Ein Haydn-Spaß
„Ritter Roland“ von Joseph Haydn in Hagen
Premiere am 3. Februar 2018
Haydn und Oper? Die Sinfonien sind bekannt, und Pianisten haben mit Sicherheit einige seiner Sonaten gespielt. Hat er tatsächlich auch Opern geschrieben? In der Tat, Haydn konnte in seiner Zeit auf dem Schloss des Fürsten Esterhazy auch mit Opern experimentieren. Gespielt werden sie aber selten. Auch sein „Ritter Roland“ hätte kaum eine Chance, würde er konventionell inszeniert. Aber was das Hagener Theater daraus gemacht hat?! Unbedingt sehenswert!
Beim langen Schlussbeifall stand fast das gesamte Publikum. Und als das Regieteam (Dominik Wilgenbus, Inszenierung, Peter Engel, Bühne und Video, Christiane Luz, Kostüme) auf die Bühne kam, wurde der Beifall noch einmal deutlich lauter. Vor allem Regisseur Wilgenbus hatte ganze Arbeit geleistet. Damit bereitete er dem Publikum einen Haydn-Spaß, betonte aber auch den aufklärerischen Impuls des Stückes und brach eine dicke Lanze fürs Theater. Schon der von ihm übersetzte, bearbeitete und aktualisierte Text rief oft großes Vergnügen hervor. Immer wieder machte er deutlich, dass hier Theater gespielt wird, und hob angesichts der verwirrenden Handlung am Schluss hervor, dass auf dem Theater alles möglich ist, es also besser ist, statt an Götter und Geister ans Theater zu glauben.
Alle anderen Mitwirkenden hatten sich offenbar mit riesiger Freude auf sein Konzept eingelassen, das die Oper in sehr vergnüglicher Weise auf die Bühne brachte, dabei aber auch die tiefergehenden ernsten Aspekte nicht vernachlässigte. Bühne, Videos und Kostüme führten die Inszenierungsidee gekonnt weiter. Alle Sängerinnen und Sänger sangen nicht nur, sondern waren auch Darsteller, mit Stimme und Körper. Auch das Orchester unter dem jungen Generalmusikdirektor Joseph Trafton spielte bravourös, genau und dazu sehr sängerfreundlich. Die schnellen Wechsel zwischen ernsten und humoristischen Episoden wurden präzise nachvollzogen, oft passten sich die Sängerinnen und Sänger, witzig und aufgedreht, dem Rhythmus der Musik an. Bemerkenswert: der Mann am Cembalo (im Programmheft leider nicht genannt), der die Rezitative mit äußerster Kreativität begleitete und die Lebendigkeit der Inszenierung dadurch noch einmal erhöhte. Gerade bei den dramatischen Szenen hatte ich manchmal den Eindruck, einer Mozart-Oper zuzuhören. Das war aber wohl nicht korrekt, denn wegen der geringen Aufführungszahlen hat man die dramatische Handschrift Haydns, die sich durchaus an der Mozarts messen kann, noch nicht kennengelernt.
Ein guter Entschluss war es, den gesamten Text in Übertiteln mitlaufen zu lassen. Obwohl alle Solisten sehr verständlich sangen, konnte man sich wegen des hohen Tempos und der vielen Regieeinfälle auf die Musik und das Geschehen auf der Bühne konzentrieren.
Die verwickelte und turbulente Handlung kann hier nur angedeutet werden. Im ersten Akt wurde sie immerhin trotz des großen Personalaufwandes noch nachvollziehbar dargestellt, zerfasert der 2. Akt trotz des letztlich doch durchschlagenden Happyends wegen einiger Unwahrscheinlichkeiten dann doch etwas. Das ist aber überhaupt nicht schlimm, weil Musik und Regieeinfälle die Handlung als weniger wichtig erscheinen lassen und die Schlussidee - im Theater ist alles möglich - vollends überzeugt.
