Doppelabend in Wuppertal
„Ariadne auf Naxos (Vorspiel)“ von Richard Strauss und „Herzog Blaubarts Burg“ im Opernhaus
Premiere am 8. Mai 2022
Strahlender Sonnenschein. Lag es daran, dass doch etliche Plätze im Opernhaus frei blieben, oder waren es die Corona-Nachwirkungen, die immer noch den Entschluss lähmen, Kulturveranstaltungen zu besuchen? Dabei hätte dieser ungewöhnliche Doppelabend ein volles Haus verdient.
Ungewöhnlich, weil ein wenig gespieltes Werk mit einem doch deutlich bekannteren Stück gekoppelt wurde. „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss bildete den ersten Teil, allerdings nur das Vorspiel, weil nach Meinung der Programmmacher die Ankündigungen des Vorspiels in der dann folgenden Oper nicht eingelöst werden. Für den zweiten Teil wurde dann der größtmögliche Gegensatz gesucht, und das wurde dann „Blaubarts Burg“ von Béla Bartók, in dieser Saison in Nordrhein-Westfalen in höchst unterschiedlichen Inszenierungen mehrfach zu sehen. Und in Wuppertal kann in wenigen Wochen die revolutionäre Tanzfassung von Pina Bausch bewundert werden, die allerdings nur etwa ein Fünftel der Musik verwendet.
Richard Strauss: Ariadne (Vorspiel)
Im ersten Stück, dem Vorspiel zu „Ariadne“, geht es vornehmlich um den Gegensatz von ernster und unterhaltender Musik, ein sogenanntes „Konversationsstück“ mit viel geredetem und gesungenem Text in oft rasantem Tempo. Man musste schon aufpassen, um alles mitzubekommen. Zwei Gruppen stehen sich gegenüber. Da ist zunächst einmal die „klassische“ Fraktion mit Primadonna, Tenor, Komponist (in Wuppertal -in) und sie unterstützendem Musiklehrer. Auf einem Fest des reichsten Mannes von Wien soll die extra dafür geschriebene Oper der Komponistin aufgeführt werden. Der hat aber ganz eigene Vorstellungen von Musik und hat zum Entsetzen der klassischen Fraktion noch eine Komödiantentruppe eingeladen, die nach der ernsten Oper und - nach einem plötzlichen und willkürlichen Sinneswandel des reichen Mannes – dann sogar gleichzeitig mit ihr – ein lustiges Stück aufführen sollen. Diese zweite Gruppe besteht aus vier Gestalten in grotesken Tierkostümen und ihrer Anführerin Zerbinetta, die das Leben so nimmt wie es kommt, vor der Aufführung sogar noch einen Liebhaber empfängt und danach noch nicht wieder vollständig bekleidet die Szene aufmischt. Eher auf ihrer Seite steht der Tanzmeister, der für die Choreographie des Festes zuständig ist und den Tanz dreier Nymphen (2w, 1m) anleitet. Die kommen immer wieder vor, kommentieren und ironisieren die Handlung. Die haben zwar erst ihren Auftritt in der nicht gespielten Oper, sind aus dieser aber schon mal herübergeholt und passen sehr gut in diesen Rahmen.
E- und U-Musik stehen sich also scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die „ernste“ Fraktion blickt auch entsprechend verachtend und arrogant auf die komödiantischen Amateure herab, wird aber immer wieder ausgebremst, weil der geldgebende Mäzen besondere Wünsche hat, die er durch seinen Haushofmeister verkünden lässt, und auf ihre Starallüren keinerlei Rücksicht nimmt. Was Wunder, dass sie dadurch von ihrem hohen Ross geholt werden und auch untereinander in Konflikte geraten.
Strauss komponiert den Gegensatz zwischen den beiden Musiksphären genau aus, so dass sie sich ständig abwechseln. Seine Sympathie für die höhere, also seine, scheint aber doch etwas größer zu sein. Er stellt zwar die Macken und das exzentrische Gehabe von Primadonna und Tenor gnadenlos heraus, lässt aber andererseits gerade den Komponisten in der Art der Musik schwelgen, die wir von ihm aus anderen Werken kennen. So ist der Komponist so begeistert von seinem Werk, dass er ständig daraus Melodien singt und auch sonst dem süffigen Strauss-Ton verhaftet bleibt. Umso größer ist dann natürlich die Fallhöhe zur Musik der anderen Seite. Aber es gibt kurz vor Schluss einen magischen Moment: Komponistin und Zerbinetta verstehen sich, bilden mit Primadonna, Tenor und den drei Nymphen eine sich umarmende Gruppe, wobei Zerbinetta für kurze Zeit mühelos die höhere Sphäre erreicht. Dabei erscheint auf den Fotos der Mitwirkenden auf dem großen X auf der Bühne (s.u.) plötzlich eine leuchtendes und blitzendes Sterngewimmel.
