Oper für alle


Community-Oper „Das Labyrinth“ von Jonathan Dove in Wuppertal


Premiere am 5.7.2019

 

Die Premiere mitgerechnet nur vier Aufführungen, alle restlos ausverkauft. Warum nicht mehr? Das Rätsel löst sich, wenn man erklärt, was eine Community-Oper ausmacht. In Freiburg, wo das auch schon gemacht wurde, nannte man das „Schnittstelle zwischen zeitgemäßer Musikvermittlung und Kunst“, hieß also Oper mit, von und für Laien mit dem Ziele der kulturellen Teilhabe von möglichst vielen. Die einstündige Oper „Das Labyrinth“ von Jonathan Dove, 2015 in Aix-en-Provence uraufgeführt und schon von einigen Theatern übernommen, ist so komponiert, dass sie Laien die Möglichkeit bietet, als Sänger oder Instrumentalist eine Opernaufführung mitzugestalten, dies alles aber auf hohem kompositorischem und musikalischem Niveau. Diese Oper erfordert zuerst einmal jede Menge Sängerinnen und Sänger für verschiedene Chorgruppen. In Wuppertal waren das mehr als 270. Dafür wurde der „Projektchor Labyrinth“ gegründet, dazu kamen die Wuppertaler Kurrenden, Chöre von zwei Gymnasien und mehrere Kinder- und Jugendchöre. Neben Mitgliedern des Wuppertaler Sinfonieorchesters saßen Mitglieder des Jugendsinfonieorchesters der Bergischen Musikschule und auch etliche Laienmusiker, die sich dem Projekt angeschlossen hatten. Insgesamt waren es wohl ungefähr 400 Menschen, die auf der Bühne und im Orchestergraben agierten. Das erklärt, warum es nur vier Aufführungen gab, und das noch innerhalb von fünf Tagen. Diese Menschenmengen noch für weitere Termine zusammen zu bekommen, war wohl ein Ding der Unmöglichkeit.

Dazu kommt auch, dass eine Oper mit Laien kein Kurzzeitprojekt sein kann. Im Gegensatz zu den „normalen“ Produktionen, bei denen die Probenzeit selten zwei Monate überschreitet, fiel der Startschuss zum „Labyrinth“ bereits vor anderthalb Jahren und wird wohl das Leben des Initiators, Chorleiters und Dirigenten Markus Baisch in dieser Zeit wesentlich bestimmt haben. Welche bewundernswerte Energie muss er aufgebracht haben, die anspruchsvollen Partien mit Sängern und Instrumentalisten über so lange Zeit einzuproben, dabei bei Schwierigkeiten nie den Mut zu verlieren und noch die Kraft zu haben, in den letzten beiden Wochen vor den Aufführungen fast jeden Tag eine lange Probe zu stemmen und alle Beteiligten zusammenzubringen. Das war toll, entsprechend wurde Markus Baisch nicht nur für sein hervorragendes Dirigat, sondern auch für seinen gesamten Einsatz gefeiert.

Ein weiterer Effekt einer Community-Oper ist auch, dass die Mitwirkenden Eltern, Verwandte und Bekannte mit ins Opernhaus bringen, von denen viele noch nie dort waren. Zwar fremdelten einige im ersten Teil noch mit der Situation, indem sie sich ungeniert unterhielten oder von ihren Smartphones nicht lassen konnten, für viele wird dieser Opernbesuch aber auch eine Entdeckung gewesen sein und Vorurteile abgebaut haben, etwa dass Oper abgehoben sei und aktuelle Probleme nicht vorkämen.

 

Erzählt wird die Geschichte von Theseus, dem griechischen Helden, und dem kretischen Mischwesen Minotaurus. Theseus schließt sich den vierzehn athenischen Jugendlichen, die dem Minotaurus zum Fraß vorgeworfen werden sollen, an, um diesen zu töten und sie so zu retten. Dies gelingt, wobei Theseus von Dädalus, dem Erbauer des Labyrinths, zum Minotaurus geführt wird, und so können alle heil nach Athen zurücksegeln. Die Sage wurde stark gestrafft: weder ist von Ariadne (die mit dem Faden!) die Rede, noch von den schwarzen Segeln, die Theseus´ Vater den Tod bringen. Stattdessen wurde eine längere Episode eingefügt, in der Theseus` Mutter ihren Sohn davon abbringen will, mit den todgeweihten Jugendlichen zum Minotaurus nach Kreta zu segeln. Das entspricht auch nicht der griechischen Mythologie, behandelt eher den ewig vorhandenen Konflikt zwischen Mutter und Sohn: soll er bei ihr bleiben oder in die gefahrvolle Welt hinausziehen?

