Essen
„The Greek Passion“
Bohuslav Martinu
Dichtung vom Komponisten nach dem Roman von Nkos Kazantzarkis
»Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“.
Priester Grigoris und seine Anhängerschaft ignorieren das Gebot der Nächstenliebe. Denn als im kleinen griechischen Dorf eine Gruppe notleidender Flüchtlinge auftaucht und um Asyl bittet, verweigern sie kategorisch jede Hilfe. Das Schicksal der Vertriebenen interessiert sie nicht.Bohuslav Martinů verknüpft in der selten gespielten Oper „Greek Passion“ die Flüchtlingsproblematik mit der Frage nach dem Wert christlicher Tugenden. Im Essener Aalto Theater feierte sie vor einigen Tagen Premiere.
Tomas Netopil, Generalmusikdirektor des Aalto Theaters, bringt nach Jenufa und Rusalka die dritte tschechische Oper auf die Bühne und hatte damit den absolut richtigen Riecher. Denn die Flüchtlingsproblematik ist derzeit in aller Munde. Aktueller kann kein Haus sein.
Von der „Greek Passion“ existieren zwei Fassungen. Die Erste stellte Martinů 1957 fertig und reichte sie in Royal Opera House, Covent Garden, in London ein. Als Grundlage für das Libretto diente ihm der Roman von Nikos Katzanzarkis „Greek Passion“ oder wörtlich übersetzt „Der wiedergekreuzigte Christus“. Von ihm stammt auch das weltberühmte Werk „Alexis Sorbas“. Nach der Ablehnung der Partitur schrieb der Komponist eine zweite Version, die jetzt im Aalto aufgeführt wird. Sie fokussiert sich stärker auf die Hauptfigur Manolios und verzichtet weitgehendst auf die Psycholisierung der Protagonisten zugunsten surrealer Traumszenen. Gleichzeitig vermeidet er abrupte Stilmittel und vollzieht eine Reduktion dramatischer Elemente in der Handlung.
Handlung
Ostersonntag im wohlhabenden griechischen Dorf Lycovrissi. Oberpriester Grigoris kündigt ein Passionsspiel an. Die Akteure sind bestimmt. Alle Beteiligten ermahnt er, sich mit ihren Rollen zu identifizieren. Insbesondere Manolios hat er dabei im Blick, da er die Rolle Jesus verkörpern soll. Plötzlich tauchen Flüchtlinge auf und bitten um Asyl. Ihr Dorf wurde von Türken überfallen und nun sind sie heimatlos. Grigoris und die Dorfältesten denken nicht daran, ihnen eine Bleibe zu verschaffen. Manolios setzt sich für die Flüchtlinge ein. Ebenso bekundet Katerina, die sich als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient, Mitleid mit ihnen. Grigoris hat ihr die Rolle der Maria Magdalena im Passionsspiel übertragen. Die Lage im Dorf spitzt sich dramatisch zu, als Manolios sich immer stärker mit der Jesusrolle identifiziert. Auf Betreiben Grigoris hin wird er schließlich ermordet.
Inszenierung
Wer gedacht hatte, Regisseur Jiří Heřman nehme Bezug auf die aktuelle Flüchtlingssituation, wurde enttäuscht. Er inszeniert die Oper zeitlos. Das Drama der Flüchtlinge als Spiegelbild der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen, ist nicht sein Anliegen. Auch hebt er nicht den moralischen Zeigefinger. Trotzdem verfehlt die Oper ihre Wirkung auf die Zuschauer nicht. Das Schicksal der Flüchtlinge berührt sie. Die Konfrontation mit existentiellen Fragen ist unausweichlich. Wie sieht es aus mit den christlichen Tugenden? Wie ist es möglich, dass Menschen (Insbesondere gläubige Christen) tatenlos zusehen, wenn Hilfesuchende erbarmungslos ausgegrenzt werden? Haben die Worte Jesu keine Bedeutung mehr, sind sie nur noch leere Worthülsen?
Die Inszenierung spart nicht an sakralen Elementen und an Pathos. Gelegentlich treibt der Regisseur die Stilisierung auf die Spitze: Exkommunizierung auf dem Opfertisch mit theatralischen Gesten, Prozessionen, lange religiöse Monologe..
Erzählt wird die Geschichte in kurzen aufeinanderfolgenden Szenen mit eindrucksvollen Bildern und mit viel Symbolik. Zu Beginn läutet noch feierliche eine große Glocke. Am Schluss setzt sie Katarina zwar in Gang, doch nun ist kein Laut mehr zu hören. Sie ist verstummt. Das phantastische Bühnenbild von Hermann/Dragan Stojčevski: Laufband-Bühne mit Wasserflächen, überdimensionale hohe Mauer mit Rissen, die sich mittig öffnet und schließt und unzählige, brennende Kerzen.
Selbst wenn die Mauer offen ist, der Weg in die Freiheit ist durch Gitter versperrt. Flüchtlinge und Dorfbewohner platzieren sich auf der Bühne, ihre Schatten sind an der Mauer zu erkennen. Hände krallen sich fest am Zaun.
Als Symbol allen Lebens erinnert das Wasser und gleichzeitig ist das Element Metapher um auf die biblische Geschichte aufmerksam zu machen. So läuft Katarina zunächst im "roten Kleid", später geläutert als Maria Magdalena im „Schwarzen“ mit nackten Füßen durchs Wasser (Anspielung auf die Fußwaschung Jesu). Von einem wunderbar spielenden Akkordeonspieler erklingen immer wieder melancholische Weisen und ein kleiner Junge in sandgelber Bekleidung ist während der gesamten Inszenierung präsent auf der Bühne. Als Beobachter der Szenerie ist er aber ab und zu auch direkt in die Handlung mit eingebunden.
Die Hauptrolle in der Oper spielen die Chöre (Choreinstudierung: Patrick Jaskolka). "Greek Passion" kann auch als "Choroper“ bezeichnet werden. Die Chöre verleihen im Wechselgesang den Emotionen der verzweifelten Flüchtlinge, wie auch den unbarmherzigen Dorfbewohner, ihre Stimme. Und sind grandios. Musik und Chöre schaffen eine eigene faszinierende Welt mit vielen Höhepunkten, die immer wieder neue Assoziationsräume eröffnen. Besonders das letzte Chorstück setzt eindrucksvolle Akzente.
Das Sängerensemble des Aalto Theaters zeigt sich von der allerbesten Seite. Jessica Muirhead brilliert in der anspruchsvollen Rolle der Katarina mit reinem Sopran und wohl timbriertem Klang. Jeffrey Dowd hat es nicht leicht mit seiner Doppelrolle. Die totale Identifikation mit „Jesus“ ist nicht leicht nachzuvollziehen und wird nicht schlüssig erklärt.Stimmlich präsentiert er sich hervorragend..
Die exzellent spielenden Philharmoniker unter der Leitung von Thomas Netropil hatten wieder einmal eine Sternstunde.
Ein beeindruckender Abend, über den man noch lange nachdenken muss.
Ursula Harms-Krupp