Die musikalischen Konflikte werden im Orchester und auf der Bühne sehr deutlich und sekundengenau umgesetzt. Orchesterleiter Patrick Hahn mit dem Wuppertaler Orchester und Regisseur Bernd Mottl haben hier offensichtlich hervorragend zusammengearbeitet. Das 34köpfige vergleichsweise kleine Orchester traf dabei unter Anleitung seines Dirigenten den oft etwas differenzierten Strauss-Ton genauestens. Und der Regisseur hatte das temporeiche Geschehen abwechslungsreich und kurzweilig gestaltet. Massenszenen und Duette (z.T. sich Duellen nähernd) lösten sich geschickt ab. Auch Friedrich Eggert, verantwortlich für Bühne und Kostüme, hatte ganze Arbeit geleistet. So erblickt man am Anfang zuerst einmal in der Mitte der Bühne ein großes X mit den Bildern der Mitwirkenden (s.o.), links und rechts davon ein N und eine S. Dann entdeckt man ein liegendes A, insgesamt ergibt das ein Naxos ohne O, also der Ort der zu erwartenden Oper. Aber wo ist das O? Lösung: An der hinteren Bühnenwand liegt ein Schlauchboot, das aufgerichtet das O ergibt. Entsprechend prosaisch ist dann auch das Kostüm des Tenors, der später in der nicht gespielten Oper als Bacchus  zu Ariadne auf die Insel kommen soll: Schwimmweste und Paddel. Und noch mit einem weiteren Hinweis scheint der zweite Teil der Oper ins Vorspiel miteinbezogen zu sein: gegen Ende erscheint auf eine großen Videoleinwand das Meer, und die Kostüme verwandeln sich: die Primadonna trägt ein Nixenkostüm und auch einige andere Mitwirkende wirken eher wie Wasserbewohner. Wieder Zeugnis einer guten Zusammenarbeit von Regisseur und Bühnen-/Kostümbildner.
17 Rollen sind zu besetzen. Komödianten und Nymphen bleiben stumm, der Haushofmeister (Simon Stricker) spricht nur, das aber hervorragend. Seine Rolle und viele kleinere Rollen konnten aus dem Wuppertaler Opernensemble, mit Solisten des Opernchors und Mitgliedern des Opernstudios NRW besetzt werden. Zwei Gäste mit größeren Rollen für Musiklehrer und Komponistin waren beteiligt, die sich im Verlauf des Stücks immer wieder heftige Duelle lieferten: Ralf Lukas, der im zweiten Teil auch noch den Blaubart darstellte, sang den Musiklehrer, und Catriona Morison, einige Jahre Ensemblemitglied, die Komponistin. Ihre wunderschöne Stimme wurde mit besonders großem Beifall belohnt, Aber auch alle anderen gaben in schauspielerischer und sängerischer Hinsicht ihr Bestes: genau, schön, wortverständlich.

Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Nach der Pause das zweite Stück, das mit dem ersten nichts zu tun haben sollte, es sei denn das Jahr der Entstehung (1911). Inszeniert wurde es auch von einem ganz anderen Team, was auch schon bei der vorstellenden Matinée zu einer zweiteiligen Veranstaltung führte. Der russische Regisseur Philipp Grigorian hatte für die Inszenierung und das Bühnenbild gesorgt. Ihm zur Seite stand u.a. der Dramaturg Ilya Kukharenko, der 2017 in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Timofei Kuljabin Verdis „Rigoletto“ brillant neu eingerichtet und in die Gegenwart geholt hatte. Auch die Geschichte Blaubarts wurde diesmal anders erzählt, auch der Text an einigen Stellen der neuen Situation angepasst.
Blaubart ist diesmal eine Art Oligarch, der offensichtlich sein Geld mit unlauteren und kriminellen Mitteln erworben hat. Der ist todkrank, wird zum ersten Mal von Judith, die nicht seine Frau, sondern seine Tochter ist, auf seinem Totenbett besucht. Judith sieht er zum ersten Mal, seine Frau hat sich schon lange von ihm getrennt. Das Zweipersonenstück wird um drei weibliche Personen erweitert: seine Mutter, seine jetzige Frau, die ihn auch pflegt, und auch seine frühere Frau, Judiths Mutter.
