Wuppertal

 

Proserpina

Ein Monodrama nach Johann Wolfgang Goethe

Von Wolfgang Rihm

 

Musikalische Leitung: Florian Frannek

Inszenierung: Hans NeuenfelsPremiere: 11. April 2010

 

Die Uraufführung der Proserpina 2009 in Schwetzingen erregte beachtliches Aufsehen. Die Zeitung „Opernwelt" kürte das Werk zur interessantesten Aufführung des Jahres 2009. Wolfgang Rihm hat die Musik für den mythologischen Stoff komponiert, Hans Neuenfels inszenierte das Werk. Proserpina ist „jetzt" in Wuppertal angekommen. Das Monodrama feierte Premiere mit Elena Fink, einer Sängerin, die die Titelpartie bravourös meisterte.

 

Das Libretto greift zurück auf Goethes gleichnamiges Monodrama aus dem Jahr 1776. Im Drama geht es um den griechischen Mythos von Persephone, der von Hades geraubten, gegen ihren Willen in die Unterwelt gebrachten Frau. Persephone ist die Tochter Zeus und der Demeter, der Göttin des Getreides. Nach der Entführung Persephones durch Hades, den Herrscher der Unterwelt, sucht Demeter verzweifelt ihre Tochter. Sie bekommt sie schließlich zurück, allerdings nur für acht Monate im Jahr, die restliche Zeit muss Persephone in der Unterwelt verbringen. So sieht es der Kompromiss vor, den Demeter und Hades geschlossen haben. Nach der Mythologie ist es Sommer auf der Erde, wenn Persephone bei ihrer Mutter weilt,  kehrt sie zurück in die Unterwelt, ist es Winter, denn Demeter trauert um ihre Tochter.  Als Persephone in der Unterwelt in einen Granatapfel beißt, ist ihr Schicksal besiegelt. Sie wird für immer ins Totenreich verbannt.

 

Hans Neuenfels Inszenierung beginnt mit der Ankunft Proserpinas  (lat.) in der Unterwelt. Die Unterwelt wird auf der Bühne als ein kühler, ästhetischer Raum, der zeitlos wirkt, dargestellt. Düstere Gestalten, die Angst und Schrecken einjagen, sucht man bei Neuenfels vergebens. Die Parzen und Pluto, der Gott des Todes, der sich in Proserpina verliebt hat, werden als verführerische junge Männer präsentiert. Doch soll man sich nicht täuschen lassen. Die Bühne als nüchterner, steril wirkender Raum wird schnell zu einer  Stätte  existentieller Bedrohung, als dort ein gynäkologischer Stuhl aufgestellt wird, der an einen Folterstuhl erinnert. Hier kommt nun auch die Sexualität ins Spiel, die in der Inszenierung Neuenfels und seiner Deutung des Mythos eine gravierende Rolle spielt. Proserpinas Degradierung zur Sexsklavin wird demonstriert, als die Parzen ihr Spiel mit ihr treiben und sie von ihnen auf dem Stuhl gefesselt wird.  Die drei Parzen, die als szenische Gegenspieler in der Inszenierung fungieren, sind Objekte der eigenen Gedankenwelt Proserpinas, denn alles was passiert, vollzieht sich in ihrem  Inneren und in der Musik.

 

Während Goethe die Figur der Proserpina eher als schwache Persönlichkeit entwickelt  hat, ordnet Rihm ihr starke Charaktereigenschaften zu. Seine Protagonistin wehrt sich mit aller Kraft gegen ihr Schicksal. Ihre inneren Gedanken und Reflexionen werden durch ihre Stimme, ihre vehemente Klage, ihre Frage nach dem „Warum, warum gerade Ich," und durch die Musik, den Frauenchor und die Gestalten aus der Unterwelt artikuliert. In dem Monodrama  ist es nur Proserpina , der man eine Stimme verliehen hat, alle anderen Beteiligten, ausgenommen der Chor, bleiben stumm.

 

Die Musik unterstreicht mit einem differenziert ausgewählten Instrumentalensemble die psychologische Charakterstudie der Proserpina. Um alle Instrumente exakt heraushören zu können, bedarf es größter Konzentration seitens des Publikums. Denn die eigene Wahrnehmung wird vom Geschehen auf der Bühne und den Erklärungen durch das Laufband stark beansprucht.

 

Die tiefe Symbolwelt, die in dem Stück angesprochen wird, erfährt mit dem Biss in den Granatapfel einen absoluten Höhepunkt. Fraglos wird der Biss in den Apfel sowohl vom Komponisten, als auch von Neuenfels als sexuelle Metapher aufgefasst. Mit dem Apfelbiss entdeckt Proserpina ihre Sexualität.

 

Geistesgeschichtlich werden mit dem Apfelbiss Erinnerungen an Adam und Eva geweckt. Dennoch bestehen gravierende Unterschiede, Adam und Eva kannten die Konsequenzen ihrer Handlung, wussten um ihre Schuld. Proserpina kennt keine Schuld und keine Moral. Schuld und Sühne als Begriffe existieren nicht für sie.

 

Neuenfels prangert mit seiner Inszenierung gesellschaftliche Missstände an. Mit imposanten Bildern führt er Proserpina gleichsam als "Prototyp" aller unterdrückten und geschändeten Frauen seit der Antike vor. Die Protagonistin in Neuenfels Inszenierung ist aber nicht stumm leidend. Ebensowenig wie bei Rihms. Beider Blicke auf Proserpina konstituieren die Heldin als starke, aktive Persönlichkeit. Ihre Rebellion assoziiert den unbändigen Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung.

 

Damit scheint die Inszenierung deutlich machen zu wollen, jeder Mensch gehört nur sich selber und muss sich seiner Verantwortung bewusst werden. Was er aus seinem Leben macht, ist einzig und allein in seine Entscheidung gestellt. Der Protest der Proserpina fordert dazu auf, sich seines Verstandes zu bedienen um der eigenen Freiheit willen. Eine Geisteshaltung, die den  Einsatz der eigenen Vernunft als Lebensmaxime propagiert, scheint das besondere Anliegen der Inszenierung zu sein.

 

Elena Fink singt und spielt die Titelpartie mit einer ungeheuren Ausstrahlung und einer Bühnenpräsenz, die bis zum Schluss nichts von ihrer Faszination einbüßt. Der Frauenchor setzt zuverlässig die dramatische Verschärfung der inneren Konflikte der Proserpina um

 

Viel Beifall für das Orchester unter der Leitung von Florian Frannek und dem gesamten Ensemble. 

(HA-KRU)