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Oper

 Aalto Musiktheater Essen

 

Le Prophète

Oper in fünf Akten von Giacomo Meyerbeer

Libretto von Eugène Scribe

Musikalische Leitung: Giuliano Carella

Inszenierung: Vincent Boussard

 

Premiere: 09.04.2017

 

Vergessen und wieder entdeckt

 

Im 19. Jahrhundert zählte Meyerbeer zu den beliebtesten Opernkomponisten. Die Gattung der Grand Opèra mit Virtuosen Arien, ausladenden Chor- und Ensemble Szenen, sowie einer opulenten Ausstattung der Bühne, begeisterte ähnlich, wie heute die Blockbuster großer Kinos. Doch im Laufe der Zeit standen seine Musikdramen immer seltener auf dem Spielplan. Auch das Aalto-Theater zeigte bislang kein Interesse. Erstmals in dieser Saison ist die Grand Opera "Le Prophet" in Essen zu erleben. Am Sonntag feierte sie Premiere.

 

Die Uraufführung des "Propheten" fand im April 1849, ein Jahr nach Ausbruch der in die Geschichte eingegangenen "Juni Revolution", in Paris statt. Mit zahlreichen Unterbrechungen hatte Meyerbeer fast 13 Jahre an dem Werk gearbeitet. Historische Vorlage für die Komposition bildet die Einnahme von Münster durch die Wiedertäufer Bewegung im Jahr 1536/37. Der holländische Schneidergeselle "Jan van Leyden" ist der Titelheld. Meyerbeers Kooperation mit Eugène Scribe, seinem Librettisten, hatte sich, wie bereits bei den Hugenotten, als äußerst erfolgreich erwiesen. Den Stoff für das Libretto entnahm Scribe den Schriften Voltaires und Carl Heinz van der Veldes, einem schlesischen Dichter. Beide kannten das radikal-reformatorische Gedankengut der "Wiedertäufer".Die 1848er Revolution beeinflusste die Entstehungseschichte "des Propheten", denn plötzlich erwies sich das Libretto als hochaktuell. Der Komponist wollte eine politische Aussage vermeiden, da er bereits während seiner Arbeit zu den »Hugenotten« mit der Zensur unliebsame Bekanntschaft gemacht hatte. Meyerbeer sah sich veranlasst, die Mutter-Figur (Fidès) aufzuwerten, um ein starkes Gegengewicht zu den revolutionären Ideen der Wiedertäufer zu schaffen. Als Besitzerin einer Schenke, im bürgerlichen Milieu verankert, ist Fidès bodenständig und kennt keine Existenzsorgen.


 Inhalt

"Jan van Leyden" in der Inszenierung "Jean de Leyde", Gastwirtsohn, steht kurz vor der Hochzeit mit Berthe, seiner Verlobten. Nur die Einwilligung des Grafen von Oberthal muss noch eingeholt werden. Als dieser die Heirat verhindert, schließt sich Jean zunächst nur widerwillig den Wiedertäufern an. Empfänglich für deren Ideologie lässt er sich zum Propheten ausrufen und wird zum fanatischen Anführer der Bewegung. Er zieht nach Münster und übt dort eine blutige Schreckensherrschaft aus. Von Fidès, seiner Mutter, sagt er sich los. Mehr noch, er verleugnet sie und bezeichnet sich als Sohn Gottes. Eine Tragödie bahnt sich an.
 
InszenierungRegisseur Vincent Boussard erzählt eine zeitlose Geschichte, in der die private Tragödie eines Mutter-Sohn-Konfliktes im Fokus steht. Politische und religiöse Komponenten spielen immer weniger eine Rolle und treten im Laufe der Handlung in den Hintergrund. Fidès wird zur Hauptfigur des Dramas. Selbst Jeans Beziehung zu Berthe, seiner Verlobten, spielt keine Rolle mehr.

Das Bühnenbild von Vincent Lemaire besteht aus hohen grauen Wänden. Durch Spiegelungen und Lichteinspiegelungen entstehen interessante Muster, die die Kargheit brechen. Im vierten Akt rieseln permanent Regentropfen hinab. Die routierende Drehbühne ist oft in Bewegung, teilt Räume (was nicht unbedingt günstig ist, da sie den Chören wenig Spielraum lässt) und sorgt für den Bildwechsel in der viereinhalbstündigen Inszenierung.

