AscheMOND_Sommer_Chor_Nina_Koufochristou_Fotograf_Wil_van_Iersel.j
AscheMOND_Sommer_Chor_Nina_Koufochristou_Fotograf_Wil_van_Iersel.j

Anspruchsvolle Premiere in Wuppertal

Helmut Oehrings AscheMOND oder the Fairy Queen im Opernhaus

 

Premiere am 29.1.2017

 

Oper von Helmut Oehring unter Verwendung von Musiken Henry Purcells

Konzeption und Libretto von Stefanie Wördemann

Mit Texten von William Shakespeare, Heinrich Heine, Adalbert Stifter und Helmut Oehring

 

Im noch dunklen Haus wabern Sprachfetzen aus den Lautsprechern, von vorn und allen Seiten. Dann setzt das Barockorchester mit Purcell ein und wird im Schlussakkord von Oehrings Musik abgelöst.


Endlich wieder Premiere eines neuen Stücks Musik aus dem 21. Jahrhundert. Das war zum letzten Mal 2014 mit Stephan Winklers Universums-Stulp der Fall, noch in der Aera Weigand. Die Oper in Wuppertal geht also wieder ein Wagnis ein. Entsprechend nervös waren denn auch die Akteure beim Einführungsgespräch, trafen aber auf ein wohlwollendes und interessiertes Publikum. Darunter befand sich etliche Wuppertaler Prominenz, sogar Wuppertaler Kandidaten für den Bundestag waren dabei.

 

Der Komponist Helmut Oehring macht es uns nicht leicht. Erzählt wird keine stringente Geschichte, sondern „ein höchst spannender Kosmos unterschiedlichster, melancholischer Farben" wird vor uns ausgebreitet, so Regisseur Immo Karaman. „AscheMOND ist eine Hymne auf die Vergänglichkeit. Düster und Dringlich.“  Das sagt der Komponist selbst zu seinem Stück. Und: „Die eigentliche Essenz der Oper steckt vielmehr im philosophischen Überbau: Alle Menschen stehen mit allen anderen in existentieller Verbindung. Die geistig emotionalen Haltungen, die wir Menschen hervorbringen, überdauern die Zeit und den Tod.“

 

Wie wird dieser hohe Anspruch nun in der Oper eingelöst? Fünf Teile hat sie. Im Prolog als auch im abschließenden Epilog erklingt Purcells „Music for a while“, die Hymne der Trösterin Musik, die allen Widrigkeiten des Lebens trotzt und sogar dem Tod die Stirn bietet. Im Epilog mündet er in einen Frauenchor, der laut Programmheft einen „utopischen Wendepunkt“ markieren soll, durch seine starke Dissonanzhaltigkeit aber auch als Zurücknahme dieser Utopie gedeutet werden kann. Dazwischen drei Teile, die sich an den Jahreszeiten orientieren. Der Sommer hat als zweiten Titel „Überlagerung“, der Herbst heißt auch „Verdeckung“,der Winter „Auslöschung“. Einen Frühling gibt es nicht.

 

Was kann ein Regisseur tun, der keinen Handlungsablauf bebildern kann, weil es keinen gibt? Er muss Bilder finden und erfinden, sich auch von den Sängern und Darstellern anregen lassen, die das Miteinander der Menschen, ihre Haltungen in einer Art Kaleidoskop zeigen. Der Beifall für ihn und sein Team zeigte wohl, dass ihm das gelungen ist, auch wenn viele seiner Bilder und Szenen etwas verrätselt wirkten. Jeder Zuschauer wird wohl andere Bilder als stark oder schwach im Kopf behalten haben. Sommer und Herbst finden in einem Wartesaal statt, in der Mitte zwei Bänke, wie sie auch in einer Kirche stehen könnten. In diesem Saal gehen immer wieder Menschen in unterschiedlichster Weise miteinander um. So verbergen alle Frauen im rechten Ärmel ihres Mantels einen Vogel, holen ihn hervor und streicheln ihn, während ein thematisch passendes Lied von Purcell (Kommt, ihr Sängervolk der Lüfte) erklingt. Wenn der Chor „Unserer Königin darf nichts passieren“ singt, sinken alle wie von einer geheimen Kraft gefällt zu Boden, so dass sie ihre Königin nicht schützen können und sich ihr Kleid rot zu färben beginnt. Diese, Titania/Fairy Queen/MOND, gespielt von der gehörlosen Schauspielerin Kassandra Wedel, spielt im gesamten Stück eine wichtige Rolle als Gebärdensolistin, auch insofern, als durch diese andere Sprache die Selbstverständlichkeit der Verständigung in Frage gestellt wird.
Immer wieder treten die Darsteller vorn an die Rampe, um ein offenbar bedrohliches Ereignis in Augenschein zu nehmen, oder fliehen kollektiv vor einer plötzlich einbrechenden Naturkatastrophe. Besonders haften bleibt vielen sicher eine Szene im Herbst, wenn der Text des Purcell-Liedes auffordert, sich den Freuden der Liebe hinzugeben und nicht so besonders auf Jungfräulichkeit zu achten, eine Meute von bieder aussehenden und angekleideten Männern die Fairy Queen in eindeutiger Absicht immer näherkommt und sie bedrängt, so dass im weiteren Verlauf der Szene eine Schwangerschaft unverkennbar ist. In diesem Herbst-Teil beginnt sich auch eine runde Scheibe aus der Wand des Wartesaals zu lösen. Im Winter-Teil – alles ist jetzt schwarz -ist diese Scheibe ganz verschwunden, so dass sich eine mondartige Öffnung zeigt, auf die die auch schwarz gekleidetete Fairy Queen mit Krone zuschreitet, dann aber aus ihr herausstürzt und schließlich durch ihren Koffer von der Bühne verschwindet.
Vieles, auch viele Wiederholungen von Gesten (ein Becher fliegt immer wieder in einen überfüllten Abfalleimer) erinnerten an Stücke von Pina Bausch, in denen  eine nachvollziehbare durchgängige Handlung ja schon lange keine Rolle mehr spielt. Das kaleidoskopartige Geschehen wurde ergänzt durch einen Schauspieler, Manfred Böll, der als Teil der ganzen Gesellschaft, oft als Reisender mit Koffer, agiert und Texte von Shakespeare, Stifter, Heine vorträgt. Diese sind aber nicht genau zu identifizieren, bereichern aber das Gesamtbild.

