Trump, Nexit und Putins unehelicher Sohn

 Lortzings „Zar und Zimmermann“ in Hagen, brillant neu erzählt

 

Komische Oper in drei Akten

In deutscher Sprache mit Übertexten

Musikalische Leitung Rodrigo Tomillo

Inszenierung Holger Potock

 

Premiere am 1.2.2020

 

Albert Lortzings Opern wurden seit den 70er Jahren kaum gespielt. Seine Opern standen unter Biedermeierverdacht, galten als harmlose Spielopern, mit denen man sich einen schönen Abend machen konnte, ohne auch nur um einen Hauch ins Politische abzugleiten, waren deshalb in den 50er und 60er Jahren der Bundesrepublik sehr beliebt. Was war also zu erwarten, wenn diese Oper wieder auf dem Programm steht? Inzwischen wurde zwar bekannt, dass Lortzing sogar eine Revolutionsoper, „Regina“, geschrieben hat? Und die Hagener Theatermacher legen laut Programmheft Wert darauf, dass dieser Komponist nicht nur ein Kind des Biedermeiers ist, sondern seine Werke auch zu ihrer Entstehungszeit durchaus schon etwas Widerständiges entfaltet haben. Aber wie sollte eine von der aktuellen Wirklichkeit weit entfernte Handlung auf die Bühne gebracht werden?

 

Um es kurz zu machen: es wurde ein brillanter Abend. Zuerst einmal: ständig laute Lacher im Publikum, aber es war in keiner Weise auch nur annähernd klamaukig. Regisseur Holger Potocki hatte in seiner neuen Textfassung die Handlung uns sehr nahe gerückt, mit politischem Tiefgang, aber sehr witzig, äußerst sinnvoll aktualisiert. Diese neue Geschichte hatte er, zusammen mit Lena Brexendorff (Bühne und Kostüme) und dem Hagener Orchester unter Rodrigo Tomillo, sinnfällig und liebevoll bis in die kleinsten Gesten auf die Bühne gebracht, sogar nachvollziehbarer als die alte Verwechslungsgeschichte von Lortzing. Haarscharf passende Unterstützung erhalten hatte er auch von Farid Halim (Choreographie) und Hans-Joachim Köster (Licht und Video).

 

Die neue Geschichte kann hier nur angedeutet werden: Hauptperson ist der dumme und eingebildete Bürgermeister von Saardam, van Bett, unverkennbar als populistischer Wiedergänger von Donald Trump erkennbar, ziemlich größenwahnsinnig, will er doch holländischer Ministerpräsident werden und den Nexit einleiten. Er hat die Werft seiner Stadt gerettet, sie boomt dadurch, dass sie Kriegsschiffe und U-Boote für alle Staaten ohne Kontrolle baut. Auf der Werft angestellt sind zwei Russen, beide heißen Peter. Peter Iwanow ist ein Deserteur der russischen Armee, der zweite Peter, Michailow, bei Lortzing inkognito der Zar, arbeitet zwar ebenso unerkannt auf der Werft, ist aber der bisher unbekannte uneheliche Sohn des russischen Präsidenten Putin, der zum Regierungschef aufgebaut werden soll. Mehrere Agenten sind hinter ihm her, ein ExBrexit-Lord aus England und ein französischer Agent. Dieser will mit Putins Sohn einen Beistandspakt vereinbaren, muss aber seine Identität verbergen, weshalb er als Discjockey bei einer werfteigenen Hochzeitsfeier auftritt. Van Bett und der englische Agent halten aber fälschlicherweise Iwanow für den „Zaren“ (unter diesem Decknamen führt ihn auch der britische Geheimdienst), der französische Agent liegt dagegen aber richtig. Zwei Frauen sind wichtig: einmal die Witwe Brown, CEO der Werft, zum anderen Marie, Leiterin PR und Kommunikation der Werft, Nichte van Betts und Freundin von Iwanow in einer schwierigen Beziehung. Immer wieder hat der großspurige van Bett mit einer Widerstandsgruppe zu kämpfen, das Kommando ZimmAmann, die ihn auch erreicht und stellt, als er sein Büro unter Wasser verlegt hat. Sie tragen Fuchsmasken und erinnern an extinction rebellion. Nach umfangreichen – vergnüglichen und gut nachvollziehbaren – Verwicklungen ist van Bett/Trump am Ende demoralisiert, dagegen hat Michailow, Putins Sohn, in Moskau überraschend die Regierung übernommen.

 

In Potockis Bearbeitung ist der gesamte gesprochene Text neu, die Texte zur Musik bleiben aber im Wesentlichen unangetastet. Das passt nicht immer ganz zusammen, wird aber auch gar nicht verklebt, sondern die Reibung zwischen beiden wird bewusst ausgenutzt oder sogar übertrieben.

 

So bekommt der unerträglich affirmative Männerchor zu Beginn, der die glücklich machende Arbeit des Schiffszimmermanns ohne Bremse über den grünen Klee lobt, einen ganz anderen Zungenschlag, wenn die Belegschaft einer Werft für Kriegsschiffe und U-Boote singt: „Greifet an und rührt die Hände, baut des Schiffes stolze Wände!“ Ohnehin ist dieser Chor wichtiger Bestandteil einer Werbeveranstaltung der Werft, dem Gesang der Männer hören also auch neue Kunden zu, arabische Frauen(!) im Tschador zu, die dann später auch neue Torpedoboote bestellen. Auch Marie van Bett hat sich für diese Veranstaltung tief verschleiert.

