Essen

Grillo Theater

 

ANTIGONE
von Sophokles

 

Premiere am 29.03.2008

 

Nach der sehr erfolgreichen „Woyzeck" Inszenierung wartete nun mit „Antigone" eine neue Herausforderung auf Regisseur David Bösch. Antigone ist vermutlich im Jahr 442 (v.Ch.) zum ersten Mal in Athen aufgeführt worden und seitdem in zahlreichen Inszenierungen auf der Bühne zu sehen gewesen. Dabei wurden interschiedliche Akzente gesetzt, politisch motivierte Aufführungen waren ebenso zu sehen, wie Inszenierungen, die den Geschlechterkampf in den Mittelpunkt stellten.

Wie nähert sich Bösch nun der antiken Tragödie? Bei ihm heißt es zunächst Verzicht auf ein opulent ausgestattetes Bühnenbild, stattdessen der Einsatz einer Videoinstallation. Nicht nur die Kindergesichter von Eteokles, Polineykes, Ismene und Antigone werden auf die Leinwand projiziert, sondern auch einstige Idole, wie beispielsweise Janice Joplin oder James Dean. Dröhnende Rockmusik tönt in den Zuschauerraum. Auf der rot ausgelegten Bühne räsoniert Kreon über Theben und Antigone brüllt ihm unter den Zuschauern sitzend Propaganda, Propaganda entgegen.

Was ist geschehen? Eteokles und Polineykes, beide Brüder der Antigone regieren in Theben und geraten in Streit. Sie erschlagen sich gegenseitig mit dem Schwert. Kreon, Antigones Onkel und Schwager des Ödipus übernimmt daraufhin die Herrschaft in Theben. Antigone will Polineykes begraben, doch Kreon verbietet es kategorisch. Sie akzeptiert sein Verbot nicht und übertritt damit das Gesetz. Kreon lässt sie ins Verlies werfen. Durch Sigmund Freud wurde die Ödipus Sage berühmt. Sie stellt genau betrachtet aber nur einen Ausschnitt aus einem größeren mythologischen Erzählzusammenhang über das Geschlecht der Labdakiden, dessen Stammvater Lapdakos war, dar. Mehrfach brüstet sich Antigone: „Ich bin Antigone, aus dem Geschlecht der Lapdakiden." Das Duo Lukas Graser und Nikola Mastroberadino, beide Mitglieder des Ensembles am Essener Grillo Theater, übernehmen gleich mehrere Rollen in der Tragödie und sind darin fulminant. Sie fungieren als Erzähler, klären das Publikum über die Oedipus Geschichte auf und übernehmen den Part der (toten) Brüder Eteokles und Polineykes. Sprachlich brillant und In eindrucksvollen Dialogen wird die Handlung vorangetrieben und die Konflikte der Protagonisten vorgeführt. Kreon und Antigone schenken sich nichts. Zwar versucht Kreon zunächst mäßigend auf Antigone einzuwirken, verpasst ihr dann aber doch eine Ohrfeige als sie respektlos los schreit und ihn mehrfach anspuckt. Holger Kunkel als Kreon läuft hier zur Höchstform auf und ist rhetorisch und mimisch ein absolut ebenbürtiger Kontrahent für Sarah Viktoria Frick (Antigone).

 

Böschs Antigone ist nicht so sehr als Heldin konzipiert, eher vermag man eine Rebellin in ihr sehen. Sie wendet sich mit ihrem Handeln gegen den Staat und verstößt gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Die Regie lässt sie ein Pappschild mit den Worten „Politisch Gefangene seit 2 Tagen" präsentieren.Erinnerungen an die Schleyer Entführung und die Periode der RAF Bedrohung stehen ganz plötzlich wieder im Raum.

 

Sarah Viktoria Frick ist eine unglaublich wandlungsfähige Antigone. Kindlich trotzig und mit einer ungeheuren Bühnenpräsenz opponiert sie in den verschiedensten Posen gegen ihren Widersacher Kreon. Die mahnenden Worten von Schwester Ismene schlägt sie in den Wind. Dramaturgisch geschickt stattet Bösch die Schwestern mit ganz unterschiedlichen Charaktereigenschaften aus. Auch in der Figur des Kreon legt er neue Maßstäbe an. Kreon entspricht sogar nicht dem Bild eines Tyrannen, Aussehen und Gestik erinnern eher an einen linientreuen Parteifunktionär. Sein Pferdeschwanz, ein Relikt aus der Vergangenheit soll wohl die Wandlung seines Charakters vortäuschen. Schließlich war auch er einmal jung und modern. Kreons Geisteshaltung offenbart sich in der Auseinandersetzung mit Haimon (Martin Vischer), seinem Sohn. Kompromisslos beharrt er auf seinem Standpunkt, selbst um den Preis, den eigenen Sohn dadurch zu verlieren. Bösch Inszenierung thematisiert aktuelle Konflikte in der Gesellschaft Mit Kinderzeichnungen und spielerischen Einlagen spricht er auf das Drama des Erwachsenenwerdens an und weist auf den Konflikt zwischen den Generationen hin. Antigone, wie auch Kreon, glauben das Recht auf ihrer Seite zu haben. Ignorant sind beide, denn einer wie der andere verschließt sich einer Überprüfung ihrer starren Positionen. Sie erkennen nicht, dass das Leben als ein fortschreitender Prozess zu begreifen ist, bei dem nichts bleibt, wie es ist, sondern notwendigerweise die Weichen für das Miteinander immer wieder neu gestellt werden müssen.
Zum Schluss betrauert Kreon seinen Sohn. Von Polinykes und Etokles in die Mitte genommen tanzen die drei den Sirtaki. Der „große Grieche" ist auf einmal ganz klein und einsam geworden.
Auch für Antigone ist das Glück unbeschwerter Kindertage endgültig dahin. Die Zukunft sieht düster aus,
denn ihr Leben hängt an einem seidenen Faden. Ismene (Barbara Hirt) hat es ihr orakelt.
Irgendwann einmal wird man von ihrer Story hören , vielleicht sogar einen Film daraus machen.
Die Regie führt dann aber ein anderer (Bernd Eichinger , Guido Knopp) und nicht mehr David Bösch.


Viel Beifall für das gesamte Ensemble. Auffallend viele junge Leute verfolgten mit großem Interesse und Begeisterung das Geschehen auf der Bühne.

 (Ursula Harms-Krupp)