Zu sehen gibt es viel und zu hören: »Großartiges«. Musikalisch ist der Abend ein absoluter Genuss. Sänger, Musiker und der fantastische Aalto-Opernchor mit Kinderchor (Einstudierung: Jens Bingert, Patrick Jaskolka) werden am Schluss der Aufführung mit Applaus überschüttet.

 

 Zu Beginn der Handlung hält sich Jean in seinem Zimmer auf. Mit sportlichem Blouson, Spaß an Musik und am Fußball unterscheidet er sich nicht von anderen jungen Männern seines Alters. Sein Leben scheint in Ordnung zu sein. Aufgestapelte Bierkästen (auf Werbung für eine Essener Getränkefirma kann verzichtet werden) symbolisieren die Schänke der Mutter. Hier trifft Jean auf die drei Wiedertäufer: Jonas, Mathisen und Zachary. Ihre unheimliche Kostümierung (Kostüme: Vincent Boussard, Elisabeth de Sauverzac) erinnert ans finstere Mittelalter, eine bestimmte Religionsgemeinschaft ist nicht identifizierbar.. Fidès konservative Haltung offenbaren: dunkles Kleid, altmodische Frisur und braune Handtasche. Selbst als Bettlerin, herumirrend in den Straßen von Münster, hat sie die Tasche noch dabei. Warum Graf Oberthal dauerhaft von zwei Balletttänzerinnen in Tutu begleitet wird, kann nur vermutet werden. Ein Tresor, indem sich geplünderte Wertgegenstände der Wiedertäufer befinden, wird zum leuchtenden Altar. Jean legitimiert damit seine angebliche Göttlichkeit. Nicht fehlen in der Inszenierung dürfen das berühmte Schlittschuh-Ballett im dritten Akt ("Le Patineur"). Mit dem Ursprungstanz hat es allerdings sehr wenig zu tun. Ausserdem der Sonnenuntergang und das Kreuz als christliches Symbol.

 

Für Vincent Boussard ist der "Prophet" ein "Work in Progress". Der Regisseur beruft sich auf Meyerbeer, der bis kurz vor der Uraufführung Kürzungen und Striche in der Partitur vornahm. "Das Kunstwerk" kann auf ganz unterschiedliche Art interpretiert werden, lautet Bossards These. Um den Geschmack des Postmodernen Publikums zu treffen, sind Anpassungen notwendig. Jean ist als labiler junger Mann charakterisiert, der sich den Anordnungen und dem Wertekanon der Mutter zunächst widerspruchslos fügt und nur sein ganz persönliches Glück mit Berthe sucht. Dann aber durch widrige Umstände einen radikalen Schnitt vollzieht und der Verführung durch die Wiedertäufer erliegt, ihre fanatischen Ideen übernimmt und zu seinen eigenen macht.

Bezüge zu aktuellen Ereignissen deutet die Inszenierung zwar an, doch vertieft werden sie nicht. Boussard siedelt die Geschichte in der christlichen Symbolwelt an. Allerdings bleibt nicht verborgen, welche Religion gemeint ist, wenn die Protagonisten am Schluss den Tod durch Sprengstoff finden. Nur: Es wird nicht ausgesprochen!

 

Berthe (Lynette Tapia) beeindruckt als Jeans Verlobte mit zarter Ausstrahlung und kristallklaren Koloraturen. Marianne Cornetti in der anspruchsvollen Rolle der Fides leistet Unglaubliches. Sie verkörpert nicht nur authentisch die leidgeprüfte Mutter, sie besitzt auch die Kraft über Stunden raumgreifend ihren Mezzo erglühen zu lassen. Die Rolle des Jean de Leyde ist dem Amerikaner John Osborn auf den Leib geschnitten. Er verfügt über einen wohl timbrierten Tenor, der selbst in extremen Höhen kraftvoll zu überzeugen weiss. Albrecht Kludszuweit, Pierre Doyen und Tijl Faveyts beeindrucken als entschlossene Wiedertäufer.

Giuliano Carella führt die Essener Philharmoniker sicher durch die schwierige Partitur und lässt die kunstvolle Musik Meyerbeers mit größter Präzision erklingen.

 

Fazit

Das musikalisch hochwertige Musikdrama sollte nicht versäumt werden.

 

(Ursula Harms-Krupp)

 

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