurückgehalten werden – Natur also auch als Bedrohung. Auch der Amsterdamer Bahnhof wird in origineller Weise auf die Bühne gebracht, lässt sich außerdem noch bewegen und verändern.

Hans-Jörg Priese (Max), Edith Haller (Anita), Foto: Klaus Lefebvre
Hans-Jörg Priese (Max), Edith Haller (Anita), Foto: Klaus Lefebvre

Zum Nachdenken kann man aber kommen: Was sagt uns die Minilandschaft, in der Max seine Lebenssituation darstellt, die dann gegen Schluss von einer schwingenden Disco-Kugel zerstört wird? Warum besteht der Gletscher aus Büchern oder Noten? Und hat amerikanische Musik über deutschen Tiefsinn gesiegt, wenn auf einem Video Notenpapier nach unten segelt?

 

Sehr gelungen war auch die Zusammenarbeit mit Dirigent Florian Ludwig und seinem Orchester, das die vielfältigen Stile, die Krenek bunt durcheinander mischt, toll bewältigt und den jeweiligen Charakter dabei sehr deutlich macht. Die Stilskala benutzt dabei fast klassische und romantische Musik, klingt, vor allem dann, wenn es ernst wird, expressiv-dissonant, integriert aber auch Unterhaltungsmusik, Jazz (weniger als man erwartet), Hymnen und Choräle und wird dabei auch ironisch und parodistisch. Einmal zitiert Jonny sogar das amerikanische Volkslied vom Swanee River. Ein wunderbares Beispiel, wie dieser musikalische Stilmix von der Regie aufgenommen und auf die Bühne gebracht wird, bietet die erste Szene nach der Pause. In seiner Soloszene wartet Max vergeblich auf seine Anita. Hier ist exemplarisch zu verfolgen, wie die sich schnell ablösenden Stilmittel der Musik ihre Entsprechung in Gesang und Darstellung finden.

Edith Haller (Anita), Andrew Finden (Daniello), Foto: Klaus Lefebvre
Edith Haller (Anita), Andrew Finden (Daniello), Foto: Klaus Lefebvre

 Die Sänger zu hören ist wie immer in Hagen ein Genuss. Zu den in Hagen sehr beliebten Rainer Zaun als Manager, Maria Klier als Yvonne und Kenneth Mattice als Jonny kommen aber diesmal noch Gäste: Andrew Finden singt den Daniello, den ursprünglichen Besitzer der Geige, als Anita erlebt man Edith Haller mit klaren und schönen Spitzentönen. Und in der Hauptrolle des Max hörte man in der Premiere Hans-Georg Priese (in den folgenden Aufführungen alternierend mit Matthias Schulz), der seine umfangreiche, schwierige und hoch liegende Titelpartie exzellent sang und spielte und dabei deutlich machte, dass er und Anita die Hauptpersonen sind und „Jonny spielt auf“ insofern nicht ganz der richtige Titel ist.

 

Fazit: Das theaterhagen ist wieder einen Besuch, sogar eine längere Anfahrt wert!

 

Fritz Gerwinn, 17.01.2016