Das Land des Lächelns
Theaterhagen 14.11.2015
Schon in der ersten Szene hatte das theaterhagen ganz viel aufgeboten: Rote Uniformen, schwarze Fräcke, weiße Ballkleider. Ballett und Chor tanzen kollektiv Wiener Walzer und beschworen damit die Atmosphäre des scheinbar glänzenden und gemütlichen Österreichs vor dem 1. Weltkrieg. Dass dies sehr schnell ins Autoritäre umschlagen kann, vermittelte das Bühnenbild: acht monumentale Marmorsäulen, beeindruckende Zeichen von Traditionalismus und Herrschaftsarchitektur. Wenn der Vorhang zum zweiten Akt aufgeht und man sich in China befindet, bleiben diese acht Säulen stehen, werden nur von Stoffen verhüllt, Sinnbild dafür, dass auch hier die Individualität der Menschen gebrochen wird durch scheinbar eherne und ewige Gesetze. Dass dies in China fast noch schlimmer ist als in Wien, wird dadurch gezeigt, dass der Jubelchor zu Beginn des 2. Aktes von waffenstarrenden Soldaten dirigiert und kontrolliert wird.
Dieser Hauptaspekt der Hagener Inszenierung wurde auch durch die Wahl der Pause deutlich gemacht. Wien und Peking werden schon vor der Pause gegenübergestellt, aber nicht nur um die Gegensätzlichkeit, sondern vor allem um Ähnlichkeiten und Parallelen beider autoritärer Gesellschaften klarzustellen. Die acht Säulen sind allgegenwärtig, Intimität wird nur zweimal durch eine herabschwebende weiße Gardine beschworen, die einmal aber gar nichts nützt, weil sie durchleuchtet wird und die dahinter stehende Menge doch alles sehen kann.
Die Regie (Roland Hüve) setzt die Akzentuierung des Bühnenbildes (Siegfried E. Mayer) weiter um, folgt der gegebenen Handlung, macht aber sehr früh deutlich, dass die beiden Liebenden keine Chance haben. Dabei gestaltet er die Szenen sehr lebendig, vor allem im ersten Akt. Immer wenn jemand singt, passiert etwas Interessantes oder gar Lustiges auf der Bühne. So behindert z.B. der anfangs noch etwas trottelige Gustl andere ungeschickt mit seinem Säbel, oder eine der den Prinzen Sou-Chong bewundernden Wiener Mädchen fällt bei dessen Apfelblütenlied fast in Ohnmacht. Diese humorvollen Aspekte weichen aber immer mehr der thematisch gebotenen Ernsthaftigkeit, auch die ironisch nach der Pause dargebotenen Klagen der chinesischen Frauen widersprechen dem nicht.
Besonders hervorgehoben wird das gnadenlos diktatorische Regime Chinas vor allem in der Person des Onkel Tchang, der nie ohne bewaffnete Wächter auftritt, die sofort ihre Gewehre auf seine Gesprächspartner richten und sie somit zu Befehlsempfängern machen. Aber auch alle anderen Personen in Peking sind düster uniformiert, tragen Masken und treten nur im Kollektiv auf. Zwar gibt es Gegentendenzen, Sou-Chongs Schwester Mi trägt kurze Kleider und spielt Tennis – Musterbeispiel westlicher Dekadenz -, doch wird Onkel Tschang böse, wenn er das sieht. Und alle halten sich an die alten Regeln. Das zeigt der Regisseur anhand der Hochzeitszeremonie, in der der Prinz nach alter Sitte vier Frauen heiraten muss, und einer Pantomime, in der diese vier Frauen Sou-Chongs erste Ehefrau, Lisa, mit Schlägen aus dem Palast vertreiben. Roland Hüve geht am Ende nicht so weit wie der Regisseur Peter Konwitschny 2007 in Berlin, wo Sou-Chong Lisa und Gustl ermorden lässt. In seiner Inszenierung lässt er sie gehen, verliert aber dabei seine Schwester Mi, die mit Gustl nach Wien geht und damit wie Lisa einen Kulturwechsel wagt.
Mihhail Gerts hatte das Hagener Orchester gut im Griff, schon in der Ouvertüre betonte er die Gegensätze von sattem, vollem Orchesterklang und kammermusikalischen Passagen, auch die Wiener Walzerseligkeit setzte er sicher den chinesisch klingenden Passagen gegenüber. An einigen, eher leisen Passagen wurden aber die Sänger übertönt. Hier könnte noch besser abgestimmt werden.
Die Sängerleistungen waren, wie immer in Hagen, sehr gut. Dies zeigte sich sowohl bei Veronika Haller (Lisa) als auch bei Kejia Xiong (Soe-Chong), der für seine traumhaften Spitzentöne spontanen Szenenbeifall erhielt. Ebenso sicher sangen und spielten Richard van Gemert als Gustl und Maria Klier als Mi mit überschäumendem Temperament. Schade, dass Rainer Zaun als Onkel Tschang nicht singen, sondern nur sprechen durfte, es gehörte aber wohl zu seiner Rolle als Bösewicht. Auch die übrigen Sänger und der Chor zeigten sich in Bestform.
Die Premiere fand einen Tag nach den Anschlägen in Paris statt. Nach dem Schlussbeifall kam der Intendant auf die Bühne und verkündete angesichts der vielen Opfer den Verzicht auf die öffentliche Premierenfeier. Eine angemessene, noble Geste.
Fritz Gerwinn
15.11.2015
Weitere Aufführungen:
25.11., 3.12., 9.12., 18.12., 31.12. (2x) 2015
8.1., 20.1., 7.2., 17.2., 21.2., 26.3., 3.4., 21.5. 2016