Gelungener Doppelabend mit Uraufführung in Hagen
Puccini: „Suor Angelica“ und Tarkiainen: „A Room of One´s Own“
Premiere am 14. 5.2022
Eine Woche nach dem Doppelabend in Wuppertal gab es auch einen solchen in Hagen. Hatte man dort auf den größtmöglichen Gegensatz gesetzt, betonte man in Hagen die Einheitlichkeit der Thematik. So wurden beide Opern auch von einem einzigen Regieteam eingerichtet.
Zuerst wurde an diesem emanzipatorischen Frauenabend Puccinis „Suor Angelica“ gespielt, der Mittelteil seines „Trittico“. Nach der Pause folgte eine Uraufführung: „A Room of One´s Own“ nach dem 1928 geschriebenen Essay von Virginia Woolf. Die Musik hatte die finnische Komponistin Outi Tarkiainen komponiert, und das Libretto – also die Umwandlung des philosophischen Essays in eine spielbare Bühnenfassung - stammte von niemand anderem als dem Hagener Intendanten Francis Hüsers, der nicht nur das Hagener Haus erfolgreich leitet und dort als Regisseur und Dramaturg arbeitet, sondern auch Libretti schreiben kann. Er und GMD Joseph Trafton hatten die Komponistin angesprochen. Die war dann auch ganz begeistert von Woolfs Text und nahm den Kompositionsauftrag des Hagener Theaters ant. Outi Tarkiainen war auch für die Uraufführung und die Proben dazu nach Hagen gekommen, konnte sich ihre Oper und die standing ovations dafür aber 200 Meter vom Theater entfernt nur per Videoschalte anhören, weil sie leider noch in Quarantäne befand.
Regisseurin Magdalena Fuchsberger und Bühnen- und Kostümbildnerin Monika Biegler hatten die beiden Opern so inszeniert, dass sie in Beziehung standen und sich teilweise gegenseitig kommentierten.
Schwester Angelica wurde nach einem „Fehltritt“ von ihrer adeligen Familie ins Kloster angeschoben, in dem sie inzwischen mehrere Jahre lebt. Von ihrer Familie und vor allem von ihrem Sohn, den sie direkt nach der Geburt abgeben musste, hat sie seitdem nie etwas gehört. Von ihrer Tante, die sie besucht, um sie zum Verzicht auf ihr Erbe zu bewegen, erfährt sie, dass dieser schon seit zwei Jahren tot ist. Am Boden zerstört und verzweifelt vergiftet sie sich, kommt danach in einem dramatischen und hochemotionalen Finale aber in schwere Konflikte, weil Selbstmord im Katholizismus eine Todsünde ist, erlebt dann aber in einer Vision die Vereinigung mit ihrem Sohn.
Die Kritik Puccinis an der Kirche ist evident und wird vom Regieteam unterstützt und verstärkt. Die Handlung findet in einer bedrückend engen Klosterarchitektur statt, eine Marienstatue mit Kind dominiert den winzigen Innenhof. Die Nonnen in ihrer Tracht sind kaum voneinander zu unterscheiden, trotzdem herrscht strenge Hierarchie mit drakonischen Strafen schon für geringfügige Vergehen. Dass nicht alle Nonnen freiwillig hier sind, erkennt man am Benehmen einiger Novizinnen. Das Leben hier ist niederdrückend schwer und freudlos. Und wenn die adelige Tante Angelica eher beiläufig vom Tod ihres Sohnes erzählt, ist ihr die Demütigung ihrer Nichte wegen ihres Fehltritts viel wichtiger. Sie bemüht dabei in herabwürdigender Weise auch noch christliche Moralvorstellungen, wird dabei aber sogar noch von den anderen Nonnen unterstützt. Die führen Angelica, die nach dieser Nachricht zusammengebrochen ist, sogar die Feder beim Unterschreiben des Verzichtdokuments.
Das alles wird bewusst konventionell auf die Bühne gebracht, einerseits um die Verbindung zum zweiten Stück herzustellen, andererseits weil Puccini alles genauestens vorschreibt und sogar die geforderten Bewegungen auf der Bühne in der Musik abbildet, so z.B. das Trinken des Giftes. Auch beim Schlussbild – das reale Erscheinen des Sohnes vor der sterbenden Mutter - folgt das Regieteam den Anweisungen des Komponisten. Dieser Schluss mit seinen Engelschören wurde heftig kritisiert, als „Kitsch“ bezeichnet. Diskutiert wird nach wie vor, ob dieser Schluss nicht letztlich doch das alte Rollenmodell bestätigt, Auflehnung gegen die Gesetze der Kirche beinhaltet oder deren Aufhebung durch die Musik darstellt. Vielleicht kann man es heute, im Abstand von über hundert Jahren, aber auch anders lesen: Als verstörende Parodie auf die Hohlheit mancher kirchlicher Gesetze und Vorstellungen damals, was zum Vergleich mit dem heutigen Zustand anregen könnte.