 

Überhaupt Marie! Bei ihr lässt Potocki lustvoll neue Geschichte und alten Text aufeinanderprallen: Sie als Leiterin PR und Kommunikation der Werft ist eine taffe, leicht mannstolle Geschäftsfrau, immer nach neuester Mode gekleidet. Es schert sie wenig, dass sie schon Peter Iwanow versprochen und von ihm schwanger ist, andere Männer sind auch interessant. Andererseits wird sie musikalisch mit „Ist es gefällig, Jungfer Marie?“ angeredet und singt als schwangere Jungfrau das Hochzeitslied „Lieblich röten sich die Wangen einer Jungfrau hold und schön“. Ob sie mit ihrem Peter später glücklich wird, sei dahingestellt, er ist ganz anders, ein leicht fülliger Nerd mit Zopf, Zauselbart und lang getragenem Schlabberpullover.

 

Einiges ist in der Neufassung geändert: So beschwört Michailow in der berühmten Arie „Einst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Schwert“ die selige, unbewusste Kinderzeit, verzichtet aber auf die dritte, ins Jenseits gerichtete Strophe. Andererseits singt er die oft weggelassene Arie „Verraten!“, wenn er die Aufdeckung seines Inkognitos befürchten muss. Hier zeigt sich, dass er sein Ziel durchaus im Auge hat und konsequent daran arbeitet. Das vertieft die Darstellung seines vielschichtigen Charakters.

 

Worauf kann man sich als Zuschauer noch freuen? Wie schon angedeutet: Van Bett ist eine Trump-Karikatur, seine Nähe zu ihm fast beängstigend. Geistig ist er ein sehr kleines Licht, legt keinen Wert auf politische Korrektheit, demokratische Verhaltensweisen sind ihm ein Gräuel, Korruption ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Seine Gegner werden abgehört, er trägt ihnen das in einem Blumenstrauß versteckte Mikrofon hinterher, spricht aber auch gerne selbst deutlich erkennbar hinein. Seine Gegner, Kommando ZimmAmann, stören ihn aber immer wieder, ziehen ihm z.B., als er schläft, die Hose aus, so dass er die Chorprobe für die Feier des vermeintlichen „Zaren“ in Unterhose abhalten muss. Das stört ihn nach kurzer Irritation aber nicht weiter. Erst am Schluss werden seine Ziele zum Erliegen gebracht, wenn die Tänzerinnen des als holländische Folklore angekündigten Holzschuhtanzes sich als Mitgliederdieser Widerstandsgruppe entpuppen und sogar sein persönlicher Referent zu ihnen übergelaufen ist.

 

Ein weiterer interessanter Aspekt: Die Saardamer Kriegsschiffwerft schafft sich ein großes Feigenblatt an, indem sie die Tierschutzorganisation „Peta“, die Pandas rettet, unterstützt: alle Mitglieder der Werft tragen Peta-T-Shirts, und ein großer Panda steht in der Empfangshalle, geht sogar mit Gonzo, dem Security-Beauftragten der Firma, in die Sauna. In dieser finden gleichzeitig die politischen Verhandlungen statt, auf der einen Seite van Bett, Iwanow und der englische Agent, auf der anderen der französische und Iwanow. Eine köstliche Szene, wie Staatsgeschäfte in Saunakabine und Whirlpool zwischen Aufgüssen und auf-steigenden Dämpfen erledigt werden, wobei schon mal ein Tablet mit wichtigen Informationen ins Wasser fallen kann.

 

Eine Superidee ist auch die Tarnung des französischen Agenten. Er tritt als Discjockey bei der lesbischen Hochzeit der Tochter von CEO Witwe Brown auf. Er fordert zum Karaoke auf, da sich keiner meldet, muss er aber selber singen, und zwar den in Saardam offenbar sehr beliebten Schlager „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“, kompositorisch ein paar Stufen besser als Helene Fischer.

 

Überhaupt die Musik. Das Regiekonzept folgt ihr genau, geht nicht über sie hinweg, die Sängerdarsteller lassen sich von ihr tragen und können sich auf Rodrogo Tomillo und sein Hagener Orchester blind verlassen. Der legt in vielen bewegten Stellen eine ordentliche Rasanz vor, Sänger und der sehr bewegungsfreudige Chor müssen sich genau fokussieren, und das gelingt vorzüglich. Auch Sängerinnen und Sänger zeigten sich wieder in Bestform. Markus Jaursch als Gast gab den Bürgermeister von Bett hervorragend, ein Highlight war sein Zusammenspiel mit dem tiefen Fagott in seiner Arie „O sancta iustitia“ im ersten Akt. Kenneth Mattice als Peter Michailow lotete mit tenoral gefärbtem Bariton seine Rolle in sehr differenzierter Weise aus. Als nicht zusammenpassendes Paar Peter Iwanow und Marie van Bett überzeugten Richard von Gemert und Marie-Pierre Roy. CEO und Agenten: Alina Grzeschick, Sebastian Joest, Olaf Haye und Musa Nkun.

 

Viel Spaß, intelligenter Tiefgang, hochaktuell. Unbedingt hingehen!

 

Fritz Gerwinn, 2.2.2020

 

Weitere Vorstellungen: 8.2., 12.2., 21.2., 1.3., 12.3., 20.3., 26.3.,22.4., 2.5.2020