 

Helmut Oehring verwendet nicht nur eigene Musik, sondern bezieht sich sehr auf den Barockkomponisten Henry Purcell. Nach eigener Aussage ist es etwa so, als hätte ihm Purcell aus der Vergangenheit einen Brief geschrieben, den er jetzt mit den Mitteln seiner Zeit beantwortet und dabei Musik als Treibmittel benutzt, um Geschichten zu erzählen. Dazu verwendet er zwei Orchester: ein Barockorchester (Leitung Michael Cook), das links sichtbar vor der Bühne sitzt, daneben das übliche komplette Orchester in der Tiefe des Grabens. Ganz rechts noch eine kleine Empore mit E-Gitarre und verstärktem Kontrabass. Diese beiden Musiker Daniel Göritz, Alexander Gabrys) messen die ganze Skala der musikalischen Möglichkeiten aus, vom Geräusch bis zur Lautenbegleitung der Purcell-Songs. Musik kommt aber nicht nur von vorne, sondern per Sounddesign aus allen Richtungen (Torsten Ottersberg), lässt Assoziationen an Weltraummusik aufkommen. Sogar einen kompletten Flügel hatte man in eine Seitenloge gequetscht. Entsprechend bunt zeigen sich auch die musikalischen Abläufe. Oft hört man Purcell pur, mehrfach platzt seine Musik von einem Moment zum anderen in Oehrings Musik herein und verdrängt sie vollständig. In anderen Passagen erklingt zwar Purcells Musik, wird aber von anderen Klängen ergänzt, überlagert, gestört. Manchmal wird nur Purcells Melodie gesungen, aber anders, z.T. perkussiv begeleitet, manchmal weiß man nicht, ob man Purcell oder Oehring hört. Dessen eigene Musik ist äußerst vielschichtig. Das geht von sirenenartig klingenden Chorpartien über expressive Orchestertutti bis zu rhythmisch betonten dynamisch weit ausgreifenden Teilen. In einer Passage müssen alle Mitglieder beider Orchester rhythmisch sprechen. Und die Gebärdensolistin singt und schreit auch, kehrt damit die Macht der Musik, Unartikuliertes in Aesthetisches zu verwandeln, wieder um.
Die Gesamtleitung der Musik lag bei Jonathan Stockhammer (hatte schon die „Three Tales“ dirigiert), der sich in der Einführung bescheiden als nicht so wichtig zurücknahm. Dabei schien er derjenige zu sein, der nicht nur alle zusammenhielt, sondern Akzente setzte und die Absichten des Komponisten genauestens umsetzte. Wer ihn in einer Probe erlebt hat, konnte sehen, wie zielführend, sicher und freundlich er mit seinem Personal umging und es auf diese Weise noch kräftig motivierte.
Davon hatte wohl auch der Chor profitiert, der sich unter seinem neuen Chorleiter Markus Baisch bestens geprobt zeigte und die unglaublich schwierigen dissonanten Partien bravourös bewältigte.
Auch die Sänger (Ralitsa Ralinova, Nina Koufochristou, Catriona Morison, Simon Stricker, Hak-Young Lee aus dem neuen und Christian Sturm als dem Weigand-Ensemble) hatten sich engagiert mit ihren schwierigen Partien auseinandergesetzt und freuten sich nach grandioser Leistung merklich über den großen Beifall. Der galt auch dem als indisponiert angesagten Countertenor Hagen Matzeit, dem man das aber in keiner Sekunde anmerkte.
Großer, langer Beifall am Schluss für dieses Wagnis, das mit allen Kräften gestemmt wurde. Offenbar zeigt sich hier schon, was ein festes Ensemble leisten kann.

Die Aufführung war Anlass für viele Gespräche in der Pause und am Schluss. Zu konstatieren war mehrfach so etwas Paradoxes wie „positive Ratlosigkeit“, also etwa die Haltung, dass man etwas mitgenommen hat, dass viel Schönes und Interessantes zu hören und zu sehen war, dass man alles aber (noch) nicht so genau erklären könne oder für sich klar bekommen habe. So geht es vielen (s.O.) ja auch nach Stücken von Pina Bausch, die man oft erst genießen kann, wenn man nicht mehr versucht, krampfhaft einen Handlungsfaden zu finden.

Wer zum ersten Mal ins Opernhaus geht, der sollte dieses Stück nicht unbedingt besuchen. Oder gerade doch? Allen anderen aber, die offene Ohren haben und bereit sind sich auf Neues einzulassen, wird diese Oper einen spannenden und interessanten Abend bescheren. Schließlich kommt auch der Genuss nicht zu kurz.

Fritz Gerwinn, 30.1.2017

Noch drei Aufführungen: Fr, 3. Februar; So, 5. März; Sa, 18. März 2017