Wuppertal

Falstaff

19.2.2012

 

Die von mir besuchte Vorstellung am 19.2.12 war leider die letzte. Schade, denn eine so hervorragende, witzige und in jeder Hinsicht genau gearbeitete Inszenierung ist nicht so oft zu sehen. Das Opernhaus war voll, alle (darunter etliche Kinder und Jugendliche) hatten ihren Spaß. Weitere Vorstellungen (wie beim „Fliegenden Holländer“) würden gewiss ihr Publikum finden.

Vieles bleibt in guter Erinnerung. Ich fange mit den Kostümen (Judith Fischer) an: weil die Handlung in einen englischen Badeort und an den Anfang des 20. Jahrhunderts verlegt wurde, tragen die Darsteller die entsprechenden Sport- und Badekleider, und jedes Kostüm ist ein Treffer. Großes Gelächter, als Falstaff im Sommeranzug in kurzen Hosen erscheint. Wunderbar auch der Einfall, den Damenchor im 3. Akt komplett als Elfen zu verkleiden. Noch vergnüglicher für das Publikum war hier das Kostüm Fentons, der eine Wespe darstellte, und Falstaffs, der ein riesiges Geweih würdevoll trug.

Der wie immer in Wuppertal herausragende Gesang wurde diesmal fast noch von den darstellerischen Leistungen übertroffen. Offensichtlich hatten alle Beteiligten selbst einen Riesenspaß. Mir hat besonders Stephan Boving als Dr. Cajus gefallen. Fast alle Rollen konnten mit dem Stammpersonal (Banu Böke, Dorothea Brandt, Joslyn Rechter, Diane Pilcher Boris Lei-senheimer u.a.)besetzt werden, und wie so oft zeigte sich auch in dieser Aufführung, dass diese Sängerdarsteller nicht nur hervorragend ausgebildet sind, sondern sich auch weiter entwickelt haben und ihr Können in jeder Vorstellung auch abrufen können.

Lediglich Thomas Laske musste in der von mir besuchten Vorstellung wegen Krankheit von einem Aachener Kollegen ersetzt werden, der sich nahtlos in das Ensemble einreihte. Die Hauptrolle war treffsicher mit einem Gast besetzt, Kiril Manolov, der außer der angemessenen Stimme und großer Spielfreude auch noch die richtige Statur auf die Bühne brachte – seine Rolle!

Das Wuppertaler Orchester, an diesem Abend unter der Leitung von Florian Frannek, spielte gut und sicher wie immer, setzte klare Akzente und deckte die Stimmen an keiner Stelle zu.

 

An der Inszenierung sind Genauigkeit und Sorgfalt zu loben. Die Handlung, die beim Lesen noch recht verschlungen erscheint, wurde auf der Bühne in jedem Moment klar, und das in sehr witziger und lebendiger Weise. Lebendig, weil Intendant und Regisseur Johannes Weigand nicht nur den Haupthandlungsfaden betonte, sondern auch etliche gleichzeitig ablaufende Nebenhandlungen einbaute. Aber auch einige Feinheiten wurden deutlich gemacht: Wenn etwa im Libretto von einem „Triller“ die Rede ist oder erzählt wird, wie eine Note sich mit einer anderen zu einem Zweiklang verbindet (so wie ein Paar sich findet), wird dies nicht nur musikalisch hervorgehoben, sondern findet sich auch in der Darstellung auf der Bühne wieder. Besonders in Erinnerung ist mir die Stelle im 3. Akt, an der Verdis Religionskritik deutlich wir, indem er mit Falstaffs „Gott erhalte meinen Bauch“ geistliche Musik parodiert. Hier wurde die Einheit von Text, Musik, Gesang und Darstellung bis in die Kostümierung fortgesetzt.

Die darstellerischen Gags – davon gab es etliche! - waren punktgenau eingesetzt und oft aus der Musik abgeleitet, wie zum Beispiel die Gestik bei der fast leitmotivisch eingesetzten Floskel „reverenza“ von Mrs. Quickly. Vergnüglich auch das Heranrobben der versammelten Männer an den Paravent, hinter dem sie Falstaff vermuten, sich aber nur Ninetta und Fenton hörbar geküsst haben: starke Männer schützen sich vor möglichen Gefahren mit Netz und Mini-Sonnenschirm. Überraschenderweise (Gelächter und Zwischenbeifall!) fährt Falstaff mit dem Boot zu seinem Rendezvous im 2. Akt, das im 3. Akt durch eine einfache Umbenennung „Herne´s Oak“ heißt und zum Mittelpunkt des dortigen Geschehens wird. Und bevor die Oper überhaupt losgeht, liegt schon eine Alkoholleiche vor dem Vorhang.

Vieles in dieser Inszenierung wäre nicht möglich gewesen, wenn es nicht durch das überlegte Bühnenbild (Moritz Nitsche) unterstützt worden wäre. Links steht ein Kneipentisch als Fals-taffs Residenz, rechts befinden sich Umkleidekabinen, zwischen denen man sich aber sehr gut verstecken kann, dazwischen ist ein Bootssteg zu sehen und im Hintergrund das Meer, in das Falstaff am Ende des 2. Aktes zusammen mit viel schmutziger Wäsche aus dem riesengroßen Wäschekorb gekippt wird. Eine gute Lösung, weil so Umbaupausen auf wenige Sekunde be-schränkt werden konnten.

Ein Lob auch für die Dramaturgie, deren Einführung gut auf das folgende Stück vorbereitete, und die ein lesenswertes Programmheft zusammenstellte: kurze, pointierte Beiträge unter-schiedlicher Provenienz und Richtung, die, vorher oder nachher gelesen, das Vergnügen an der Oper vertiefen.

 

Insgesamt also ein wunderbarer und vergnüglicher Abend. Es scheint so, als hätte die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Sparten des Theater hervorragend geklappt – deshalb war die Aufführung viel mehr als die Summe von Regie, Musik, Gesang, Darstellung, Bühnenbild, Kostümen und Dramaturgie. Auch in anderen Aufführungen, an die ich gern zurückdenke, war das so, und deshalb scheint diese hervorragende Zusammenarbeit so etwas wie die Handschrift der Wuppertaler Bühnen zu sein, so dass jedes Stück des Musiktheater fast vorbehaltlos empfohlen werden kann, auch wenn es nicht „Falstaff“ ist und „Falstaff“ nicht wieder aufgenommen wird.

Das würde ich aber dringend empfehlen.

 

Fritz Gerwinn