Essen
"CORIOLANUS"
VON WILLIAM SHAKESPEARE
Premiere 1.10.2011
Das eher selten gespielte Shakespeare Drama „Coriolanus“ hatte in der Regie von Thomas Krupa im Grillo Theater in Essen Premiere. Die Parabel gilt als wohl politischtes Werk des Dramatikers. Es geht um Macht und Intrigen, aber auch um das Scheitern von Systemen und Eliten. Mit einem veränderten Raum- und Inszenierungskonzept hofft das Regieteam auf großes Interesse beim Publikum zu stoßen.
Rom im 4. Jahrhundert. Das Volk rebelliert. Lebensmittelknappheit und soziale Ungerechtigkeiten sorgen für enorme Spannungen. Insbesondere gegen den führenden General Gaius Martius erhebt sich der Volkszorn. Dieser verachtet das pöbelnde Volk und die Volkstribunen, die aufgrund von Demokratisierungsprozesses ins Amt gehoben wurden. Eine Eskalation ist zu befürchten. Doch plötzlich ergibt sich eine neue Situation, denn eine Invasion der Volsker droht. Coriolanus zieht in die Schlacht und kehrt als siegreicher Held zurück. Volumnia, seine ehrgeizige Mutter, sieht bereits den zukünftigen Consul in ihm. Doch das Volk lehnt ihn ab. Coriolanus ist tief verletzt. Seine Mutter fleht ihn vergebens an, sich diplomatisch zu verhalten. Coriolanus befolgt ihre Bitte nicht und wird verbannt. Er schwört auf Rache und verbündet sich mit seinem Erzfeind: Tullus Aufidius, um gegen Rom zu marschieren.
Die gut dreistündige Shakespeare Tragödie inszeniert Regisseur Thomas Krupa auf einer Raumbühne. Die Zuschauer sitzen sich gegenüber. Die Konzeption dieser Raumlösung ist mit Erinnerungen an das „Forum romanum“ verbunden. In den Foren fand das politische, kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Leben statt. Ein breiter Fries, der als Projektionsfläche für Videosequenzen ((Jana Findeklee und Jokie Tewes) dient, zählt ferner zum veränderten Raum-Konzept. Weltgeschichte wird dort präsentiert. Zu sehen sind Kriegsschauplätze, Teile des berühmten Pergamon-Altars mit dem Kampf der Götter und Giganten sowie dessen Errichtung durch Künstler und Arbeiter, Schriftzüge und Kommentare, Szenen der Inszenierung sowie unablässig aufleuchtende Zahlenkolonnen. Komplett wird die Raumlösung durch ein Schlagzeug (Simon Camatta), das die Inszenierung atmosphärisch verstärkt.
Gleich drei Zeitebenen sind für die Inszenierung relevant: die Entstehungszeit des Dramas: (1608); zu diesem Zeitpunkt herrschten Hungersnöte in England. Viele Bauern waren enteignet worden. Das Volk bäumt sich gegen den Landadel auf und nahm die Getreidefelder gewaltsam in Besitz. Erste demokratische Prozesse wurden in Gang gesetzt, das Parlament entstand. Vermutlich inspiriert von den Ereignissen, verfasste Shakespare die Tragödie des „Coriolanus“. Er siedelte seine Erzählung in einer historisierenden Verkleidung an, Missstände offen auszusprechen, dazu war die Zeit noch nicht reif.
Die zweite Ebene: die Verlegung der Handlung ins 4. Jahrhundert v. Christus. Es ist die Zeit der Ständekämpfe und Volksaufstände in Rom. Erstmals wird dem Volk ein Gesicht gegeben. Im Drama tritt es auf mit einer Stimme als 1. Bürger, 2. Bürger.
Die dritte Zeitebene ist die Gegenwart: das Zeitalter der künstlichen Intelligenz, des Internets und der sozialen Netzwerke, der Medien und der Macht der Finanzwelt. Computer surren, Handys und Telefone sind im Einsatz, Zahlenkolonnen flimmern über die Projektionsfläche. Nach der Pause radikalisiert sich das Geschehen auf der Bühne. Mit Masken gekleidete Menschen am PC assoziieren anonymisierte Gruppen im Internet, die diktatorische Systeme stören bzw. zu Fall bringen. Symbolisch wird dadurch eine neue strategische Kriegsführung durch das Internet angedeutet.
Tom Gerber spielt den tragischen Helden „Coriolanus“, der hohe Anforderungen an sich stellt und an seinen Idealen scheitert. Obwohl als starrköpfig und uneinsichtig charakterisiert, wirkt er nicht unsympathisch. Die Züge eines grausamen Tyrannen kann man an ihm nicht entdecken. Er beeindruckt mit leidenschaftlichen Ausbrüchen. Gerber setzt die Figur des „Coriolanus“ perfekt in Szene und entwickelt sie im Laufe der Inszenierung stetig.
Laura Kiehne spielt Coriolanus Todfeind (Tullus Aufidius). Geheimnisvoll und sinnlich zu gleich versprüht sie als moderne Hexe ihr Gift und fesselt mit ihrer Darstellung das Publikum. Die Rolle der „Volumina“ ist als eine der stärksten Frauenfiguren bei Shakespeare angelegt. Ines Krug verleiht ihr überzeugende Stärke und Macht, aber auch Klugheit. Über Holger Kunkel als Junius Brutus kann neben aller Ernsthaftigkeit in der Darstellung auch geschmunzelt werden (Gewand). Mit Melanie Lüninghörner übernimmt wiederum eine Frau eine Männerrolle. Sie spielt den machtbesessenen Volkstribun Sicinitus Velutus (im schicken Kostüm) und Gerhard Hermann verkörpert den Menius Agrippa höchst würdevoll. Auch die übrigen Mitglieder des Ensembles überzeugen in ihren Rollen.
Hervorragende Menschenkenntnis und scharfe Beobachtungsgabe zählen zu Shakespeares unübertroffene Eigenschaften. Seine geniale Fähigkeit Figuren so zu charakterisieren, dass deren Handeln hautnah miterlebt werden kann, faszinierte schon Generationen. Bis heute haben seine Dramen nichts an Aktualität verloren. In seiner Tragödie Coriolanus, steht mörderisches Machtstreben im Zentrum der Handlung, die Inszenierung Krupas setzt noch weitere Schwerpunkte. Sie stellt Fragen in Bezug auf die Tragfähigkeit unserer Systeme. Inwieweit ist unsere Gesellschaft bereit sich an politischen Entscheidungs-Prozessen zu beteiligen, Verantwortung zu übernehmen und dort Widerstand zu leisten, wo es notwendig ist. Das Drama „Coriolanus" bildet den Auftakt einer Themenreihe, die sich mit „Widerstand“ beschäftigt. Fortgesetzt wird die Diskussion am Schluss der Saison mit dem Stück “Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss. Eine der Fragen könnte dann lauten: Welchen Beitrag können Kunst, Literatur und Theater im Hinblick auf politische Utopien leisten?
Viel Beifall für das gesamte Ensemble
(Ursula Harms-Krupp)
Vorstellungen:
7.10., 9.10., 15.10., 27.10., 1.11.,