Wenn sich der Vorhang zum zweiten Stück hebt, hat sich noch nichts geändert: dasselbe Bühnenbild wie am Schluss der Puccini-Oper. Schließlich erhebt sich Angelica und geht mit ihrem Sohn nach hinten ab. Die Klosterarchitektur bleibt erst, die einzelnen Elemente werden dann aber hochgezogen und beginnen zu schweben. Neue Räume öffnen sich, lassen freieres Denken zu. Die Marienfigur bleibt aber stehen, und auch die hängenden Elemente wirken bedrohlich wie das Schwert des Damokles. Kein Wunder, denn in dem Text von Virginia Woolf aus dem Jahr 1928 geht es um die Dinge, die Frauen erdulden müssen, vor allem, wenn sie sich künstlerisch betätigen. Hüsers löst den anklagenden Text in drei Akte und viele Einzelszenen auf, die dies darstellen.
Drei Marys sitzen zusammen und unterhalten sich darüber, wie sich Gedanken entwickeln und zu Literatur werden. Ihre Kreativität wird aber behindert, weil sie ohne männliche Begleitung nicht einmal eine Bibliothek besuchen dürfen und auch sonst vielen Demütigungen unterworfen sind. Hier klingt schon deutlich das gemeinsame Thema der beiden Stücke: Aus- und Eingesperrtsein. Sie wundern sich, dass es viele Bücher über Frauen gibt, die aber alle von Männern geschrieben wurden und die Frauen als Mängelexemplare beschreiben. Was wäre, so wird im 2. Akt dargestellt und verhandelt, wenn Shakespeare eine Schwester gehabt hätte, die Theater spielen und schreiben konnte? Keine Chance, sie hätte sich umbringen müssen. Auch das Problem mit der Keuschheit (auch bei Puccini virulent) wird dann angesprochen. Und wie oft Frauen männlicher Gewalt ausgesetzt sind, wird deutlich gezeigt. Überhaupt: Wozu soll das Schreiben von Frauen gut sein? Eine Komponistin ist schließlich auch wie ein Hund, der auf den Hinterbeinen läuft. Erst im letzten Akt keimt so etwas wie Hoffnung auf. Da ist zwar von Kooperation die Rede, aber es wird doch immer noch schwer für schreibende Frauen und Frauen überhaupt bleiben. Immerhin wird die Madonna erst in Regenbogenfarben bestrahlt und dann endgültig weggeschafft. Viele Themen werden also angesprochen und vor allem so lebendig dargestellt und in Musik gesetzt, dass es immer interessant und spannend bleibt.
Outi Tarkiainen hat dazu eine faszinierende Musik geschrieben, die oft die entsprechende Atmosphäre wiedergibt, Emotionen auch deutlich macht, wenn die Musik nicht tonal ist. Die steuert das Geschehen aber auch u.a., indem wiederkehrende Motive vor allem als Bläsersoli wiederkehren. Im letzten Akt nähert sich die Musik immer mehr der Dur-Moll Tonalität mit fast romantischen Ausbrüchen. Das Orchester unter Trafton bewältigte dies expressiv und mit großer Farbpalette. Die Probenarbeiten dürften anstrengend, aber auch erfüllend gewesen sein.
SängerInnen und Chor bringen in beiden Stücken das Geschehen musikalisch präzise und in der Darstellung plastisch auf die Bühne. Mir bleibt vor allem der Männerchor im zweiten Stück in Erinnerung, der Bedrohung und Gewalt gegenüber Frauen in Gesang und Darstellung fast angsteinflößend deutlich machte. Stellvertretend für alle hervorragenden Sängerinnen und Sänger seien genannt: Angela Davis als Suor Angelica und die drei Marys im Woolf-Stück: Dorothea Brandt, die die schwerste und umfangreiches Rolle zu bewältigen hatte, Maria Markins und Evelyn Krahe, die auch schon die kalte, adelige Tante bei Puccini verkörpert hatte.
Joseph Trafton hatte schon in den Proben hervorragend Arbeit geleistet, die Spezifika beider Tonsprachen differenziert zum Klingen gebracht. Das Orchester folgte ihm in beiden Stücken sehr genau, und das Zusammenspiel zwischen Bühne und Orchester war ohne Fehl und Tadel. In Erinnerung im ersten Stück bleibt die wunderbar sanft gespielte Einleitung in zartem Piano. Bemerkenswert aber auch, dass Trafton im weiteren Verlauf der „Suor Angelica“ die dramatischen und dissonanten Passagen besonders herausstellte.
Sehr positiv festzuhalten ist der Umgang des Hageners Theaters mit seinem Publikum. Es gibt da nicht nur die Einführung vor der Vorstellung, sondern auch ausführliche Interviews mit Regieteam und Komponistin in der Theaterzeitung „jedesmalanders“ und viele Informationen und weiterführende Texte im Programmheft. Diesmal war sogar der komplette Text der Tarkiainen-Oper abgedruckt. Das hilft und ist vorbildlich.
Standing Ovations für alle am Schluss, aber vor allem für die Komponistin, die den Beifall nur über das Laptop des Intendanten entgegennehmen konnte.
Fritz Gerwinn/16.05.2022
Weitere Vorstellungen: 26.5., 5.6., 8.6.2022