 

In Wuppertal wurde die Regie von Marie-Ève Signeyrole aus Aix übernommen, die als junge Mutter aber selbst nicht kommen konnte, sondern drei ihrer Assistenten schickte, die für die angemessene Umsetzung sorgten. Einerseits geschah das mit relativ einfachen Mitteln, andererseits mussten auch etliche Menschmassen bewegt werden. Wirkungsvoll waren auffallende Farbkontraste, das schwarze Kleid der Mutter hob sich sehr von den roten Umhängen der Athener ab, schwarz-rot waren auch die T-Shirts der ausgewählten Jugendlichen. Die Massenszenen waren eindrücklich choreographiert. So wurde die aufgepeitschte Stimmung der Athener am Anfang ebenso wie die Brutalität beim Heraussuchen der zu opfernden Kinder sehr deutlich. Auch der Hass- und Verachtungschor der Kreter bei ihrer Ankunft verfehlte seine Wirkung nicht. Das Labyrinth wurde von vielen Körpern gebildet, deren Struktur erst durch die Spiegelung auf der hinteren Leinwand erkennbar wurde. Beeindruckend dabei auch die Darstellung des dunklen und stinkenden Raums durch den Chor. Nach dem Sieg über den Minotaurus erschienen die Chormitglieder sogar zu beiden Seiten des Parketts. Der Minotaurus hauste im Tiefparterre, deshalb steigt Theseus nach dem Kampf blutverschmiert aus dem Orchestergraben. Der eigentliche Kampf wird mit einem Origamistier auf der Videoleinwand dargestellt, wie vieles andere auch: Am Anfang Details des Geschehens, gefilmt vom anwesenden Reporter, Wasser bei der Überfahrt, Flüchtlinge, optimistisch gestimmt, auf dem Meer, gegen Ende Porträts der Geretteten und aller Mitwirkenden.

 

Die Musik von Jonathan Dove verwendet Mittel verschiedenster Art, um die Handlungselemente noch mehr zu verstärken. Auffällig ist der mehrfache Einsatz der Röhrenglocken, Grundlage vieler Chöre sind durchgängige rhythmische Figuren des viel beschäftigten Schlagzeugs und Ostinati. Gesungen werden oft rufartige, sich wiederholende oder steigernde Motive in erweiterter Tonalität, dazu kommen Entlehnungen aus der Minimal Music. Es gibt aber auch komplexere Gebilde, z.B. beim Duett Theseus/Mutter, bei dem auch der Chorentscheidend beteiligt ist. Der Minotaurus selbst wird durch Tuba und tiefes Blech dargestellt, was an den Drachen in Wagners Ring erinnert. Alles in allem eine packende, aufwühlende Komposition.

Es war schon bewundernswert, mit welchem Engagement und in den Proben erworbenem Können alle Mitwirkenden dies bewältigten, nicht nur die Chöre und Instrumentalisten, sondern auch die mitspielenden Profis: neben dem Schauspieler Gregor Henze als bösartiger Minos die Solisten Sebastian Campione als Dädalus, Martin Koch als Theseus und Belinda Williams als seine junge Mutter. Besonders packend und intensiv fand ich das Spiel der Jugendlichen, die die ausgewählten Opfer darstellten.

 

Ein großes Erlebnis, langer, intensiver Beifall, viel Freude darüber bei den Mitwirkenden. Für den einen oder die andere vielleicht ein Anlass, sich dem Theater weiter zu nähern. Schade, dass die vier Aufführungen schon vorbei sind, aber bei der Menge der Mitwirkenden wohl nicht zu ändern.

 

Fritz Gerwinn