Umjubelter Figaro im Wuppertaler Opernhaus
Premiere am 14. April 2019

 

Auf der Bühne ein weißer Kasten, an der Rückwand vier Türen. Das soll das komplette Bühnenbild sein? Im Wesentlichen schon, es wird aber gut genutzt und immer wieder verändert, und die vier Türen erfüllen wichtige Funktionen. Insgesamt bildet dieser weiße Kasten mit vier Türen aber die Grundlage für eine Figaro-Inszenierung, die die turbulente Handlung außergewöhnlich deutlich macht, die Charaktere der Personen klar herausstellt und außerdem sehr witzig und fröhlich ist. Standing Ovations am Schluss, nicht nur für das Regieteam, sondern auch für das Orchester unter Julia Jones und vor allem für die Solisten, die meisten aus dem Wuppertaler Ensemble in größeren Rollen. Alle hatten in perfekter Zusammenarbeit zum Erfolg beigetragen.

 

Die vier Türen des weißen Kastens (Bühnenbild: Johannes Schütz) geraten schon im Vorspiel gehörig in Bewegung: Alle Akteure und das gesamte Personal des Schlosses erscheinen in sich wiederholenden Abläufen, öffnen und schließen die Türen lautstark genau im Takt der Musik. Im 1. Akt können Cherubino und der Graf sich aber auch wunderbar hinter ihnen verstecken. Ein Prinzip der Regie (Joe Hill-Gibbins), die große Deutlichkeit, zeigt sich von Anfang an: Wird von Personen geredet, so präsentieren sich diese kurz in den Türen, so in der 1. Szene Gräfin, Graf (im Bademantel!) und Intrigant Basilio, oder betreten sogar als stummer Partner die Bühne, so der Graf in der Wut-Arie des Figaro, der ihm dabei als sein Diener sogar noch die Krawatte umlegen muss.

 

Im 2. Akt ist der weiße Kasten in den ersten Stock hochgefahren. Darunter sitzt ein Trupp Diener, zu denen Figaro und Susanne als Dienstpersonal offenbar gute Beziehungen unterhalten. Die müssen immer wieder eine Treppe an die richtige Tür bugsieren. Wer kommt, wird so schon vor dem eigentlichen Auftritt sichtbar. Dicke Matten schleppen müssen sie einmal, damit Cherubino aus dem ersten Stock in den Garten springen kann.

 

Im 3. Akt wechselt der Kasten mehrfach die Höhe, macht Parallelhandlungen möglich oder bringt Angstträume ins Bild: wenn der Graf seinem Diener die Liebe nicht gönnt, erscheinen alle Personen in wechselnden Konstellationen als Liebespaare hinter den geöffneten Türen. Es zeigt Reaktionen von Personen, die sonst nicht sichtbar sind: so verzweifelt z.B. die Gräfin im 1. Stock, wenn sich Susanna mit dem sofort handgreiflich werdenden Grafen auf der Vorderbühne ihrem Plan gemäß verabredet.

 

Ganz in den Hintergrund gefahren ist der weiße Kasten im 4. Akt, dient nur noch als Kulisse. Alle entscheidenden Ereignisse werden im Vordergrund dargestellt, und obwohl es Nacht ist, herrscht keine Dunkelheit. Der Regisseur setzt in diesem Akt noch mehr als in den anderen auf große Deutlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Beispiel: Figaro erkennt schließlich doch die als Gräfin verkleidete Susanna, spielt sein Spiel aber weiter, bis diese vor Wut platzt. Auch die Übergabe der Nadel Ende des 3. Aktes ist die einzige Handlung auf der Bühne und wird nicht, wie sonst oft, zur Seite gedrängt.

Einen eigenen Akzent setzt der Regisseur auf die Person des Extrempubertanten Cherubino. In dieser Inszenierung ist nicht nur er scharf auf alle Frauen, sondern umgekehrt himmeln ihn alle Frauen an, sogar das gesamte weibliche Dienstpersonal. Auch Susanne und die Gräfin gehen sehr intim mit ihm um, diese ist sogar ausgesprochen sauer, wenn er Barbarina heiraten und sich deshalb nicht mehr genügend ihr widmen will. Dass Hill-Gibbins viel Schauspiel inszeniert hat, merkt man daran, dass er die Emotionen sehr deutlich über die Rampe bringt und viel Situationskomik verwendet. Auch korrespondieren viele Gesten perfekt mit der Musik, besonders gut nachzufühlen bei den schallenden Ohrfeigen.

 

Im 2. Akt drücken Susanna und die Gräfin bei Cherubinos Kanzone ihr Einverständnis mit ihm aus, indem sie dieselben Bewegungen machen, mit ihm Ballett tanzen. Dies ist auch ein wichtiges Merkmal der Inszenierung, denn der Regisseur hat mit einer Choreographin, Jenny Ogilvie, zusammengearbeitet. So geht immer wieder Handlung in Choreographie über, oder Tanz findet hinter geöffneten Türen statt, während davor die Szene weitergeht.

 

Das Wuppertaler Orchester zeigte sich in bester Spiellaune, im halb hochgefahrenen Orchestergraben dicht besetzt, so dass Generalmusikdirektorin Julia Jones ihr Pult nur durch den Zuschauerraum erreichen konnte. Rasante Tempi wurden bravourös gemeistert, aber auch die langsameren Passagen genussvoll ausgekostet. Bewusst pointiert eingesetzt wurden die Blechbläser, Solisten, Chor und Orchester reagierten genau und aufmerksam auch bei Ritardandi und Fermaten. Besonders gelungen schien mir die Darstellung des Kriegslärms in Figaros Arie am Ende des 1. Aktes. Unbedingt erwähnt werden muss der Hammerklavierspieler, der seinen Part kreativ und variabel improvisierte. Und der Chor (Markus Baisch) sang, spielte, tanzte ohne Fehl und Tadel.

 

Aus dem Wuppertaler Ensemble konnten einige in größeren Rollen glänzen. So Sebastian Campione mit schwarzem, aber sehr beweglichem Bass als Figaro und Ralitsa Ralinova mit klarem, unangestrengt wirkendem Sopran als Susanna. Viel Beifall erhielt auch Simon Stricker als Graf mit farbenreicher Gestaltung. Iris Marie Sojer als Cherubino überzeugte sowohl stimmlich als auch darstellerisch, sie ist ebenso ein Gewinn für das Wuppertaler Ensemble wie Anne Martha Schuitemaker als Barbarina mit sicher geführtem Sopran. Mark Bowman-Hester bewältigte herrlich exaltiert die Rolle des Basilio und präzise stotternd die des Don Curzio. Joslyn Rechter, die viele noch aus dem Weigand-Ensemble kennen, und Nikolai Karnolsky spielten Figaros Elternpaar mit markanten Stimmen. Und Anna Princeva sang und spielte den Part der Gräfin extrem glaubwürdig und mit großer Eindringlichkeit.

 

Fazit: Pralles Theater, vergnüglich mit Tiefgang, wunderbare Musik!

 

Fritz Gerwinn, 15.4.2019

20.4., 30.4., 30.5., 20.6., 27.6., 3.7.,