Oberhausen
Die Ratten
Premiere (11.04.2008)
Tragikomödie von Gerhardt Hauptmann
Theater in Oberhausen
Inszenierung: Johannes Lepper
Selbst im Himmel gibt es keine Gerechtigkeit
Gerhardt Hauptmanns Tragödie „Die Ratten" hat bis heute nichts an Aktualität verloren. Uraufgeführt wurden die „Ratten" 1911 im Lessing Theater in Berlin. Das Stück wurde damals mit Unverständnis
aufgenommen, denn es war seiner Zeit weit voraus. In Oberhausen wurde die Tragikömodie von Johannes Lepper inszeniert. Im Zentrum der Handlung steht Frau John, deren Sohn an einer Krankheit
gestorben ist Sie lernt Pauline kennen, ein schwangeres, einfältiges Mädchen, die ihr Kind nicht haben will und alles daran setzt es loszuwerden. Frau John macht einen Deal mit ihr und gibt
Paulines Kind als ihr eigenes aus. Als Pauline ihr Kind zurückhaben will, kommt es zur Auseinandersetzung und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Vordergründig ist es das tragische Schicksal der Frau
John, die sich nimmt, was ihr nicht gehört und daran zugrunde geht. Doch Hauptmann ging es um viel mehr. Es sind komplexe gesellschaftliche Konflikte, die sich am Handlungsort abspielen. Der
liegt in einer alten, schäbigen Mietskaserne, duzende Familien hausen hier. Auch Frau John und der Theaterdirektor Hassenreuter haben hier ihre Wohnungen. Die beiden repräsentieren zwei soziale
Welten. Es sind die Welt der Herrschenden und Besitzenden und die Welt der Proletarier und der Besitzlosen.
Im 19 Jahrhundert kam es zu gewaltigen Umbrüchen in der Gesellschaft. Industrialisierung und Verstädterung zogen Elend und Armut in weiten Kreisen der Bevölkerung nach sich. In seinen Stücken
prangert Hauptmann Missstände an und zeigt die Dekadenz der Gesellschaft. Das Rattenmotiv erfüllt von daher eine doppelte Funktion, da es auf das tatsächliche Vorhandensein der Ratten im maroden
Gebäude hinweist und gleichzeitig die innere Gegensätzlichkeit des menschlichen Daseins versinnbildlicht.
Die Protagonisten in Leppers Inszenierung zeigen Verhaltensmuster und Verstrickungen, für die Lebenslüge, Egoismus und Beziehungslosigkeit bezeichnend sind. Sie sind nicht in der Lage miteinander
zu kommunizieren. Das Versagen der sprachlichen Kommunikation weist auf die Vereinsamung des vollkommen isolierten Individuums hin. Ein weiterer auffallender Aspekt ist die Interesselosigkeit,
mit denen die Figuren auf der Bühne ihre Umwelt wahrnehmen. Sie erkennen nicht, welche Tragödie sich direkt vor ihren Augen abspielt. Parallelen zur heutigen Zeit sind somit unverkennbar. Alle
Rollen im Stück sind hervorragend besetzt. Otto Schnelling als Harro Hassenreuter überzeugt als ehemaliger Theaterdirektor mit einer Mischung von Arroganz und Imponiergehabe, Klaus Zweck ist der
ahnungslose Ehemann Paul John, der nur ganz allmählich spürt, dass etwas Dunkles, Verhängnisvolles sich anbahnt. Claudia Fritzsche beruft sich auf Gottes Gerechtigkeit und fordert als
diskriminiertes Dienstmädchen Pauline Piperkarcka ihr Kind von Frau John zurück. Dass die Idee der Gerechtigkeit nicht im Himmel anzusiedeln ist, macht Frau John ihr an dieser Stelle aber ganz
deutlich klar. Marek Jera charakterisiert die Figur des unheimlichen und abstoßenden Bruno vortrefflich, Obwohl es schwierig ist ihn akustisch zu verstehen, kann man leicht nachvollziehen, was er
verbal sagen möchte.
Ein ganz großes Lob gehört Sabine Wegmann. Wie sie in die Rolle der Henriette John schlüpft und sich deren Charakter in Sprache und Gestik zu eigen macht, ist schlichtweg brillant. Ihr
Ausdrucksvermögen fesselt von der ersten bis zur letzten Minute. Viele Zuschauer kommentieren es mit Bedauern, dass sie nicht noch einmal alleine auf die Bühne kommt, um den Beifall des Publikums
entgegenzunehmen.
Das gesamte Ensemble wird mit viel Beifall bedacht.
(U. Harms-Krupp)