Essen
UBU
von Alfred Jarry und Simon Stephens
Als Koproduktion von Schauspiel Essen und Toneelgroep Amsterdam
Regie: Sebastian Nübling
Bühne und Kostüme: Muriel Gerstner
Musik: Lars Wittershagen
Gesehen am 17. April 2010
Eine großartige Darstellerriege nimmt uns mit in ein völlig überdrehtes Stück über hemmungslose Gewalt und Machtausübung. Blut/Farbe kommt reichlich zum Einsatz. Die Sprache als Mixtur aus Deutsch, Niederländisch, „Ubuisch" lässt, auch wenn man nicht alles versteht, keinen Zweifel am Geschehen. In Szenen von mitreißender Komik bleibt uns trotzdem das Lachen im Halse stecken.
„Ubuesque" ist eine auch heute noch gebräuchliche Vokabel der französischen Sprache mit der Bedeutung von „grotesk". In dieser Vokabel lebt der geistige Vater von Ubu weiter. Und dies ist auch
das, was der 23-jährige Autor 1896 bei der Uraufführung seiner ‚Dramatischen Komödie‘ seinem Publikum vorsetzte: Ubu ist gemein, hinterhältig, grausam und habsüchtig. Er - und Ma Ubu nicht minder
- lassen keine Obszönität aus. Er benutzt in schamloser Weise Menschen zu seinen Gunsten und weiß auch, wo man dafür den Hebel ansetzen muss: Gier und Machthunger. Der Putsch gelingt und führt
gradewegs zu einem Terrorregime, unter dem keinerlei zivilisatorische Werte erkennbar sind. Das Stück wurde durch die hemmungslos übertriebene satirische, auch vulgäre Darstellung zum Vorläufer
des Surrealismus und teilte das Publikum in das Lager derer, die in der Darstellung das Abgründige sahen und in diejenigen, die voller Entrüstung das Theater verließen. Auch 114 Jahre nach seiner
Uraufführung erleben wir, dass Zuschauer das Theater verlassen. Diejenigen, die bleiben, verfolgen das bizarre Geschehen mit dem Wissen, was uns das 20. Jahrhundert gebracht hat und einer
Vorstellung, was uns die Zukunft vielleicht noch bringen wird.
Simon Stephens, geb. 1971 in Stockport/England, ist einer der meistgespielten ausländischen Autoren der Gegenwart an deutschsprachigen Theatern. Ihn interessiert die Frage der Gerechtigkeit und der Blick zurück: er stellt Ubu vor das Sondertribunal der Vereinten Nationen in Den Haag. Hier erleben wir einen unsicheren Ubu, der nicht wirklich weiß, wessen man ihn anklagt. Wir verfolgen die detaillierte Anklage und die Gerissenheit der Verteidiger, die jeden Punkt mit Zynismus zerpflücken und können am Ende nicht sicher sein, dass sich das Geschehen nicht wiederholt. Ein kluge Überlegung - ein kluge Darstellung.
Viel Stoff für's Nachdenken: "sind die Menschen wirklich so"?
Es gibt viel Beifall für die hervorragenden Darsteller, einige scheinbar ratlose Zuschauer, verlassen rasch das Theater.
(GBW)