Foto: Jens Grossmann
Foto: Jens Grossmann

 

Gilbert und Sullivan: Die Piraten
Premiere am 9. Januar 2022 im Wuppertaler Opernhaus

 

Ein Riesenvergnügen! Und endlich wieder im Opernhaus!

 

 

Begeisterter Beifall für die „Piraten“ von Gilbert und Sullivan, Publikum, Chor, Solisten und alle Mitwirkenden in Sektlaune (den gab es aber nicht, wegen Corona), ein toller Abend, der erste wieder im Wuppertaler Opernhaus. Die Technik der Unterbühne ist noch lange nicht nutzbar, es funktioniert aber schon sehr viel. Ein Glück!

 

Aber warum hat man von Gilbert und Sullivan noch nie etwas gehört? Selbst das Archiv der „Opernwelt“ gibt dafür wenig her. Immerhin gibt es neben einer englischen auch eine deutsche Arthur-Sullivan-Gesellschaft. Nach einem so gelungenen Abend müsste eigentlich wesentlich mehr von diesem Autorenduo aufgeführt werden.
Das Programmheft verrät dann doch einige wesentliche Dinge: „William Schwenck Gilbert stellt sein komisches Schreibtalent in den Dienst der Musik, die Arthur Sullivan zu den absurden Dialogen komponierte.“ Gilbert bevorzugt eine absurde Ausgangssituation, genannt „topsy-turviness“, die dann im Sinne von „Wahnsinn mit Methode“ weiterentwickelt wird. Bekannt von ihm ist sein Hass auf derbe Schenkelklopfer, denn Texte und Handlungselemente sollen zusammen mit der Musik auch ein intellektuelles Vergnügen sein.

 

Mit diesen Absichten fand er in Arthur Sullivan den idealen Partner. Das war so zuerst einmal nicht zu erwarten, denn dieser widmete sich zuerst der „ernsten“ Musik, studierte in Leipzig, weil eine intensive musikalische Ausbildung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in England nicht möglich war. Dort sog er die europäische, zuerst vor allem die deutsche Musik, in sich auf, um nach seiner Rückkehr die seiner Meinung nach unterentwickelte musikalische Infrastruktur in England zu verbessern, komponierte fleißig ernste Musik, darunter auch „Ivanhoe“ als englische Nationaloper. Für diese Kompositionen wurde er 1883 zum „Sir“ geadelt, nicht etwa für seine Operetten, die er ab 1870 mit Gilbert im Team schrieb. Im „Grove´s Dictionary“, dem englischen Musiklexikon, wird er anfangs des 20. Jahrhunderts noch dafür getadelt: er sei zu Wertvollerem befähigt.

 

Dieses Urteil trifft die Sache aber gar nicht, ist Sullivans Operettenmusik doch alles andere als seicht, sondern intelligent und vergnüglich. Sullivan schöpft dabei aus dem reichen Schatz seiner musikalischen Kenntnisse, die er im Laufe der Zeit immer wieder erweiterte, z.B. durch die Freundschaft mit Rossini. Meinte man bei den ersten Tönen noch eine Art englischen Offenbach zu hören, konnte man bald merken, dass er sich darauf keineswegs beschränkte, sondern noch andere Pfeile im Köcher hatte. So verwendete immer wieder Stile und Stimmungen anderer Komponisten, auch typische musikalische Gesten und Charaktere, aber nicht als pure Kopie, sondern als Hintergrund für eigene kompositorische Ideen in Abstimmung mit den Absichten Gilberts. Sullivan überdreht die Schraube dann aber so weit, dass Satire und Parodie deutlich werden und Vergnügen bereiten. So kann man z.B. im Liebesduett der beiden Hauptpersonen Frederic und Mabel die romantische Freischütz-Atmosphäre spüren, ehe sie sanft umkippt. Besonderen Wert legt er auf die Rezitative in der Händel-Mozart-Tradition, in denen er das Pathos überzieht, sehr wirkungsvoll vor allem dann, wenn der gesungene Text absolut banal ist. Einmal werden die Rezitativakkorde sogar gesummt, die Handlung gleitet kurz ab in eine Parodie einer religiösen Zeremonie. Das sinnvolle Verfahren, dass der Chor die Worte eines Solisten wiederholt und dadurch bestätigt, wird konterkariert, indem es überstrapaziert und dadurch ins Lächerliche gezogen wird. Einige Ensembles erinnern an Aktschlüsse italienischer Opern, immer wieder überrascht ein Nebeneinander von nicht zusammenpassenden Elementen. Die Zusammenarbeit der beiden muss sehr eng gewesen, greifen doch Text und Musik immer wieder ineinander. Bemerkenswert ist auch, dass die beiden Autoren die Art ihres Vorgehens in dieser Operette selbst thematisieren, und zwar im „Paradox-Terzett“.
Wer zum ersten Mal ins Opernhaus geht – und dafür ist diese Operette sehr zu empfehlen - wird sein Vergnügen haben, auch weil Sullivans Instrumentation exzellent ist. Wer schon öfter drin war, wird die Musik noch mehr genießen, wenn er die vielfältigen Anspielungen erkennt.