Noch vor Beginn der Musik bezeichnet seine Mutter ihn als „guten Jungen“ und macht seine frühere Frau für alle Probleme verantwortlich. Dann erreicht Blaubart, von seiner Frau gestützt, sein Bett, das in einem hermetisch abgeschlossenen Raum steht, dessen Wände an eine Burg erinnern. Nach dem Erscheinen seiner Tochter entwickelt sich ein Generationenkonflikt, hier und in den ersten Bildern ist man erstaunt darüber, wie genau sich der ursprüngliche Text mit der neuen Konstellation verbindet. Von den zu öffnenden sieben Türen keine Spur. Blaubart hat seine Erinnerungen in sieben Ordnern in einem Safe aufbewahrt. Die gibt er nun, aber sehr widerwillig, seiner Tochter, die sie nach und nach öffnet. Dabei wird jeweils die Rückwand von Blaubarts Krankenzimmer, seiner Burg, hochgezogen und gibt ein bewegtes Bild frei.
In der Folterkammer wird tatsächlich jemand gefoltert, auch die eiskalten Folterer sind sichtbar, und darunter liegen viele Leichen. Die Waffenkammer ist eine Art Operationszentrale, in deren Mitte interessanter- und irritierenderweise ein Kinderwagen steht. Im Schatzkammerbild wird klargestellt, wie der Oligarch illegal sein Geld verdient hat: mit Öl. Und sein prächtiger Garten wird von offenbar unterbezahlten Menschen gepflegt. In allen vier Bildern spielt Blut eine Rolle, es wird ohne jede Textänderung das Entsetzen der mit anderen Werten erzogenen Tochter deutlich, der seine Macht mit Blut und ohne jegliche Rücksicht erkauft hat.
Im fünften Bild – Blaubart zeigt Judith seine prächtigen Ländereien - ändert sich die Szene: Der Todkranke verlässt sein Bett und öffnet eine Tür, hinter der man aber nur weißen Nebel sieht. Unterdessen scheint seine Frau um ihn zu trauern, sein Bett wird weggefahren und durch einen Tisch mit Stühlen ersetzt Ist Blaubart also schon tot? Handelt er schon aus einer anderen Welt? Jedenfalls dreht sich die hintere Bühne, wenn er durch die Tür geht, und er findet sich in einem kargen, gefängnisartigen Raum ohne Fenster wieder. So ist auch im sechsten Bild – Tränensee - der Ordner leer. Ihn hört man aber überdeutlich im Orchester. Und im siebten Bild gibt es keine ermordeten Frauen. Blaubarts Mutter und seine Frau erscheinen und setzen sich an den Tisch. Auch Judiths Mutter, die von Blaubarts Mutter am Anfang noch beschimpft worden war, taucht auf, ebenso nimmt ihre Tochter ihren Platz dort ein, nachdem sie vorher über einen plötzlich erleuchteten Teppich gelaufen ist. Sie reden vertraulich miteinander und trinken dabei Kaffee, während Blaubart davon singt, dass diese drei Frauen die wichtigsten Personen in seinem Leben gewesen sind und seine Tochter jetzt als vierte dazukommt. Er verschwindet dann im Dunkel, während die Unterhaltung der Frauen am Kaffeetisch weitergeht.
Grigorian stellt in den ersten vier Bildern den Generationenkonflikt zwischen Vater und Tochter sehr deutlich und nachvollziehbar dar, verrätselt aber etwas die weiteren Teile, oder besser: lässt offen und mehrere Interpretationen zu. Könnte es heißen, dass er als machtgieriger und skrupelloser Mensch seine Frauen nicht erreicht, niemals erreicht hat? Ihr munteres Geplauder am Schluss lässt vermuten, dass Blaubart mit seinem Tod nicht nur aus ihrem Leben, sondern auch schon aus ihrem Gedächtnis verschwunden ist.
Die musikalische Umsetzung dieser Geschichte war ebenso hervorragend wie im ersten Teil, obwohl Bartóks Musik ganz anders ist als die von Strauss. Patrick Hahn formte die unterschiedliche musikalische Umsetzung der Bilder auf der Bühne genau und plastisch. Besonders spannend fand ich seine Interpretation der Tränensee-Episode. Und bei besonders dramatischen und lauten Passagen scheute er sich nicht, mit dem jetzt groß besetzen Orchester bis an die Schmerzgrenze zu gehen. Die beiden Solisten, Khatuna Mikaberidze als Judith und Ralf Lukas als Blaubart, übertönte er dabei nie. Beide lieferten eine grandiose Leistung ab, bewältigten ihre schweren Partien bewundernswert.
Für beide Stücke gab es langen und lauten Beifall.
Fritz Gerwinn, 10.5.22
Weitere Termine: 15.5., 11.6., 17.6., 24.6.2022