Essen:
Grillo Theater
Die „Orestie" von Aischylos

 
Regie : Roger Vontobel
Bühne: Claudia Rohner
Kostüme: Nadine Grellinger
Video: Immanuel Heidrich

 

Premiere: 13.09.08

 Jugend in der Revolte

 

Die »Orestie« des Aischylos ist die einzige vollständig erhaltene Trilogie des antiken griechischen Theaters und gilt als eines der berühmtesten Dramen der Antike. Erzählt wird die Geschichte der Atriden. Der siegreiche König Agamemnon kehrt aus Troja zurück. Mitgebracht hat er Kassandra, die Seherin, als Kriegsbeute. Klytaimestra, Gattin Agamemnons, inzwischen mit Ägisth liiert, plant dessen Ermordung. Elektra und Orest rächen den Tod Argamemnons. Kassandras düstere Prophezeiungen sind eingetroffen.

Roger Vontobel, der bereits erfolgreich Grillparzers „Das goldene Vlies" und „Eldorado" von Marius von Mayenburg in Essen inszenierte, brachte nun die „Die Orestie" im Essener Grillo Theater auf die Bühne. Die Inszenierung in moderner Fassung und mit einem jungen Ensemble wurde vom Publikum sehr positiv aufgenommen.

Dröhnende Rockmusik zum Auftakt und ein Orest, der unaufhörlich rennt, dabei aber auf der Stelle tritt, stolpert, fällt und dann keuchend auf der Bühne liegen bleibt. Schließlich taucht er ab in den Zuschauerraum. Der Chor tritt auf und hämmert die Worte: tun, leiden, lernen, vehement und sich ständig in der Lautstärke steigend in Richtung Zuschauerraum. Die zentrale Bedeutung dieses Slogans als ein Leitmotiv des Stücks wird schnell deutlich, denn im Laufe der gut dreistündigen Aufführung wird er häufig wiederholt.

Die Protagonisten präsentieren sich im modernen Outfit und einer leicht verständlichen Sprache. Vontobel orientierte sich an der modernen Übersetzung von Peter Stein, wobei er im 2.Teil zusätzlich Texte aus Sophokles „Elektra" (deutsch von Peter Krumme) verwendet. Das Bühnenbild ist nüchtern, in grau bis schwarz gehalten. Weißes Papier vom Boden bis zur Decke hinreichend markiert den Eingang in den Palast. Moderne Videotechnik und Applausverstärker aus der Retorte werden eingesetzt.

Thematisch geht es in der Inszenierung um Krieg, Kindermord, Gattenmord, Muttermord, Rache, Heuchelei, Täuschung, Lüge und blindem Hass. Damit wurde nicht nur der Mensch in der Antike konfrontiert, auch in der Lebenswelt des modernen Menschen finden sich genügend Beispiele für Affekte, gibt es Exzesse und Gräueltaten.

Aischylos Tragödien spiegeln die historische Zeit und zeigen das Leben der Menschen zwischen dem Glauben an die Götter und der eigenen Bewältigung des Daseins. Der Tragödiendichter kämpfte selber gegen die Perser und erlebte die Reformation Athens zur Demokratie mit.

Roger Vontobel geht mit seiner Inszenierung neue Wege. Der klassische Stoff der Orestie wird im modernen Gewand präsentiert und problematisiert „Bindungslosigkeit, jugendliche Rebellion und Blutrache". Aussehen und Charakter der Figuren stimmen mit der herkömmlichen Vorstellung antiker Tragikfiguren nur bedingt überein. Agamemnon (Werner Strenger) tritt als gebrochener Mann in Erscheinung, wie ein strahlender Held wirkt er nicht. Der Regisseur verleiht ihm „menschliche Züge", vermutlich trägt er schwer an seiner Schuld, die Schlacht hat ihn gekennzeichnet, Blut ist in Strömen geflossen und er opferte seine Tochter, „Ipheginie" für den Sieg in Troja. Nadja Robinè in der Rolle der Kassandra wirkt liebenswürdig und schutzbedürftig.

Klytaimestra, (Judith von der Werff) legt sich bei Agamemnons Rückkehr mächtig ins Zeug und verfasst Lobeshymnen auf ihren Gatten, die voller Phrasen und Heuchelei sind. Obgleich sie seine Ermordung schon lange beschlossen hat. Judith von der Werff wirkt in ihrer Darstellung so authentisch, dass Assoziationen an Ereignisse unserer Zeit sich spontan aufdrängen. Jonas Gruber in der Rolle ihres rücksichtslosen Geliebten Aigisth, kann man sich sehr gut als einen eiskalt berechnenden Buisnessmann vorstellen.

Und schließlich Elektra (Barbara Hirt). Würde strahlt sie nicht gerade aus, eher ist sie emotionsgeladen, jugendlich unbesonnen, draufgängerisch und starrköpfig. Barbara Hirt zeigt jedoch hervorragend, wie der Rachegedanke mehr und mehr von ihr Besitz nimmt und sie keinen Argumenten mehr zugänglich ist. Sie rebelliert gegen alles und jedens Wütend schlägt sie gegen die weiße Papierwand, die sie selber mit „Welcome Agamemnon" beschriftet hat. Dahinter vergnügen sich nun Klytaimestra imd Aigisth. Draußen vor dem Tor des Palastes hausend, sieht Elektra in der Mutter nur noch die Herrscherin und sinnt unaufhörlich auf Rache, die sie aber Orest überläßt. Jegliche Kommunikation zwischen Mutter und Tochter scheint abgebrochen. Orest ist der einzige, zudem Elektra noch eine Bindung hat. Den Verlust der Eltern kann er ihr aber nicht ersetzen. Sie benutzt ihn, um die Mutter zu töten. Ihre Worte: tun, leiden, lernen klingen wie Peitschenhiebe, als sie ihm die Axt zur Tötung der Mutter reicht. Mathias Eberle versteht es ausgezeichnet den Orest gleichermaßen jugendlich, unbekümmert, hilflos, ratlos aber auch rebellisch darzustellen.

Mit Blut wird nicht gespart. Tote treten als blutbeschmierte Rachegötter "Eumeniden" auf und werden zu Richtern über Orest. Die Gerichtsverhandlung ist eine Farce, soll aber die Einmaligkeit des Geschehens verdeutlichen. Denn Orest wird als Muttermörder angeklagt, der Lenkung der Staatsgeschäfte unwürdig. Erstmals ist damit das antike Rechtverständnis ein anderes geworden und hat den Rachegedanken als einen nie endenden Prozess in der Kette von Gewalt und Vergeltung unterbrochen. Damit entstehen neue Dimensionen, die eine Gesetzgebung möglich machen. Ein weltliches Gericht hat Recht gesprochen, eine von der menschlichen Gesellschaft eingesetzte objektive Instanz, Götter werden nicht mehr benötigt.

Ob Orest etwas gelernt hat- oder noch immer auf der Stelle tritt und auf der Suche nach sich selber ist, bleibt ungewiss. Er entschwindet in die Dunkelheit, alleine mit seiner Schuld.

Die Rachetriologie lässt den Schluss offen, ein „Lernprozess" nicht unbedingt in Sicht. Doch eines scheint sicher, nur im Diesseits kann der Mensch Hilfe erwarten, können Antworten auf existentielle Fragen gefunden werden. Das Jenseits verweigert sie.

U. Harms-Krupp)

 

Karten: 0201-8122 200