Foto: Jens Grossmann
Foto: Jens Grossmann

Barockkrimi

Monteverdis „Krönung der Poppea“ im Wuppertaler Opernhaus
Premiere am 30.4.2023

Der lange und laute Beifall wurde vom scheidenden Intendanten Berthold Schneider unterbrochen. Anschließend wurde aber noch kräftig weitergeklatscht. Er bedankte sich bei Immo Karaman, dem Regisseur und Bühnenbildner des Abends, und dessen Partner Fabian Posca, verantwortlich für Kostüme und Choreographie. Beide hatten in seiner Intendanz mehrere Stücke auf die Wuppertaler Bühne gebracht, immer mit großem Erfolg. Händels „Giulio Cesare“ musste aber wegen der Wupperflut ausfallen, das Bühnenbild wollte man aber aus Gründen der Nachhaltigkeit auf jeden Fall noch verwenden. Deshalb suchte man ein Stück dafür und fand Monteverdis „L´incoronazione di Poppea“. Und das passte haarscharf!
Das Bühnenbild bleibt immer grau, ebenso wie alle Requisiten, sogar Trauben und Weingläser. Es besteht aus etwa 20 Prospekten, die heruntergelassen und wieder hochgezogen werden. In dem am weitesten entfernten ist ein großes kreisrundes Loch, so als wäre eine Rakete dadurch gegangen. Dies erscheint am Ende des ersten Teils, wenn der Philosoph Seneca den von Nerone befohlenen Selbstmord begeht. Am Schluss werden dann alle Prospekte nacheinander hochgezogen, das Prospekt mit dem zersplieserten Loch erscheint wieder und alle Beteiligten, auch Nerone und Poppea, kriechen darauf zu. Die Welt scheint aus den Fugen.

Schon am Anfang haben sich alle Beteiligten auf der Bühne versammelt, die meisten verlassen sie wieder, um den Solisten des Prologs, Schicksal, Tugend und Liebe, Raum zu geben. Amor lässt den beiden anderen keine Chance, erscheint aber in zweifelhaftem Licht, befiehlt er doch Seneca, sich umzubringen, und rettet die „böse“ Poppea, als sie umgebracht werden soll.

Die Oper entwickelt sich dann wie eine Fernsehserie. Die Szenen folgen bruchlos aufeinander, der Wechsel des Ortes wird höchstens durch wenige Requisiten angedeutet, die Motivationen der einzelnen Personen werden aber ausführlich verdeutlicht: die blinde und rücksichtslose Liebe Nerones zu Poppea und seine Überzeugung, als Kaiser auch über den Gesetzen zu stehen; Ehrgeiz und gezielt Taktik Poppeas, um ihr Ziel, Kaiserin zu werden, zu erreichen; die Enttäuschung und Ratlosigkeit Ottavias, der abgelegten Ehefrau; Aufforderung an sie, alles in Würde zu ertragen, von Seneca, dessen Philosophie aber einmal als nutzlos angegriffen wird. Höhe- und Schlusspunkt des ersten Teils ist die nach einem Streit von Nerone befohlene Selbsttötung seines früheren Erziehers Seneca, von Poppea eingefordert

Im zweiten Teil verdichtet sich die Handlung und wird viel aktionsreicher, was an vielen Stellen zu Atemlosigkeit im Publikum führt. Neben der Steigerung der „action“ wird in musikalischer Hinsicht auch die Rolle von Arien deutlicher als im 1. Teil, in dem vor allem Dialoge in rezitativischer Form dominieren. Schon am Anfang läuft die Party, die eigentlich Senecas Tod feiern sollte, vollkommen aus dem Ruder, schließlich erschießt sich sogar einer der Bewacher. Aber auch das bringt Nerone nicht zur Vernunft. Dieser ist übrigens als ekelhafter Fiesling dargestellt. Unwahrscheinlich, dass man sich in so einen verlieben kann, wenn man nicht andere Ziele hat. Also hilft nur ein Mordkomplott: Nerones verstoßene Gattin Ottavia bringt im Fitnessstudio (!) Poppeas abgelegten Mann Ottone dazu, diese zu ermorden. Dieser Plan misslingt aber, und Poppea kann Kaiserin werden. Die beiden eigentlich sehr bösen Menschen Nerone und Poppea singen dann zum Schluss eines der schönsten Duette der Opernliteratur. Das kann man dann nur doppelbödig interpretieren.

