Wuppertal
Szymanowskis KÖNIG ROGER in WUPPERTAL
Premiere am 14.6.2014
DAVON SOLLTE MAN EINE DVD MACHEN!
Wenn der Vorhang aufgeht, sieht man den Chor im Schattenriss, die Bühne ist eine achteckige Röhre, oben und an den Seiten verspiegelt, so dass alles verzerrt wird. Auf dem so entstandenen Achteck im Hintergrund dreht sich langsam das Bild des Königs Roger, er trägt eine Maske, in deren Mitte ein Kruzifix befestigt ist (Bühnenbild Markus Meyer).
Davor, direkt am Bühnenrand, liegt Roger auf einer Couch, hinter ihm sein Berater Edrisi. Eine Therapiesituation. Wir befinden uns also in der Gegenwart, obwohl Roger noch die Krone trägt, und Edrisi will Roger von seinen Obsessionen befreien, indem dieser sie noch einmal durchlebt.
Manchmal sollte man auf eine Vorbereitung für einen Opernbesuch verzichten. So hat mich die Pariser Aufführung von 2009, im Fernsehen aufgenommen, sehr verwirrt. Der ansonsten sehr geschätzte polnische Regisseur Krzysztof. Warlikowski hatte so ungenau und Rätsel aufgebend inszeniert, dass mir nicht einmal die Handlung klar wurde, und die Sprunghaftigkeit der Regie übertrug sich auf die Wiedergabe der Musik, so dass ich schon fürchtete, Johannes Weigand hätte am Ende seiner Wuppertaler Intendanz ein schlechtes Stück ausgesucht.
Nichts davon war so. Man kann sogar sagen: Wenn es eine Referenzaufführung dieser Oper auf DVD geben sollte, dann wäre diese Wuppertaler Aufführung dafür absolut geeignet.
Das deutete sich schon in der Einführung des Dramaturgen Johannes Blum an, der die unterschiedlichen Einflüsse der Oper sehr genau darstellte – Szymanowskis Lebensgeschichte und kompositorischen Einflüsse, seine Liebe zu Sizilien, wo Antikes, Arabisches und Christliches nebeneinander existierten und sich vermischten, und schließlich der Einfluss des Dionysos-Kultes und des Euripides-Dramas „Die Bakchen“ auf Libretto und Komposition.
Auch der Regisseur, Jakob Peters-Messer, hatte das Libretto noch einmal sehr genau gelesen, und hatte eine sehr gut nachvollziehbare, punktgenaue und aktuelle Lösung erarbeitet. Die schon oben genannte Therapie stand im Mittelpunkt und wurde mit sehr sinnlichen und bühnenwirksamen Mitteln ausgestaltet.
So folgt nach der Einleitungssequenz die Anklage von Äbtissin und Erzbischof gegenüber dem Hirten, zu byzantinischen christlichen Hymnen heben alle Mitglieder des nun von vorn angestrahlten Chores ihre mit Kreuzen versehenen Hände, der Hirte ist aber schon da, tritt aus der Menge heraus und wird von Rogers Gattin, Roxane, verteidigt. Hier hat der Regisseur z.B. besonders gut hingesehen und deutlich herausgearbeitet, dass Roxane nicht aus heiterem Himmel zum Hirten überläuft, sondern sich schon seit längerem zu wenig beachtet fühlt und insofern eine grundsätzlich gegensätzliche Position ihrem Mann gegenüber einnimmt, auch durch ihre Kleidung, zuerst als Marylin-Monroe-Verschnitt und später als 20er-Jahre-Partygirl (Kostüme Sven Bindseil).
Der Hirte erscheint hier noch unschuldig in Weiß, tritt ein für Liebe, Lust und Frieden und verursacht kaum noch auffangbare Auflösungserscheinungen in der zuerst entrüsteten Gemeinde. Im 2. Akt dagegen erscheint er martialischer, trägt Uniform, Sonnenbrille, hebt den rechten Arm, die Gemeinde, einschließlich Roxane, gehört jetzt ihm, und es fließt, wie bei den Bakchen, Blut. Das sich drehende und spiegelnde Achteck im Hintergrund zeigt am Anfang dieses Aktes Sterne, die wie Spinnweben aussehen, und gegen Ende, als die Gefährlichkeit des Hirten immer größer wird und Roger endgültig seine Macht verliert, eine Grube voller giftiger Schlangen.
