Wuppertal

Musikalisch fesselnd, szenisch problematisch
Lehárs „Lustige Witwe“ im Wuppertaler Opernhaus
Premiere am 27.8.2022, besuchte Vorstellung am 4.9.2022
Es passiert schon etwas auf der Bühne, wenn die Zuschauer noch hereinkommen: Eine Frau sitzt an einer Schreibmaschine, offenbar eine Sekretärin. Dazu kommt ein verzweifelt aussehender, bärtiger Mann, offenbar in einer Art Wartezimmer. Die Sekretärin beginnt dann zu staubsaugen, wobei sich das äußerst lange Kabel immer wieder verheddert und auch den verzweifelten Mann unversehens fesselt. Nach gelungenem Entwirren holt die Sekretärin einen Plattenspieler und legt eine Langspielplatte auf. Als die Nadel aufsetzt, beginnt punktgenau die Musik. GMD Patrick Hahn hat sich ungesehen in den Orchestergraben geschlichen und den Einsatz gegeben. Die Musik klingt grandios, das Orchester ist bestens aufgelegt und spielt hervorragend. Das sollte auch den ganzen Abend so bleiben.
Patrick Hahn setzte, diesmal mit seinem eigenen Orchester, qualitativ das fort, was schon an seinem Amsterdamer „Freischütz“-Dirigat zu bewundern war. (Seine Zusammenarbeit mit dem russischen Regisseur Serebrennikow war lange Zeit auf dem Portal „operavision“ zu sehen, jetzt wohl immer noch, wenn man „operavision Freischütz“ eingibt.) Die Tempi waren perfekt abgestimmt, die häufigen Ritardandi und Rubati wurden vom Orchester (und allen anderen Mitwirkenden) genau und aufmerksam umgesetzt, marschartige Passagen wurden schmissig gespielt, emotionale Stellen zart und lyrisch dargestellt. Die gesamte Lautstärkepalette vom lautesten Fortissimo bis zum fast unhörbaren Pianissimo kam zum Einsatz, aber immer als perfekte Begleitung der Stimmen, die nie übertönt wurden.
Auf dieser Grundlage konnten sich Chor, Sänger und Sängerinnen bestens entfalten. Die Einwürfe und Auftritte des Chors und der Sängerinnen und Sänger der vielen kleineren Rollen kamen voll und rund über die Rampe, zumal sie sich nicht allzuviel bewegen mussten. Besonders bemerkenswert waren aber die Ausführenden der Hauptrollen. Ensemblemitglied Sebastian Campione stellte den Botschafter Mirko Zeta sehr nachvollziehbar in seinem emotionalen Zickzackkurs dar (das war übrigens der verzweifelte vollbärtige Herr aus der ersten Szene), Hyejun Kwon (aus dem Opernstudio NRW) seine Frau Valencienne, die ihr Schwanken zwischen Treue und Ehebruch auch musikalisch perfekt darstellte. Theodore Browne war ihr Liebhaber mit schönen starken hohen Tönen. Philippine Pachl führt in ihrer umfangreichen Sprechrolle (am Anfang als staubsaugende Sekretärin) durch das Stück. Für die Hauptrolle als Witwe Hanna Glawari, die durch Geheiratetwerden mit ihren geerbten Millionen den Staat retten sollte, hatte man Eleonore Marguerre engagiert, die sprechend und singend alle Register ziehen konnte und großen Beifall erhielt. Fast noch mehr zu bewundern war die Leistung von Simon Stricker, auch Mitglied des Wuppertaler Ensemble, der den Grafen Danilo darstellte. Nicht nur schauspielerisch stellte er seine sich wieder entwickelnde Liebe zu Hanna Glawari brillant dar, sondern auch als Sänger mit ungemein vielen Lautstärken, Farben und Facetten.
Man kann also einen gelungenen Abend durch die Musik und ihre hervorragende Ausführung erwarten, auch wenn die Regie durch Christopher Alden einige Fragen offenließ.
Er hatte die Handlung in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts verlegt, warum blieb unklar. Die Dialoge im ersten Teil waren breit ausgespielt, verzögerten deshalb die Handlung eher als dass sie sie antrieben. Pause war auch schon nach 45 Minuten, was im Publikum eine gewisse Ratlosigkeit auslöste.
Ist es sonst doch meist das Bestreben des Regieteams, den Fortgang der Handlung so klar zu machen, dass man das Programmheft oder den Operettenführer gar nicht braucht, so war hier das Gegenteil der Fall. Oft stellte sich wegen unklarer Handlungssprünge eine gewisse Ratlosigkeit ein. So fragte man sich zu Beginn des 2. Aktes z.B., warum da plötzlich eine Frau mit Hörnern auftaucht, bevor man darauf kommt, dass dies Hanna Glawari ist, die in ihrem Haus eine Art Heimatfest veranstaltet. Und die Hilfe durch die Übertitel war begrenzt, weil sie, schwächer beleuchtet, im meist gleißenden Bühnenlicht nur schwer zu entziffern waren und deshalb wiederum vom Geschehen auf der Bühne ablenkten.
Und welchen Stellenwert das Gedicht über die Liebe von Erich Fried und das Zitat von Friedrich Engels über das Geschlechterverhältnis (zwischen 2. Und 3. Akt von Hanna Glawari vor dem Zwischenvorhang vorgelesen) hatten, blieb unklar, weil dies keine spürbare Konsequenz (jedenfalls für mich) in der übrigen Handlung hatte. Mag ja sein, dass Christopher Alden grundsätzlich eine große Idee hatte, sie kam aber offensichtlich nicht über die Rampe.
An einigen Stellen lieferte die Regie aber doch ganz interessante Bilder und Einblicke. So wurde z.B. die Verzweiflung des Botschafters Mirko Zeta, der sogar mit einer Pistole hantiert, sehr nachvollziehbar dargestellt, das „Studium der Weiber“ durch sieben singende Herren bot ein interessantes Bild, und die Vervielfältigung der Fächer, um die Untreue Valenciennes zu schützen, war auch eine gute Idee. Vieles ging aber nicht im Ganzen auf, und die aktualisierten Dialoge (z.B. der running gag „Made in Taiwan“ auf die Frage „Was steht auf dem Fächer?“) waren nicht immer von höherem Niveau, zündeten auch nicht immer.
Insgesamt: Wegen Musik und Gesang ein toller Abend, was die Regie angeht, sollte man sich ein eigenes Bild machen.
Fritz Gerwinn, 6.9.22
Weitere Aufführungen: 3., 14., 15., 23. Oktober; 6., 27., November; 18., 27., 31. Dezember 2022; 19. Februar 2023