Eine Oper für die ganze Familie

 

Humperdincks „Hänsel und Gretel“ im Wuppertaler Opernhaus


Premiere am 9.12.2017

 

Schon der butterweiche, aber genaue Einsatz der Hörner beim Abendsegen-Thema ließ keinen Zweifel daran, dass in musikalischer Hinsicht ein großer Abend zu erleben war. Schließlich dirigierte die neue Generalmusikdirektorin Julia Jones ihre erste Opernproduktion in Wuppertal. Schon das Vorspiel war ein Genuss. Die verschiedenen Motive der Oper waren klar herausgearbeitet, die Tempowechsel wurden vom Orchester präzise aufgenommen, alle Instrumentengruppen vereinigten sich zu einem differenzierten Klangbild. Im Verlauf der Oper konnten sich Sänger und auch der Kinderchor auf sängerfreundliches, unterstützendes Dirigat verlassen. In Erinnerung bleiben satte Bläserchoräle, sehr gleichmäßig sich aufbauende Hörnercrescendi, Kantilenen der Streicher, besonders gelungen die der Celli beim Blick der Kinder auf das Knusperhäuschen. Sehr erfreulich war auch der selbstbewusst agierende und absolut tonsichere Kinderchor der Wuppertaler Bühnen (Einstudierung Markus Baisch).

 

Auch die Sänger gaben ihr Bestes. Allen voran die beiden Hauptdarsteller, Catriona Morison in der Hosenrolle des Hänsel und Ralitsa Ralinova als Gretel. Sie sangen nicht nur schön und wortverständlich, sondern gaben auch ihren Charakteren deutliches Profil. Der fröhlichen und tanzfreudigen Gretel steht Hänsel gegenüber, hungrig, missmutig, aufmüpfig, der erst gar nicht mit seiner Schwester tanzen will. Alejandro Marco-Burmester (der den erkrankten Simon Stricker in der Premiere vertrat, sich mit ihm in den weiteren Aufführungen abwechselt) gefiel vor allem als angetrunken heimkehrender Besenbinder Peter, Belinda Williams steuerte als seine Frau Gertrude ihrer Rolle gemäß auch mal schrille Töne bei. Sowohl das einschläfernde Sandmännchen als auch das aufweckende Taumännchen wurde von Nina Koufochristou überzeugend gesungen, und Mark Bowman-Hester konnte in einer weiteren Paraderolle (nach dem Vater Doolittle in „My Fair Lady“) als böse Hexe glänzen. Bemerkenswert: bis auf zwei Ausnahmen alles Mitglieder des neuen Wuppertaler Opernensembles!

 

Denis Krief hatte die Inszenierung besorgt, war aber auch verantwortlich für Bühnenbild, Licht und die Kostüme. Alle Szenen zeichneten sich aus durch lebendige, genaue und nachvollziehbare Personenregie, auch schon für jüngere Opernbesucher, so dass sich diese Inszenierung in der Tat für die gesamte Familie eignet. Einige interessante Akzentuierungen sind aber doch zu nennen. Krief gestaltete ein relativ einfaches Bühnenbild mit verschiebbaren Wänden, auf denen Videos gezeigt werden konnten. Diese ließen eine schnelle Umwandlung der Szene zu. Dass wir es hier aber nur mit einer Geschichte zu tun haben, wurde dadurch deutlich, dass die Bühnenarbeiter die Umbauten für das Publikum sichtbar durchführten. Wald und Hütte waren auch nicht so weit voneinander entfernte Orte. Schon in der ersten Szene konnte man durch Öffnungen der Hüttenwand den Wald sehen. Die halb fertigen Besen des Besenmachers, der Korb mit dem Feuerholz und auch das Dach der Hütte bleiben auch auf der Bühne, wenn die Handlung im Wald spielt, so, als würde man diese als Traum erleben. Und wie nah Gut und Böse nebeneinander sind, zeigt sich dadurch, dass die Speisekammer der Besenbinderhütte sich später in den Feuerofen verwandelt, in dem die Hexe verbrannt wird. Gewalt, die ja auch in diesem Märchen durchaus vorkommt, wird aber nicht krass herausgestellt. Bedrohliches, aber gemäßigt, findet vor allem auf den Videoflächen statt, so der sich ständig bewegende, dadurch unheimlich wirkende Wald, der aber nicht naturalistisch dargestellt wird, oder angedeutete Grausamkeiten angesichts allgemein bekannter Vorstellungen von Hexen. Spannend ist die Verwendung diese Technik nach der Pause: Der Wald, in dem die Kinder schlafen, ist verschwunden, auf den Wänden erscheinen erst unscharfe Farbflecken, die beim Schärferstellen dann zu Süßigkeiten werden und so das Hexenhäuschen assoziieren lassen.

 

Interessant ist auch, wie Krief die 14 Engel einsetzt, die den Schlaf von Hänsel und Gretel bewachen sollen. 13(!) Kinder (Mitglieder des Kinderchores, noch stumm) kommen nacheinander auf die Bühne, wirken etwas ratlos, beschäftigen sich mit den Besen und dem Holzkorb, tanzen, spielen, verschwinden schließlich unter einem Zwischenvorhang. Erst dann kommt das vierzehnte Kind auf die Bühne, sucht leicht desorientiert die anderen, schließt schließlich den Vorhang zur Pause. Diese Kinder (Engel?) sieht man schließlich in der Schlussszene wieder, zusammen mit den anderen Kinderchormitgliedern. Die spielt wieder in der Besenbinderstube, denn die Eltern haben ihre Kinder nicht im Wald gesucht, sondern diese haben den Weg nach Haus alleine gefunden. Und in dieser Stube drängeln sich Kinder/Engel als unsichtbare Geister und singen den Schlusschor, werden von der Besenbinderfamilie offenbar gar nicht wahrgenommen.

 

Weil in dieser Oper viele Tanzszenen vorkommen, wurde die Choreografin Amy Share-Kissiov engagiert (zum zweiten Mal nach der „Liebe zu den drei Orangen“) und unterstützte den Regisseur merkbar beim Verflüssigen der Bewegungen in der ohnehin schon guten Personenregie.

 

Fazit: Eine gelungene Produktion, familienfreundlich, auch für junge und erstmalige Besucher geeignet, lebendig, interessant, mit eigenen Akzenten.

 

Fritz Gerwinn, 11.12.2017

Weitere Aufführungen: 16.12., 18.12., 21.12., 23.12., 26.12.2017
14.01., 16.02., 10.03., 08.04., 10.06