Die Besetzungsliste umfasst nicht weniger als neun Personen, dazu kommen noch einige Statisten. Die titelgebende Figur, Ritter Roland, verfolgt rasend die Frau, die er liebt oder zu lieben meint, gerät dabei immer wieder mit dem Barbarenherrscher Rodomonte aneinander. Eric Laporte und Kenneth Mattice geben diesen beiden Figuren nicht nur sängerisch Kontur, in der Nähe zu Knallchargen, mit grandiosem körperlichen Einsatz. Rasant ihr Zweikampf mit unterschiedlichen Waffengrößen und einem aus dem Bühnenboden springenden Schwert.- Die Frau, die Roland besitzen möchte, ist Angelica, die Königin von Katai, zu dessen Unwillen schon mit Medoro verbunden. Diese beiden Liebenden müssen ständig fliehen, sind oft getrennt und kommen erst am Schluss endgültig zusammen. Diese beiden Personen sind die ernsteren Charaktere der Oper, was auch in diesem Sinne inszeniert wird, haben im zweiten Teil wunderbare Duette und Arien, sind auch sängerisch sehr gefordert. Cristina Piccardi glänzt dabei mit besonders schönen hohen Tönen, Musa Nkuna setzt seinen lyrischen Tenor farbenreich ein. Eine interessante Einzelheit: Nachdem man dem rasenden Roland, der sogar in den Hades hinabsteigen musste, dort die Liebe zu Angelica aus dem Hirn entfernt hat, ist die von ihm vorher so heftig Verfolgte fast erbost, als er sich nicht mal mehr an ihren Namen erinnert.- Die Zauberin Alcina (Kristine Larissa Funkhauser), schon vor Haydn in vielen Barockopern unterwegs, lenkt vieles, bringt aber auch einiges durcheinander. Einmal lässt sie Roland mit den Worten „Ich mach dich klein“ im Bühnenboden versinken. Inkonsequent ist sie, weil sie das Liebespaar, kaum ist es zusammen, weiteren Prüfungen unterwirft, und irgendwann klappt es mit der Zauberei überhaupt nicht mehr.- Charon aus der Unterwelt (Egidijus Urbonas) füllt seine kleine Rolle mit voluminösem Bass aus.- Dann kommen noch die gesellschaftlich niederen Chargen: der Schäfer Licone (Matthew Overmeyer) und die Schäferin Eurilla (Dorothea Brandt), die schon am Anfang der Oper das Landleben satthat und sich endlich einen Mann wünscht. Dies geht auch im zweiten Akt in Erfüllung, nämlich mit dem Knappen Rolands, Pasquale (Giulio Alvise Caselli). Deren Duett zeigt deutlich die einzelnen Schritte der körperlichen Liebe, das, was gesungen wird, wird sofort in die Tat umgesetzt und durch die Musik in allen Einzelheiten haarscharf bestätigt. Ein bravouröses Kabinettstückchen von Haydn! (Ob Erich Kästner das kannte? Er hat ja einen „Nachtgesang eines Kammervirtuosen“ geschrieben: Komm wie ein Cello zwischen meine Knie und lass mich zart in deine Saiten greifen…). Bei allen Solisten verbanden sich Gesang und Darstellung in hervorragender Weise.
Etliche Charaktere haben mich an Personen aus Mozart-Opern erinnert, Angelica an Pamina und, wegen der extrem hohen Töne, an die Königin der Nacht, Medoro an Tamino oder Belmonte, Pasquale an Leporello oder Figaro. Haydn beherrschte also auch die Kunst der musikalischen Charakterisierung in jeder Hinsicht.
Alles ist Theater: dies wurde durchgehend klargemacht. Ein Baum wird durch Statisten mit Schildern dargestellt. Und welchen Theatertrick hat man wohl angewandt, wenn die Büroräume der Unterwelt als schiefe Ebene erscheinen, die beiden Personen darauf sich aber wie auf ebener Fläche bewegen? Am Ende haben sich die Paare jedenfalls gefunden und alle gehen gemeinsam essen, weil es ja „schon nach zehn“ ist. Genial ist aber schon die Pantomime während der Ouverture: Kind-Ritter kämpft mehrfach gegen nicht ganz toten Drachen, ersticht dann irrtümlich die Kind-Prinzessin und entfernt sich mit dem Drachen.
Danach geht´s erst richtig los.
Diese Inszenierung sollte man sich nicht entgehen lassen.
Fritz Gerwinn, 4.2.2018
Weitere Aufführungen: 8.2., 14.2., 23.