Das tut die Regie auch, lässt sich auch sonst noch Bemerkenswertes einfallen. Jedenfalls gelingt es immer die Spannung zu halten, trotz der Länge des Stückes von über drei Stunden. Und immer wieder wird deutlich, dass diese Geschichte nicht zeitlich weit entfernt im antiken Rom spielt, sondern heute noch genauso passieren kann. Bei aller Tragik werden die humoristischen Elemente hervorgehoben, Schwerpunkt liegt oft bei komödiantischer Übertreibung. So wirken z.B. die erotischen Verführungskünste Poppeas mit rollenden Hüften und lustvollem Aalen auf dem Liebeslager überdreht. Und wenn Ottavia Ottone auffordert, Poppea zu ermorden, ist das ein veritabler Lacherfolg. Denn das findet in einem Aerobicstudio der 80er Jahre statt. Ottavia trägt eine Frisur wie weiland Jane Fonda und dazu ein knappes goldenes Glitzerhöschen. Auch die beiden Ammen lockern die Geschichte auf. In guter Erinnerung bleibt mir die Arie der Nutrice (Banu Schult), die das Leben einer Frau mit einem Jahr vergleicht und lieber reich leben und arm sterben will als umgekehrt. Drusilla, die abgelegte und wieder angebaggerte Geliebte Ottones ist Mitglied einer Putzkolonne. Und dann ist fast immer noch eine weitere Person auf der Bühne, eine Tänzerin, die manchmal gar nichts tut, dann aber wieder beobachtet, Stimmungen wiedergibt, sich an unterschiedlichen Positionen aufhält, mal als Grande Dame im Abendkleid mit Beinschlitz, mal in Marlene-Hose: Symbol für die Zeit, die unablässig und unaufhaltsam abläuft. Das erklärt u.a., dass die attraktive Poppea gegen Ende einmal kurz im Rollstuhl auftaucht.

Von Monteverdis Oper, 1642/43 herausgekommen, sind nur zwei Abschriften erhalten, keine Stimmen. Deshalb gibt es mehrere Bearbeitungen bzw. Vervollständigungen dieser Oper. Diesmal wurde die Fassung des niederländischen Komponisten Philippe Boesmans verwendet. Sie verlebendigt die Musik Monteverdis ungemein, auch weil sie neben den üblichen Orchesterinstrumenten auch modernere verwendet, also z.B. einen Synthesizer. Auch bleibt das Instrumentarium während einer Arie oder eines Duetts nicht gleich, wie zur Zeit des Barocks, sondern wechselt häufiger. Auch werden mitunter einzelne wichtige Wörter instrumental hervorgehoben. Länger im Ohr bleibt die Begleitung der Sänger durch Blechbläserakkorde. Es werden aber auch Elemente verwendet, die es zur Barockzeit noch nicht gab. Das Orchester war in besten Händen bei Matthew Toogood, Monteverdi-Spezialist, hat er doch 2017 schon den Monteverdi-Zyklus der Komischen Oper Berlin dirigiert.

Für die über 20 solistischen Rollen hatte man eine bunte Mischung aus Gästen, bewährten Kräften des Hauses und aufstrebenden jungen Sängerinnen und Sängern aufgeboten. Besonders genießen konnte man die Stimme von Catriona Morison (als Fiesling Nerone kaum zu erkennen), die einige Jahre das Wuppertaler Publikum erfreut hat. Poppea wurde von Ralitsa Ralinova brillant dargestellt, den philosophischen Gegenpart sang Sebastian Campione mit schwarzem Bass, beides Ensemblemitglieder. Aus der Gästeschar seien Anna Alàs i Jové als Ottavia und Franco Klisovic als Ottone genannt, aber auch alle anderen sangen und spielten ohne Fehl und Tadel.

Ein großer, ungewöhnlicher, wunderbarer Abend!

Fritz Gerwinn, 2.5.2023

Weitere Termine: 7.5., 12.5., 2.6., 25.6.2023