Aalto Theater

Essen

Eugen Onegin

 

Lyrische Szenen von Peter I. Tschaikowsky

Musikalische Leitung Srboljub Dinic, Wolfram-Maria Märtig

Inszenierung Michael Sturminger

Bühne und Kostüme Renate Martin, Andreas Donhauser

Choreinstudierung Alexander Eberle

 

Premiere: 25. Februar 2011

 

Tschaikowsky sah sich außerstande die Tiefen seiner Gefühlswelt in Worte zu fassen. Er versuchte sich in Tönen auszudrücken. Die Idee Alexander Puschkins Versroman „Eugen Onegin“ aus dem Jahr 1833 zu vertonen, kam ihm während seiner Zeit am Moskauer Konservatorium. Für die Handlungsstruktur erntete er Kritik, deshalb kam das Werk als „lyrische Szenen“ auf die Bühne.

 

In Vertretung für Stefan Soltescz hat Gastdirigent Srboljub Dinic die musikalische Leitung für "Eugen Onegin" übernommen.

Michael Sturminger inszenierte das Werk. In Essen ist er kein Unbekannter; 2010 realisierte er die „Die Csárdásfürstin“ für das Aaltotheater. 

 

Das Eröffnungsbild des 1. Aktes zeigt eine ländliche Idylle. Der Gutshof Larinas ist als Datscha mit einem Vorgarten und einer großen Veranda konzipiert. Plastikstühle in grellen Farben stehen herum. Mehrfach fallen die Protagonisten damit um. Jugendliche telefonieren mit Handys, einige Männer brennen Schnaps, Frauen sind emsig dabei das Essen vorzubereiten. Spontan wird getanzt.

 

Sturminger inszeniert Eugen Onegin mit Bildern des heutigen Russlands. Er deutet soziale Unterschiede und die Instabilität von Systemen, Normen und Werten an. Die Inszenierung zeigt auch: Folklore Tänze sind bei jungen  Leuten nicht mehr populär, sie stolpern über die Bühne, beherrschen die Schritte nicht.  Moderne und Tradition vermischen sich.

 

Tatjana spaziert geistesabwesend mit einem Buch umher. Dunkle Hornbrillen sind zurzeit  "In". Attraktiv sieht die Protagonistin damit nicht aus. Nachbar Lenski, mit dem die lebenslustige Olga angebändelt hat, kommt mit Onegin zu Besuch. Die Regie zeichnet Lensky als einen emotionalen, sympathischen, wenn auch etwas schwerfällig wirkenden, nicht mehr ganz jungen Mann. Onegin dagegen charakterisiert sie als einen gelangweilten, zynischen Lebemann, der mit seinem weltmännischen Auftreten das Jungmädchenherz Tatjanas im Sturm erobert.

Heiko Trinsinger in der Rolle des Onegin gibt ein überzeugendes Rollenporträt des überheblichen Spötters ab. Beeindruckend sein prächtiger Bariton. Darstellerisch ist Zurab Zurabishvill eine gute Wahl für die Figur des Lenski. Stimmlich hat er, zumindest an diesem Abend, Defizite. Victoria Yastrbova als Tatjana gelingt es nur teilweise, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Ein eindeutiges Charakterbild vermag sie nicht zu zeichnen. Solide ihre stimmliche Leistung, wenngleich es ihr in in einigen Szenen an Expressivität mangelt

 

Wenig Aufregendes lässt sich die Regie für die berühmte Briefszene einfallen. Auf der Bühne wird ein kleiner Raum präsentiert, der das rosarote Jungmädchenzimmer Tatjanas, dekoriert mit Postern und Plüschtieren, darstellen soll. Kniend vor dem Stuhl, schreibt sie dort den Liebesbrief. Dass sie dafür unendlich lange benötigt, zeigt das rot gefärbte Licht der Hauptbühne. Der Morgen bricht an.

 

Rene Dreher lässt mit seiner Lichtgestaltung interessante Bilder entstehen. Als Kinderfrau Filipjewna ins Zimmer tritt und den fertig geschriebenen Brief entgegen nimmt, zieht sie zunächst die Gardine zu und dann wieder auf. Paradoxerweise ist durch das Fenster keine Helligkeit zu erkennen, sondern nur Schwärze. Ein Indiz für kommendes Unheil, denn der Brief an Onegin bringt Tatjana kein Glück. Er verschmäht ihr Liebe.

 

Auf Larinas Hausball spitzt sich die Situation zu. Die Personenführung ist exact. Deutlich erkennbar: Tatjanas Frustration, selbst das Chanson von Triquets (mit Inbrunst dargeboten von Albrecht Kludszuweit) heitert sie nicht auf. Sie steht abseits. In der gelangweilten Haltung Onegins zeigt sich seine Abneigung gegen das Fest. Er tritt die Flucht nach vorne an und flirtet mit Olga, die trotz Lenskis Anwesenheit keine Hemmungen hat, darauf einzugehen. (Anja Schlosser beeindruckt darstellerisch und mit ihrem ausstrucksstarken Mezzosopran). Dramaturgischer Höhepunkt im 2. Akt: Die Konfrontation zwischen Lenski und Onegin, die in der Aufforderung zum Duell endet. Warum die rasende Eifersucht Lenskis nicht besonders zum Ausdruck gebracht wird, beantwortet die Inszenierung nicht.

 

Bilder sagen oft mehr als Worte. Als Tatjana einsam am Rand des Festes steht, nimmt Larina ihre Tochter an die Hand und führt sie weg. Eine berührende Szene, eine der wenigen.

 

Die Konzeption der Duellszene überrascht. In bläulich-grauem Licht getaucht steigen Nebelschwaden auf. Russisch Roulette und nicht gegenseitiges Erschießen der Protagonisten hat sich der Regisseur für diese Szene ausgedacht.

 

Imposant gestaltet das Finale der tragischen Liebesgeschichte. Die illustre Gesellschaft in vornehmer Garderobe sitzt beim Dinner. Onegin trifft Tatjana nach vielen Jahren der Abwesenheit wieder, verliebt sich und verliert sie für immer. Der fürstliche Palast ein Imperium mit klassischen Säulen, die sich ständig drehen. Bühnentechnisch eine wahre Meisterleistung. Andreas Donhauser und Renate Martin (Bühnenbild und Kostüme) verdienen dafür ein dickes Lob.  Bemerkenswert Roman Astakhov, der als alternder Fürst Gremin eine gute Figur macht.

 

Srboljub Dinić, musikalischer Direktor am Stadttheater Bern, dirigiert die Essener Philharmoniker mit kundiger Dirigentenhand. Aus dem Orchestergraben sind klanglicher Feinsinn und empathischer Spannungsreichtum zu vernehmen. Der emotionale Charakter des Tschaikowskywerkes, seine geniale Tonsprache wird subtil wieder gegeben; Bläsern und Streichern die Chance geboten, solistisch hervorzutreten.

Der Chor des Aaltotheaters unter der Leitung von Alexander Eberle  besticht mit einer mitreißenden, tadellosen Leistung.

 

Es ist die Tiefe der Gefühlswelt, die Tschaikowski am Herzen lag und die sein Werk so einmalig macht. Seine Musiksprache legt das Innenleben der Protagonisten offen, zeigt ihre Seelennöte. Sturmingers Inszenierung gelingt es nur zum Teil, diesen Anspruch einzulösen und sensible Porträts der Figuren zu zeichnen. 

 

Vom Publikum gibt es zustimmenden Applaus und einige Bravorufe.

 

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