Edrisi macht sich auch in Momenten des größten Tumultes seine therapeutischen Notizen, um Roger im 3. Akt zu einer Synthese und zu sich selbst zu führen. Als er auf die Macht verzichtet, kehrt seine Frau zurück, auch der Hirte/Dionysos erscheint noch einmal, stirbt aber, als Roger ihn umarmt – das Trugbild zerfällt zu Staub. Das kann es erst, wenn Roger seine Obsessionen noch einmal durchlebt hat, sich geändert hat und vom ursprünglich Störenden etwas angenommen hat. In diesem Akt strahlt die aufgehende Sonne auch das Publikum an, die Spiegel werden nach und nach ausgeblendet, zum Schluss senkt sich der Vorhang: Therapie erfolgreich beendet, Roger ist zwar allein, ruht aber in sich und preist die Sonne.
So wie die Handlung neue und alte unterschiedliche Elemente verschiedener Kulturen aufnimmt und verarbeitet, verdichten sich in der Musik die verschiedensten Einflüsse zum persönlichen Stil Szymanowskis. Neben mittelalterlichen und byzantinisch anmutenden Chorälen erklingen lustvolle Melismen auf der Silbe Aaah, orientalische Tanzmelodik und –rhythmik trifft auf dissonant aufgebrochene romantische Klänge, spürbar ist auch die Beschäftigung mit der Rhythmik Strawinskis, und ganz am Schluss stehen sogar Diatonik und reines C-Dur. Florian Frannek beleuchtete mit dem Wuppertaler Orchester all diese Facetten sehr sorgfältig und klangsinnlich, das jeweils vorherrschende Element wird deutlich hervorgehoben.
Chor (Jens Bingert) und die diesmal mitwirkende Kurrende (Dietrich Modersohn) lösten ihre umfangreiche und schwierige Aufgabe bravourös, auch in darstellerischer Hinsicht waren alle Mitglieder außergewöhnlich engagiert.
Das Wuppertaler Sängerensemble zu loben, heißt fast Eulen nach Athen tragen. Gewohnt hohes Niveau bei Martin Ohu (Erzbischof), Joselyn Rechter (Diakonissin) und Christian Sturm (Edrisi), wunderbar hohe Töne und fabelhafte Darstellung bei Banu Böke (Roxane). Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Tenor so entspannt, frei und doch so klangvoll und tragend erlebt zu haben wie den einzigen Gastsänger des Abends, Rafal Bartmínski. Und schließlich den Sänger der Hauptrolle, Kay Stiefermann, der sich sowohl in sängerischer als auch in darstellerischer Hinsicht vor keinem anderen Bariton verstecken muss.
Man kann es nur wiederholen: Warum wird ein so fabelhaftes Ensemble komplett entlassen?
Kein Wunder: Donnernder Beifall, standing ovations für alle Mitwirkenden, auch für das Regieteam.
Nach einer solchen Saison mit einer Operette (Fledermaus), einem Musical (Evita), einer Barockoper (Alcina), der gelungenen Ausgrabung von „Król Roger“, sogar einer Uraufführung (Der Universums-Stulp) sowie drei weiteren Produktionen an verschiedenen anderen kleineren Spielstätten könnte man Johannes Weigand und sein Team nur beglückwünschen und sagen: Macht weiter so mit einem anregenden und intelligenten Programm, das viele in Wuppertal und Umgebung anspricht! Leider wissen wir, dass es nicht geht. Deshalb kann ich nur hoffen und wünschen, dass für alle Ensemble-Mitglieder mindestens gleichwertige Engagements folgen.
FRITZ GERWINN
Weitere Aufführungen: 20., 22., 26., 28. Juni