Düsseldorf
Schauspielhaus Düsseldorf
„Josef und seine Brüder" nach Thomas Mann
von John von Düffel
Inszenierung: Wolfgang Engel
Thomas Manns Monumentalwerk „Josef und seine Brüder" auf die Bühne zu bringen, stellt eine ziemliche Herausforderung dar. Denn das vierbändige Epos Thomas Manns ist alles andere als eine
leichte Kost. Nach den Buddenbrooks nahm sich John von Düffel, der als Dramaturg am Thalia Theater in Hamburg tätig ist, nun auch dieses umfangreiche Werk vor. Für das Schauspielhaus in
Düsseldorf schrieb er eine Bühnenfassung. Wolfgang Engel inszenierte die Erzählung.
Die Theaterbesucher haben sich an diesem Samstag auf einen langen Abend eingestellt. Bereits der Auftakt ist ungewöhnlich und mutet abenteuerlich an. Labyrinthartige Gange führen zur Bühne.
Vorsichtig setzen die Zuschauer Fuß vor Fuß bis sie zu ihren Plätzen gelangen.
Die Bühne hat die Form eines Quadrates mit Podesten, die sich heben und senken lassen. Nur ein Mast mit einem einzigen Scheinwerfer ist dort aufgestellt, ansonsten ist sie kahl und ohne
schmückendes Beiwerk. Das Publikum kann von vier Tribünen aus auf die Bühne herabblicken. Für die Darsteller gibt es keine Rückzugsmöglichkeiten, jede Handlung, jede Geste wird sichtbar. Nichts
bleibt den Zuschauern verborgen. Mit der Offenheit der Bühne soll die Offenheit der Geschichte und die Schutzlosigkeit des Individuums assoziiert werden. Der Mensch wird in das Leben geworfen und
ist für sich verantwortlich. Die vier Seitenwände des Quadrats symbolisieren die vier Himmelsrichtungen, innerhalb derer spielt sich das Leben ab, gibt es Orientierung. Der Blick von oben auf die
Bühne des Lebens wird dieses Mal den Theaterbesuchern gewährt, nicht wie sonst üblich ist er Gott vorbehalten.
Ähnlich wie schon in Thomas Manns „Buddenbrooks" geht es auch in „Josef und seine Brüder" um die großen Themen der Menschheitsgeschichte, die uns nicht nur im Alltag, sondern auch in der Weltliteratur immer wieder begegnen: Liebe, Hass, Eifersucht, Betrug, Rache und Täuschung.
Die Handlung beginnt mit dem Auffahren der Darsteller aus der Tiefe auf die Bühne. Die Inszenierung legt damit gleich den Fokus auf ein zentrales Element des biblischen Mythos. Auf den tiefen
Brunnen, in dem Josef von seinen Brüdern geworfen wurde.
Die alttestamentarische Familiengeschichte wird in zwei Teilen von acht Darstellern, sieben Männern und einer Frau erzählt. Gleich zu Beginn der Aufführung gerät man ins Staunen, als die Brüder
ein Streitgespräch beginnen. Die Worte fliegen nur nur so hin und her zwischen den Erzählern, sie steigern sich in Wortgefechte, werden immer schneller und schneller und enden schließlich in
einem Stimmengewirr. Bereits hier zeigt es sich, wie wunderbar Thomas Mann mit dem Wort umgehen konnte, seine sprachliche Vielfalt und die Virtuosität seiner Sprache.
Der erste Teil endet mit dem vermeintlichen Tod Josefs. Jakob wird das blutgetränkte Hemd seines Lieblingssohnes gebracht. Der zweite Teil spielt in Ägypten. Josef lebt im Haus des Potiphars und
wird schnell dessen Vertrauter. Mut, Potiphars Frau, verliebt sich in ihn und stellt ihm nach. Josef, absolut gottesfürchtig und loyal gegenüber seinem Herrn widersteht ihren vehementen
Verführungskünsten. Welche Kraft ihn das kostet, macht Michele Cucioffo durch sein hervorragendes Spiel klar. Denn Potiphars Frau, beeindruckend dargestellt von Janina Sachau ist eine schöne,
leidenschaftliche Frau die alle Register zieht um Josef herumzukriegen. Sukzessive verliert sie dabei immer mehr den Boden unter den Füßen.
An dieser Stelle gibt die Inszenierung den Exzessen der Mut zuviel Raum, weniger wäre da mehr gewesen. Auf Umwegen kommt Josef schließlich an den Hof des Pharao. Seine außergewöhnlichen
Fähigkeiten machen ihn dort schon bald unentbehrlich. Er gelangt zu Macht und Ansehen.
Die Schauspieler schlüpfen gleich in mehrere Rollen, auch in Frauenrollen. Feststehende Identitäten, das will die Inszenierung deutlich machen, gibt es nicht. Menschen verändern sich und mit
ihnen die Geschichte. Bei Thomas Mann sind es nicht nur die Menschen, die Geschichte schreiben, sondern es sind auch die Werke selber.
Für seine Verkörperung des Josef wird Michele Cucioffo stürmisch gefeiert. Er überzeugt als unbekümmerter Jüngling, der anfangs naiv durch das Leben stolpert, genauso, wie als gebildeter Sklave
und erfolgreicher Geschäftsmann. Am Schluss sind seine Haare ergraut. Das Leben hat Spuren hinterlassen. Doch der Protagonist ist über sich hinausgewachsen. Durchtrennt hat er die Kette von Hass,
Betrug und Rache.
Damit öffnen sich die Augen für ein neues Humanitätsideal, womit wir dann wieder ganz nah bei Thomas Mann sind.
Das großartige Ensemble erhält viel Beifall. Nach Fünfstunden ist manch ein Zuschauer an seine Grenzen gestoßen. Die Schauspieler sind es nicht. Sie wirken auch nach der langen Spieldauer weder müde noch abgespannt.
(HA-KRU)