 

Über die Handlung der „Piraten“ sollen Andeutungen genügen. Ausgangspunkt ist das Ende der Piratenlehre eines gewissen Frederic, die er aufgrund eines Hörfehlers seines Kindermädchens Ruth (statt Privatlehre) machen musste. Die Geschichte entwickelt sich dann in absurd-folgerichtiger Weise. Frederic verliebt sich in Mabel, eine von etwa 14 gleichaltrigen Töchtern des Generalmajors Stanley (Erda im „Ring“ schaffte nur neun), gerät aber in Schwierigkeiten, weil er eigentlich wegen seines Geburtstages am 29. Februar erst fünf Jahr alt ist. Am Ende kämpfen Piraten und Polizisten gegeneinander. Als kein Mensch mehr durchblickt, bemühen Gilbert und Sullivan den barocken Theatereffekt des „deus-ex-machina“ – ein urplötzlich auftauchendes höheres Wesen regelt alles zum Guten. Hier ist der deus allerdings die Queen, standesgemäß mit Handtasche und rosa Mantel und Hut.

 

Sullivan hat immer wieder die schlechte Qualität der englischen Sänger zu seiner Zeit beklagt, zudem hatte er mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass die sogenannte leichte Muse auch einfacher zu singen sei. Darauf hat er aber keinerlei Rücksicht genommen. Alle Sängerinnen und Sänger haben komplexe und keineswegs einfache Partien zu bewältigen. So hat Simon Stricker als Generalmajor Stanley in seiner Auftrittsarie ein Presto-extrem-Parlando a la Rossini zu bewältigen, was ihm glänzend gelingt. Und Mabel singt unvermittelt an Verdi erinnernde Koloraturen. Bei Verdi haben sie ihren Sinn, hier nicht. Aber die müssen erstmal so gekonnt sein wie bei Ralitsa Ralinova mit ihrem glockenreinen Sopran. Auch die übrigen Rollen waren exzellent besetzt. Dem schwarzen Bass des Piratenkönigs Sebastian Campione stand der strahlende Tenor Sangmin Jeons als Frederic gegenüber. Und Joslyn Rechter als Ruth war nicht nur als Sängerin, sondern auch als Darstellerin ein Gedicht, brillierte in der letzten Szene noch einmal besonders als Queen. Überhaupt war deutlich zu merken, dass alle Mitwirkenden – Solisten, Chor, Ballett – nicht nur mit höchster Qualität, sondern auch mit allergrößter Spielfreude bei der Sache waren. Und Johannes Witt machte die subtile Instrumentation Sullivans mit dem Wuppertaler Orchester bestens hörbar, fand auch immer die angemessene Lautstärke, um die Solisten nicht zu übertönen.

 

Ein Regieteam hat es bei einem solchen Stück leicht, könnte man denken. Hat es aber nicht, und hat sich die Arbeit auch nicht leicht gemacht. Jede Sekunde jeder Szene war genau überlegt, um allergrößte humoristische Wirkung zu erzielen, größeren Menschenmengen wurden perfekt und auch noch rasant bewegt, Gesang und Bewegung passten genau zusammen, keine Sekunde kam so etwas wie Langeweile auf, der Abend steigerte sich bis zum Schluss. Cusch Jung hatte die „Piraten“ schon in Leipzig herausgebracht und seine Inszenierung schon vor einem Jahr mit dem Wuppertaler Ensemble bis zur Bühnenreife geprobt. Corona verbot damals die Aufführung. Beate Zoff hatte die Bühne eingerichtet und für die historisierenden, aber peppigen und leicht überdrehten Kostüme gesorgt. Dabei setzte sie auf starke Kontraste. Generalmajor Stanley trug im 1. Akt eine blaue Uniform, im 2. Akt einen hellen Morgenrock mit Schlafmütze. Den aufwendigen schwarzen Piraten-Outfits standen die unschuldig-weißen Kleider mit züchtigen langen Pumpunterhosen der 14 Stanley-Töchter gegenüber. Das allein war schon ein Riesenspaß!

 

Fritz Gerwinn, 10.1.2022

 

Weitere Aufführungen: 13.1., 6.2., 19.3., 29.4., 14.5., 12.6., 25.6.2022