Düsseldorf

 

Das Gesicht im Spiegel

 

Die deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf präsentiert „Das Gesicht im Spiegel" nach der Komposition von Jörg Widmann.

 

Selten war eine Oper so modern und ein Stoff so aktuell. Das Libretto des Gegenwartsdramatikers Roland Schimmelpfennig, dessen Stücke zu den zur Zeit am meisten gespielten gehören - zuletzt der „Elfte Gesang" im Rahmen der Odyssee Europa von Ruhr 2010 am Bochumer Schauspielhaus - unterstreicht, dass es sich hierbei um Musiktheater handelt. Der viel gefragte Düsseldorfer Konzeptkünstler Mischa Kuball wurde in die Licht-Raum-Konzeption miteinbezogen.

 

Nicht zuletzt thematisiert die Oper, 2004 in München uraufgeführt und von der Fachzeitschrift „Opernwelt" zur wichtigsten Uraufführung 2003/2004 gewählt, ein aktuelles Thema: das Klonen von Menschen.

 

Die Handlung:

 

Ein Ehepaar, das einander verloren hat, hat ausser der gemeinsamen Firma keine Gemeinsamkeiten mehr. Patrizia, die Frau, starrt nur noch auf den Bildschirm, um den Börsenkurs zu beobachten. „Immer den Blick auf die Grafik, die Kurve" heißt es da. Die Hektik und Kälte der Aktienwelt, vermag das Orchester sehr gut musikalisch zu untermalen. Die Musik passt sich den hektischen, schnellen und intensiven Phasen und Momenten der Handlung stets optimal an. Das Büro hat das Ehepaar quasi mit nach Hause genommen, so klagt Patrizia „Bruno, mein Mann oder besser: nur noch mein Partner" verfolgt nur noch den Aktienkurs auf dem Bildschirm. Den Darstellern gelingt es die Kühle ihres Umgangs miteinander durchgehend überzeugend darzustellen, indem sie sich nicht ansehen. Als ihre Firma der „Verlierer des gestrigen Tages" ist, bleibt ihnen nur noch die Hoffnung auf ein neues Produkt: das Werk des Bioingenieurs Milton, ein Klon Patrizias. Die anfängliche Unbeholfenheit und Steifheit des Duplikats namens Justine wird gut dargestellt von Annett Fritsch. Wie ein Roboter bewegt sie sich in der für sie neuen Welt, in der sie ihr Gesicht nicht sehen darf. Alle Spiegel sollen verdeckt bleiben. Die Bühne ist hier mehr als einmal ein Hauptdarsteller. Ein großer Würfel, der zu Beginn der Szene noch das Publikum spiegelt, wird mit weißer Farbe überstrichen. Dieser Effekt überrascht den Zuschauer auch außerhalb der Aufführung, es handelt sich bei diesem Stück schließlich um ein Gesamtkunstwerk. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Die Moderne Kunst präsentiert sich durch eine Videoinstallation von Mischa Kuball, eine Videokamera spielt eine aufregende Rolle, wenn Patrizia sich filmt und ihre Aufnahmen übergroß an die Wand projiziert werden. Die Möglichkeiten der Bühnentechnik werden voll ausgeschöpft, wenn Wasser als Spiegel dient oder ein wankender Käfig die emotionale Gefangenheit des Ehepaares veranschaulicht.

 

Es ist eine moderne Inszenierung, die auch ein jüngeres Publikum anspricht, auf die Musik und das Bühnenkonzept muss man sich einlassen. Es lassen sich auch hier mythische Aspekte finden: Bruno verliebt sich in Justine, weil sie ihn an seine Frau Patrizia erinnert, wie sie einst war, und singt herzzerreißend entschuldigend: „Das konnte ich nicht wissen: dass sie so wird wie du es einmal warst...". Dabei erinnert er an Pygmalion. Dieser verliebte sich in eine von ihm geschaffene Frauenskulptur, die schließlich lebendig wurde. Brunos Flugzeugabsturz wirkt, als würde Ikarus sich wieder einmal selbst überschätzen. Die Frage „Wie weit darf der Mensch gehen?" wird in Düsseldorf neu gestellt. Wenn es eine Antwort gibt, ist es vielleicht diese: Die Liebe folgt anderen Gesetzen als denen der Technik und selbst die Technik erliegt ihren Tücken. Homo Faber im 21. Jahrhundert als Musiktheater. Großer Beifall für alle Beteiligten, den insbesondere der Kinderchor verdient hat, der unter der Leitung von Justine Wanat eine grandiose Leistung erbringt.